- Wirtschaft und Umwelt
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Lobby-Pipeline in die Politik
Verein Lobbycontrol verweist auf enge Kontakte zur Gaswirtschaft
Die alten Russland-Netzwerke bröckeln, aber die Erdgaslobby ist so einflussreich wie eh und je. Seit Antritt der neuen Bundesregierung bis zum September vergangenen Jahres trafen sich ihre Spitzen im Schnitt jeden Tag mit einem Gaslobbyisten. Diese alarmierende Bilanz zieht der Verein Lobbycontrol in einer am Mittwoch veröffentlichten Analyse zum Einfluss der Gaslobby. Verantwortlich für deren Macht sind laut den Autor*innen die letzten Bundesregierungen.
»Sie haben den Einfluss der Gaslobby nicht nur zugelassen, sondern aktiv gefördert, unter anderem, indem sie der Gasindustrie eigene Lobby-Pipelines in die Politik geöffnet haben«, sagte Christina Deckwirth von Lobbycontrol. Die Ampel-Regierung setze diesen Kurs fort. Allein 2021 gaben deutsche Gaskonzerne über 40 Millionen Euro für Lobbyarbeit aus. Darin sind die Aufwendungen von energieintensiven Unternehmen wie BASF sowie aus dem Ausland, etwa von Gazprom, noch gar nicht enthalten. Zum Vergleich: Im selben Jahr gaben die drei größten deutschen Umweltorganisationen – Greenpeace, BUND und Deutsche Umwelthilfe – 1,55 Millionen Euro für Lobbyarbeit aus.
Nicht nur die Politik öffnete der Gasindustrie Tür und Tor. Auch die Konzerne suchten nach Möglichkeiten, Politiker*innen stärker einzubinden. Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), langjähriger Lobbyist für Gazprom und Rosneft, ist da nur die Spitze des Eisberges. Ehemalige Ministerpräsidenten wie Edmund Stoiber (CSU), Erwin Sellering und Wolfgang Clement (beide SPD) übernahmen diverse Funktionen in Energieunternehmen und lobbyierten für die Gasindustrie.
Das ist kein Phänomen der Vergangenheit. Klaus Bonhoff, aktuell Abteilungsleiter im Bundesministerium für Verkehr, ist seit 2019 Mitglied im Beirat des Lobbyverbands Zukunft Gas. Ein weiteres Beispiel ist die ehemalige Bundestagsabgeordnete der Grünen, Kerstin Andreae. Sie sitzt dem größten Branchenverband der Energiewirtschaft, dem Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), vor und unterhält nach wie vor enge Kontakte ins grün geführte Wirtschaftsministerium.
Rund 30 sogenannte Seitenwechsler listet Lobbycontrol in ihrer Analyse auf. Das sind ehemalige oder auch aktive Politiker*innen, die mittlerweile Lobbyfunktionen für die Gasindustrie ausfüllen. Während seit dem Ukraine-Krieg die alten Russland-Netzwerke schwinden, hat die Gaslobby kaum an Einfluss verloren. Dieselben Industrievertreter*innen, die seit Jahren die deutsche Gaspolitik mitbestimmen, begleiten Kanzler Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Robert Habeck heute auf ihre Reisen nach Senegal oder Katar.
Die Folgen einer solchen Übermacht der Gaslobby sind laut der Energieökonomin Claudia Kemfert eine verschleppte Energiewende und hohe Preissteigerungen. »Wir könnten heute einen 80-Prozent-Anteil erneuerbarer Energien haben, wenn die Milliardeninvestitionen in deren Ausbau statt in Erdgas geflossen wären«, sagte sie.
Um die Einflussnahme der Gaskonzerne in Zukunft zu beschränken, fordert Lobbycontrol Regeln, die den aktiven und kürzlich gewechselten Politiker*innen die Lobbyarbeit für Energieunternehmen untersagen. Außerdem sollten in Zukunft ausgewogene Gremien über energiepolitische Strategien beraten. Auch die gegenwärtige Regierung wird diesem Anspruch nicht gerecht. So sitzen im Nationalen Wasserstoffrat 15 Vertreter*innen aus der Wirtschaft, aber nur zwei aus der Zivilgesellschaft.
Lobbycontrol hofft dennoch auf die derzeitige Bundesregierung. Sie müsse jetzt die richtigen Weichen stellen und für ausreichend Abstand zwischen Wirtschaft und Politik sorgen, heißt es. Der Grüne Robert Habeck sei als Wirtschaftsminister mit durchaus ehrgeizigen klima- und energiepolitischen Vorhaben angetreten. Dem müsse er nun trotz einer großen Hypothek der Vorgängerregierung gerecht werden. Das sei durchaus möglich, meint Claudia Kemfert. »Wir haben das rettende Ufer der Erneuerbaren schon längst erreicht – es braucht keine Brücken mehr. Das sind alles Brücken ins Nichts.«
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