- Politik
- Kasachstan
Kasachstan zieht Zügel bei Migranten an
In Russland gesuchter Anarchist soll ausgeliefert werden
Am 1. April wird Denis Kosak zwanzig Jahre alt. Die Chancen, dass er seinen Geburtstag in einem russischen Gefängnis feiern wird, sind nicht gerade gering. Seit dem 9. Februar sitzt der aus dem südrussischen Gebiet Rostow stammende Anarchist in einem kasachischen Gefängnis. Der russische Staat wirft ihm »Terrorismus-Propaganda oder die Rechtfertigung dieser« vor, darauf stehen bis zu sieben Jahre Haft.
Kosak geriet ins Visier der russischen Behörden, nachdem er in sozialen Netzwerken über das Selbstmordattentat des Anarchisten Michail Schlobizki geschrieben hatte, der sich 2018 in der nordrussischen Hafenstadt Archangelsk im lokalen Gebäude des Inlandsgeheimdiensts FSB in die Luft gesprengt hatte. Im April 2022 durchsuchten Sicherheitskräfte seine Wohnung und beschlagnahmten Telefon, Computer und Bücher. Kosak beteuerte, in seinen Online-Kommentaren die Tat Schlobizkis nicht offen gutgeheißen zu haben. Das im Juni gegen den 19-Jährigen eröffnete Verfahren ist eines von knapp 50 landesweit im Zusammenhang mit dem Anschlag in Archangelsk. Kosak schaffte es dennoch, sich im August nach Kasachstan abzusetzen.
Anfängliche Hilfsbereitschaft ist vorbei
Kosak wurde am 9. Februar in der ehemaligen Hauptstadt Almaty festgenommen, nachdem die kasachischen Behörden festgestellt hatten, dass sein 90-tägiges Visum bereits im Dezember ausgelaufen war. Zwei Tage nach der Festnahme verhängte ein Gericht eine 40-tägige Haftstrafe. Weil Russland Kosak international zur Fahndung ausgeschrieben hatte, droht ihm nun die Auslieferung in seine Heimat.
Der Fall des Anarchisten hat eine nicht zu unterschätzende Dimension. Nachdem Kremlchef Wladimir Putin im September die Teilmobilisierung verkündete, flohen die Russen massenhaft ins Ausland. Allein nach Kasachstan kamen damals 406 000 russische Staatsbürger, 6000 bis 7000 jeden Tag. An den Grenzen bildeten sich kilometerlange Schlangen mit mehreren Tagen Wartezeit. Einige Russen versuchten sogar, sich zu Fuß durch die Steppe durchzuschlagen. Damals leisteten die Menschen und Behörden in Kasachstan große Hilfe, verteilten Lebensmittel an die Ankömmlinge und halfen ihnen bei der Bürokratie.
Im Oktober stabilisierte sich die Situation allmählich und schon kurze Zeit später begann die Diskussion über den Umgang mit den Zugereisten. Bereits im November versicherte der Regierungschef Älichan Smajylow auf eine parlamentarische Anfrage, die Regeln zur Einbürgerung zu verschärfen. Wer den himmelblauen Pass der zentralasiatischen Republik haben will, muss Kenntnisse von kasachischer Sprache, Geschichte und Gesetzen nachweisen. Doppelte Staatsbürgerschaften soll es nicht geben.
Russen fliehen in andere Länder weiter
Am 26. Januar verschärfte Kasachstan auch die Regeln für die Einreise und den Aufenthalt. Staatsbürger der Länder der Eurasischen Wirtschaftsunion, der neben Russland und Kasachstan noch Armenien, Belarus und Kirgisistan angehören, dürfen sich von nun an lediglich 90 Tage ohne Visum im Land aufhalten. Anders als zuvor erneuert sich die Frist nicht, wenn Betroffene kurzzeitig die Grenze überqueren und wieder einreisen. Wer als Ausländer nun länger bleiben will, muss eine Aufenthaltsgenehmigung beantragen und dabei ein Aufenthaltsziel angeben. Seit dem 8. Februar brauchen Russen dafür einen Reisepass. Zuvor reichte dafür der Inlandspass.
Die zunehmenden Verschärfungen in Kasachstan könnten für Russen, die in ihrer Heimat Repressionen fürchten müssen, zu einem Problem werden. Viele ziehen weiter in Staaten, in denen sie vor der Auslieferung sicher sind. Der Antrag Kosaks auf politisches Asyl läuft noch. Und es besteht die Hoffnung, dass Kasachstan Russlands Bitte letztendlich nicht nachkommt. Denn den Paragraphen, der den Anarchisten ins Gefängnis bringen könnte, gibt es in Kasachstan nicht. Dies, so die NGO Kasachisches internationales Menchenrechtsbüro, könnte die Auslieferung verhindern. Dafür setzen sich auch Anarchisten in Armenien ein. Am 15. Februar organisierten sie eine Solidaritätskundgebung vor der kasachischen Botschaft in Jerewan.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.