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Berlinwahl: Wahlkreis in Lichtenberg zu verlosen
Nachzählung übersehener Wahlbriefe könnte Sitzverteilung im Abgeordnetenhaus noch einmal verändern
Berlin bleibt sich treu: Das Ergebnis der Auszählung von erst am Tag nach der Abgeordnetenhauswahl in Lichtenberg aufgefundenen Briefwahlunterlagen sorgt nun noch einmal für ordentlich Verwirrung. Denn nach der öffentlichen Auszählung der Stimmen von etwas mehr als 450 Briefwählern am Mittwochvormittag ist plötzlich wieder offen, wer das Direktmandat im Wahlkreis Lichtenberg 3 geholt hat. »Das ist jetzt der absolute Megakrimi«, sagt Sebastian Schlüsselburg, rechtspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, zu »nd«.
Galt am Sonntagabend noch CDU-Direktkandidat Dennis Haustein als Erstimmengewinner des Wahlkreises, der unter anderem einen Teil der Großwohnsiedlung Fennpfuhl und den Norden von Friedrichsfelde umfasst, so gibt es durch die nachträglich ausgezählten Stimmen nun ein außergewöhnliches Patt zwischen ihm und der Linke-Kandidatin Claudia Engelmann. Gerade mal zehn Stimmen hatten am Sonntag den CDU-Bezirksverordneten von der bisherigen queer- und sportpolitischen Sprecherin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus getrennt. Der Vorsprung ist seit Mittwoch dahin. Sowohl Haustein als auch Engelmann kommen jetzt exakt auf je 4243 Erststimmen.
Und nun? Der Bezirkswahlausschuss kommt am Montag zu seiner nächsten Sitzung zusammen. Er könnte eine Nachzählung aller Erststimmen im Wahlkreis beschließen – oder er beruft sich auf das Landeswahlgesetz. Hier heißt es eindeutig: »Bei Stimmengleichheit entscheidet das vom Bezirkswahlleiter zu ziehende Los.« Wobei ebenjenes Los dann nicht nur über die Frage entscheidet, ob Haustein oder Engelmann ins Abgeordnetenhaus einzieht, sondern auch Einfluss hätte auf die Größe des Abgeordnetenhauses und die Zusammensetzung der Fraktionen.
Die Berliner Wahlarithmetik macht’s möglich: Sollte Linke-Politikerin Engelmann als Gewinnerin der Losziehung vom Platz gehen, könnte nach Berechnungen des Portals wahlrecht.de die CDU-Fraktion ein Überhangmandat verlieren – das von Haustein – und hätte dann nur noch 51 Sitze. SPD und Grüne müssten demnach wiederum je ein Ausgleichsmandat abgeben und kämen auf jeweils 33 Sitze.
In der Linksfraktion bliebe es zwar bei 22 Sitzen. Sofern Claudia Engelmann, die am Sonntag zunächst – da weit hinten auf der Linke-Landesliste platziert – ihren bisherigen Sitz im Abgeordnetenhaus verloren hatte, nun über das Direktmandat doch ins Parlament einzieht, würde zugleich ein Landeslistenmandat wegfallen. Betroffen wäre hier nach aktuellem Stand die Pankower Linke-Bezirksvorsitzende Sandra Brunner, die ihr gerade erst wiedergewonnenes Abgeordnetenhausmandat damit an Engelmann abtreten müsste.
Die Sache ist also knifflig, möglicherweise auch juristisch anfechtbar. Linke-Rechtsexperte Sebastian Schlüsselburg plädiert daher für eine vollständige Neuauszählung der Lichtenberger Erststimmen: »Das Losverfahren ist die Ultima Ratio. Bevor das zum Zuge kommt, darf es nicht den geringsten Zweifel an der Richtigkeit des ausgezählten Ergebnisses geben.« Zumal er Hinweise habe »auf 22 weitere Stimmen« im Wahlkreis, die eventuell nicht korrekt einberechnet wurden.
Unabhängig davon dürften die am Montag in der Poststelle des Bezirksamts Lichtenberg entdeckten ungeöffneten Briefwahlumschläge die deutschlandweit fleißig verbreitete Erzählung von der Chaos-Stadt Berlin noch einmal befeuern. Lichtenbergs umtriebiger Vize-Bezirksbürgermeister Kevin Hönicke (SPD) hatte dabei zunächst der Deutschen Post die Schuld in die Schuhe geschoben. Die habe die Briefe am Wochenende einfach »vergessen zu übergeben«, teilte er am Dienstag mit. Das Unternehmen dementierte umgehend, woraufhin Hönicke die Poststelle des Bezirks beschuldigte.
Beides Blödsinn, wird Lichtenbergs Bezirkswahlleitung am Mittwoch dann deutlich: »Diese Aussagen sind falsch.« Ursächlich für den Fehler sei vielmehr ein »Kommunikationsproblem« innerhalb des Bezirkswahlamtes gewesen. Die Briefe seien bei der Briefwahlstelle im Rathaus Lichtenberg liegen geblieben. Bezirkswahlleiter Axel Hunger sagt: »Ich nehme das auch voll auf meine Kappe.«
Wenn auch in Lichtenberg jetzt vorerst wieder offen ist, wer künftig den dortigen Wahlkreis 3 im Abgeordnetenhaus direkt vertritt – ein Ergebnis steht nach Auszählung der liegen gebliebenen Wahlbriefe schon mal fest: Die zusätzlichen Stimmen haben an der Zweitstimmen-Rangfolge der Parteien im Abgeordnetenhaus nichts geändert. Von den am Mittwoch nachträglich ausgezählten 466 Zweitstimmen entfielen 88 auf die SPD und 80 auf die Grünen, womit die Sozialdemokraten ihren knappen berlinweiten Platz-2-Vorsprung vor der Ökopartei von bislang 105 auf 113 Stimmen – nun ja – ausbauen.
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