- Wirtschaft und Umwelt
- Deutsche Post, öffentlicher Dienst & Co.
Gerwerkschaft Verdi im Superkampfjahr
Dienstleistungsgewerkschaft Verdi startet am Montag Urabstimmmung über unbefristeten Streik bei der Deutschen Post
Für die Verdi gibt es dieses Jahr viel zu tun. Allein mit den derzeitigen Tarifrunden bei der Deutschen Post und dem öffentlichen Dienst von Bund und Gemeinden verhandelt die Dienstleistungsgewerkschaft – je nach Rechnung – für 2,7 bis knapp drei Millionen Beschäftigte. Weitere große Tarifrunden folgen im Laufe des Jahres: im Einzelhandel mit insgesamt rund 2,6 Millionen Beschäftigten, im Groß- und Außenhandel mit knapp 1,2 Millionen Beschäftigten und im öffentlichen Dienst der Länder mit Ausnahme von Hessen mit über 900 000 Beschäftigten.
Dabei ist die Streikzurückhaltung der Corona-Zeit längst verflogen. Nachdem die Tarifverhandlungen bei der Deutschen Post nach drei Gesprächsrunden gescheitert sind, stehen die Zeichen in dem Konzern auf unbefristeten Streik. Am Montag startet Verdi dort die Urabstimmung. Bis zum 8. März können dann die Verdi-Mitglieder bei der Post ihr Votum abgeben. Lehnen mehr als 75 Prozent von ihnen das Angebot des Konzerns ab, wird die Dienstleistungsgewerkschaft unbefristete Arbeitskampfmaßnahmen einleiten. »Das von den Arbeitgebern vorgelegte Angebot ist weit von unseren Forderungen entfernt«, erklärte die stellvertretende Verdi-Vorsitzende und Verhandlungsführerin Andrea Kocsis am Dienstagabend in Berlin. »Die Arbeitgeber waren nicht bereit, die Reallohneinbußen der Beschäftigten auszugleichen.« So betrugen die Reallohnverluste der Post-Beschäftigten laut Verdi allein im vergangenen Jahr 5,9 Prozent. Und auch dieses Jahr ist noch mit einer extrem hohen Inflation zu rechnen, die das Geld an der Supermarktkasse entwertet.
Die Deutsche Post hat Verdi bei der letzten Gesprächsrunde ein Angebot gemacht, das eigentlich gut klingt. Dieses Jahr sollte es eine Inflationsausgleichssonderzahlung von monatlich 150 Euro geben, nächstes Jahr von 100 Euro. Hinzu sollten zwei tabellenwirksame Festbetragserhöhungen von 150 beziehungsweise 190 Euro kommen. Das bedeute Lohnerhöhungen von bis zu 20,3 Prozent, behauptete das Unternehmen und suggerierte damit, dass das Angebot eigentlich noch besser sei als die Verdi-Forderungen. Die Gewerkschaft war mit der Forderung nach 15 Prozent mehr Gehalt in die Verhandlungen für die rund 160 000 Beschäftigten gegangen.
Doch steckt der Teufel bekanntlich im Detail. So profitiert lediglich ein kleiner, besonders schlecht bezahlter Teil der Beschäftigten in der von der Konzernführung ausgewiesenen Höhe von dem Angebot. Doch der Großteil der Post-Angestellten sind Zusteller*innen, die zumindest etwas besser verdienen. Folglich würde das Angebot der Arbeitgeber*innen laut Verdi-Berechnungen durchschnittliche Tariferhöhungen von lediglich 9,9 Prozent innerhalb von zwei Jahren bedeuten. »Insbesondere die lange Laufzeit von 24 Monaten und die geringe Entgelterhöhung im Jahr 2024, die für die meisten Beschäftigten weniger als zwei Prozent betragen würde, erhöhen das Risiko weiterer Reallohnverluste«, warnt deshalb Kocsis. So sollen die tabellenwirksamen Erhöhungen erst im Januar und Dezember 2024 erfolgen.
Während bei der Post die Arbeitgeber*innen Festbetragserhöhungen vorgeschlagen haben und Verdi sie in der derzeitigen Form ablehnt, ist es bei den Verhandlungen im öffentlichen Dienst andersherum. In die Gespräche mit Bund und Ländern ist Verdi mit der Forderung nach 10,5 Prozent mehr Gehalt, mindestens aber 500 Euro monatlich gegangen. Doch insbesondere die kommunalen Arbeitgeber*innen lehnen diesen Mindestbetrag ab, mit dem vor allem die unteren Lohngruppen bessergestellt werden sollen. Stattdessen sehen sie eher bei den oberen Lohngruppen Anpassungsbedarf, während Verdi die soziale Komponente des Mindestbetrags besonders wichtig ist.
Kommenden Mittwoch und Donnerstag trifft sich Verdi mit Bund und Kommunen zu einer zweiten Verhandlungsrunde. Derweil kam es im öffentlichen Dienst bereits zu ersten Warnstreiks. Vhttps://www.nd-aktuell.de/artikel/1170845.warnstreik-im-oeffentlichen-dienst-warnstreik-im-oeffentlichen-dienst-jetzt-klatscht-es-zurueck.htmlergangene Woche streikten zum Beispiel in Berlin unter anderem Krankenhäuser und die Stadtreinigung BSR. In Nordrhein-Westfalen blieben am Mittwoch vielerorts die Kitas geschlossen, in Halle waren es 13 Kindertagesstätten. Und für Freitag hat Verdi Beschäftigte an diversen Flughäfen zu einem ganztägigen Streik aufgerufen. »Die Beschäftigten machen gemeinsam Druck auf die jeweiligen Arbeitgeber, weil in den bisherigen Verhandlungen keine Ergebnisse erzielt werden konnten«, betonte die stellvertretende Verdi-Vorsitzende Christine Behle und forderte von den Arbeitgeber*innen, bei der zweiten Verhandlungsrunde ein »verhandlungsfähiges Angebot« vorzulegen.
Unterdessen scheint sich das Blatt mitgliedermäßig bei der Dienstleistungsgewerkschaft zu wenden. Zwar verzeichnete sie im vergangenen Jahr unterm Strich noch einen Mitgliederschwund – von 1,89 auf 1,86 Millionen Mitglieder. Doch seit September verzeichnet sie laut Verdi-Chef Frank Werneke wieder Zuwächse, und auch in diesem Jahr zeichne sich eine »sehr, sehr gute« Entwicklung ab. Allein in den vergangenen Wochen habe es jeweils mehr als 6000 Eintritte pro Woche gegeben.
Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.