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Rechtsextremismus: Extrem alltäglich
Rechtsextremismusforschung und Soziale Arbeit suchten den Dialog, um rechter Gewalt und Ideologie entgegenzuwirken
Was kennzeichnet rechte Ideologien? Wie weit sind diese verbreitet und warum sind Menschen so anfällig dafür? Diesen und weiteren Fragen widmet sich die »Rechtsextremismusforschung« und bezieht sich dabei auf das Phänomen als soziale Bewegung oder Einstellung. Der Alltag der Menschen wird meist nur am Rande in den Blick genommen. Dabei ist er oft von hoher sozialer Ungleichheit und Ausschließungsmechanismen geprägt, die Effekte politischer und ökonomischer Strukturen sind. Rechtsextremismus ist durch diese gesellschaftlichen Widersprüche vermittelt. Der Alltag steht stattdessen im Fokus der Sozialen Arbeit, die in der Regel nur dann ins Spiel kommt, wenn nach schnellen Lösungen eines Problems gesucht wird, nicht nach dessen Analyse.
Dabei bietet die Soziale Arbeit als wissenschaftliche Disziplin genügend produktive Anknüpfungspunkte und kritische Forschungstraditionen, die das Phänomen der Sozialen Ausschließung nicht als scheinbares »Extrem« oder Problem an den Rändern begreift. Soziale Arbeit kann Ressource im Alltag und kritische Instanz sein, beteiligt sich aber auch an der Verwaltung sozialer Ausschließung. Sie ist daher einerseits Ziel von Angriffen rechter Bewegungen und bietet andererseits attraktive Zugänge für rechte Akteure. Zusätzlich ist Soziale Arbeit historisch eng mit gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnissen sowie den Kämpfen dagegen verbunden.
An dieser Schnittstelle setzte die Podiumsdiskussion des »Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft« und der »Zeitschrift für Rechtsextremismusforschung« an, die am 13. Februar online stattfand. Ausgangspunkt waren die Fragen, inwiefern Sozialarbeits- und Rechtsextremismusforschung sich gegenseitig befruchten, ihre gesellschaftliche Relevanz erhöhen und auf die Herausforderungen extrem rechter Bewegungen Antworten finden können. Vor dem Hintergrund der Debatten beider Disziplinen in den vergangenen Jahren, machte die Diskussion auf (selbst-)kritische Analysen aufmerksam und benannte deren blinde Flecken. Dabei verwies die Veranstaltung auch explizit auf Zusammenhänge des unzureichenden gesellschaftlichen Umgangs mit rechten Bewegungen.
Perspektiven einnehmen
Die Podiumsdiskussion verlängerte damit eine Debatte, die in der letzten Ausgabe der erst 2021 gegründeten »Zeitschrift für Rechtsextremismusforschung« geführt wurde. Die drei Diskutantinnen an dem Abend hatten je einen Text zur aktuellen Schwerpunktausgabe beigetragen, die den Titel »Sozialarbeitsforschung. Zur Weiterentwicklung der Disziplin Soziale Arbeit durch Einbezug von Perspektiven der Rechtsextremismusforschung« trägt und online frei verfügbar einzusehen ist. Die drei analytischen Zugänge sollten wenig thematisierte oder gesellschaftlich unsichtbar gemachte Perspektiven in dem Problemzusammenhang in den Mittelpunkt rücken. Esther Lehnert, Professorin für Theorie, Geschichte und Praxis Sozialer Arbeit an der Alice Salomon Hochschule (ASH) Berlin, moderiert die Veranstaltung.
