Pokerpartie am Eulenberg

Intel will mehr Fördergeld für Ansiedlung in Magdeburg / Warten auf europäische Regelung dauert an

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.

Im Gewerbegebiet Eulenberg am Magdeburger Stadtrand wird gegraben. Bagger wühlen sich in den Ackerboden, der zu den besten in Deutschland gehört, aber verschwinden soll. Knapp 340 Hektar fallen einer Industrieansiedlung zum Opfer, die zu den spektakulärsten in jüngerer Zeit in Deutschland gehört. Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Sven Schulze (CDU) sprach mit Blick auf die Investitionssumme von 17 Milliarden Euro gar vom »größten Projekt in der Geschichte der Bundesrepublik seit dem Zweiten Weltkrieg«. Gemeint ist die Ansiedlung des US-Unternehmens Intel, das im März 2022 bekannt gegeben hatte, in Magdeburg zunächst zwei und später vielleicht noch mehr Chipfabriken errichten zu wollen. Dort und bei Zulieferern würden 10 000 Arbeitsplätze entstehen. Es ist ein Vorhaben, das weit über Sachsen-Anhalts Landeshauptstadt hinaus ausstrahlen würde.

Die Bagger sind allerdings noch nicht für den Bau der Fabrik tätig, sondern für das Landesamt für Archäologie, das am späteren Fertigungsort der Chips nach Scherben und anderen frühzeitlichen Relikten sucht. Es ist einer von unzähligen Schritten, mit denen der Boden für die Ansiedlung bereitet wird. Zuvor war im November der Kaufvertrag für das Areal zwischen Stadt und Unternehmen unterzeichnet worden. Das Landesverwaltungsamt eröffnete Anfang 2023 ein Genehmigungsverfahren, in dem die Umweltverträglichkeit der Fabriken geprüft wird. Viele weitere Fragen sind zu klären: Verkehrsanbindung, Wasserversorgung oder, nicht unwesentlich, die Frage, woher die benötigten Fachkräfte kommen und wo sie wohnen sollen.

Wann tatsächlich mit dem Bau der Fabriken begonnen wird, ist offen. Im Dezember hatten Medienberichte für Nervosität gesorgt, wonach Intel vom zunächst avisierten Termin im ersten Halbjahr 2023 abrücke. Der Konzern hatte beschwichtigt und erklärt, 2024 loslegen zu wollen. Kürzlich gab es erneut Aufregung. Das »Handelsblatt« berichtete, der Konzern dränge auf höhere staatliche Förderung. Zur Begründung wurde auf gestiegene Bau- und Energiekosten und den geplanten Einsatz einer kostspieligeren Fertigungstechnologie verwiesen. Bislang sollen 6,8 Milliarden Euro zugesagt sein. Intel wolle »deutlich mehr«; die Rede war von zehn Milliarden. Das Blatt zitierte Kreise der Bundesregierung, die das »schwer vorstellbar« nannten, aber auch erklärten, die Gespräche liefen noch. Für Aufsehen sorgten Äußerungen von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), der dem »Handelsblatt« im Interview sagte, man sei »nicht erpressbar«, und zudem die »Sinnfrage« aufwarf: »Ein US-Unternehmen, das acht Milliarden Dollar Gewinn gemacht hat, ist kein natürlicher Empfänger von Steuergeld.«

Diese Aussage verkennt freilich die Realität: Kaum ein Großunternehmen siedelt sich in der Bundesrepublik an, ohne sich von der öffentlichen Hand den goldenen Teppich ausrollen zu lassen. Lindners Position liegt auch quer zur Politik der Europäischen Union. Diese will die Chipindustrie in den nächsten Jahren massiv fördern. Ziel ist es, den EU-Anteil am Weltmarkt von jetzt zehn Prozent bis 2030 zu verdoppeln und unabhängiger von Importen aus Fernost zu werden. Europa will 43 Milliarden Euro mobilisieren und begibt sich dabei in einen Wettlauf mit den USA und Ländern in Asien, die Ansiedlungen ebenfalls subventionieren. Wie genau die Förderung erfolgt, soll in einem European Chips Act geregelt werden, der im Entwurf vorliegt und jetzt in einem »Trilog« genannten Verfahren zwischen EU-Parlament, Europäischem Rat und EU-Kommission abgestimmt wird. Seine Verabschiedung ist Voraussetzung dafür, dass Intel für das Magdeburger Projekt verbindliche Zusagen gemacht werden können.

In Magdeburg geht man nach wie vor davon aus, dass die Ansiedlung erfolgt und die Fabriken, wie der Wirtschaftsminister formulierte, 2027 oder »spätestens 2028« die Produktion aufnehmen. Dafür sind freilich noch etliche Steine aus dem Weg zu rollen. Ein Stichwort: Energiepreise. Intel-Vorstand Keyvan Esfarjani sagte dem Portal »Zeit Online«, eine Chipfabrik mit Strompreisen von 50 Cent je Kilowattstunde sei »nicht wettbewerbsfähig«. Der Strombedarf am Standort wird auf 900 Gigawattstunden im Jahr beziffert. In Sachsen-Anhalt denkt man jetzt darüber nach, einen Windpark speziell für Intel zu errichten. Die Verfügbarkeit von ausreichend Ökostrom war von dem Unternehmen als ein Faktor benannt worden, der den Ausschlag für Magdeburg gegeben hatte.

Für zunehmenden Unmut sorgt bei Landespolitikern, dass viele Probleme häppchenweise durch Medienberichte publik und wichtige Fragen nicht öffentlich beantwortet werden. Eva von Angern, Fraktionschefin der Linken im Magdeburger Landtag, sprach von »Hinterzimmer-Politik«. Die Ansiedlung und die damit entstehenden Jobs wären »ein Segen« für das Land, betonte sie, fügte aber an: »Fragen müssen erlaubt sein.« Mehr Transparenz sei nicht zuletzt wegen der »besonders hohen Subventionierung« erforderlich. Im Parlament hatte die Linke kürzlich die Einsetzung eines Sonderausschusses beantragt, in dem über Themen wie die Energie- und Wasserversorgung der Fabriken, den Flächenverbrauch, die Infrastruktur oder die Strategie zur Fachkräftegewinnung informiert und beraten werden soll. Die Koalition aus CDU, SPD und FDP lehnte ab. Von Angern mahnte jetzt aber, der Erfolg der Ansiedlung werde wesentlich davon abhängen, ob die von der Politik dafür getroffenen Maßnahmen »für die Menschen in Sachsen-Anhalt verständlich sind oder ob sie auf Unmut stoßen und damit abgelehnt werden«.

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