Lucia Bruns, die zur Entstehungsgeschichte des NSU-Komplexes im Kontext akzeptierender Jugendarbeit forscht, unterstrich die Bedeutung von Geschlechterverhältnissen. Sie betonte, dass geschlechterreflektierende Perspektiven nicht als »Add-on«, sondern als analytische Notwendigkeit für ein Verständnis rechter Gewalt begriffen werden müssen. Dafür griff sie auf von ihr geführte Interviews mit Fachkräften zurück, die in den 1990er Jahren in Jugendklubs arbeiteten. Geschlecht und Geschlechterverhältnisse nicht zu markieren, das zeige die Forschung, führe zu Entpolitisierung von Männlichkeit in der Bildung rechter Szenen. Es nehme rechte Frauen nicht als politische Subjekte ernst und verstelle zudem den Blick auf misogyne Gewalt. Von dieser analytischen Integration von Geschlecht und Männlichkeit als Kategorien würde schließlich auch die Forschung zu Rechtsextremismus profitieren. Unschwer sind die Schnittmengen zu anderen Kategorien und gesellschaftlichen Verhältnissen von Rassismus und Antisemitismus erkennbar.
Die Perspektive von Professorin Marion Mayer, Beratungswissenschaftlerin an der ASH, speiste sich aus ihrer Forschung zu Feldern, die oft nicht im Kontext autoritär rechter Bewegungen betrachtet werden. Sie untersucht Beratungsstellen, die sich unter anderem mit LGBTIQ-Themen befassen oder Wohnungslose beraten. Diese Einrichtungen werden häufig von Rechten angegriffen. In der Folge beobachtet Mayer bei den dort Beschäftigten Verunsicherung, aber auch Auseinandersetzungen mit Fachexpertisen und eine generelle Politisierung. Entgegen Beratungsansätzen, die politische Neutralität anstreben, erkennt Mayer bei den Befragten sehr wohl Bedarf an politischen Auseinandersetzungen mit Diskriminierung und rechten Bewegungen. Diesbezüglich könnten Beratungswissenschaften von Forschungen zu Autoritarismus und Rechtsextremismus lernen. Die untersuchten Felder öffneten Möglichkeitsräume für positionierte Beratung. Die Beratungsstellen seien oft selbst aus sozialen Bewegungen hervorgegangen, die alltägliche Ausschließungsprozesse thematisierten. Jene also, die in der Rechtsextremismusforschung weniger eine Rolle spielten.
Die Perspektive von Betroffenen rechter Gewalt ist der Ausgangspunkt für die Analyse, die Gesa Köbberling beitrug. Für die Professorin für Soziale Arbeit an der EH Freiburg ist Gewalt konstitutiv für rechte Bewegungen. Das Bild vom »baselballschlägerschwingenden jungen Mann« sei allerdings wenig hilfreich. Inwiefern rechte Gewalt ein Thema für die gesamte Gesellschaft ist, könnten die Perspektiven von Betroffenen auf besondere Weise offenlegen: rassistische, antisemitische Zuschreibungen, das Aussehen, die Zugehörigkeit zu einer Jugendkultur oder andere politische Meinungen führten zu Markierung, Demütigung und Gewalt. So Köbberling, die auf die Forderungen von Überlebenden rechter Anschläge verwies. Gleichzeitig spielten die Perspektiven und Erfahrungen von Betroffenen nach den Angriffen und auch im Alltag kaum eine Rolle und würden unsichtbar gemacht. Forschung dazu sei wichtig, trage aber eine Verantwortung. Sie sollte immer begleitet werden von der Frage, wie Betroffene einbezogen werden können, ohne sie zu instrumentalisieren. Die Einbindung entsprechender Perspektiven, das zeigte Köbberling, hat eine analytische und erkenntnistheoretische Dimension: Sowohl für Soziale Arbeit, als auch für das Verständnis von autoritären Bewegungen.
Verschränkungen schaffen
Den Diskutantinnen wurden anschließend gemeinsame Fragen gestellt, die von der Moderatorin Esther Lehnert in der zweiten Hälfte der Veranstaltung eingebracht wurden. So etwa die seit Jahrzehnten öffentlich diskutierte Frage, ob man der Gefahr der »Ossifizierung« entgegenarbeiten müsse und es tatsächlich eine ostdeutsche Spezifik des Rechtsextremismus gebe? Die Forscherinnen bleiben dazu ambivalent. Dass die Situation im Osten und ihre Erforschung sich von der im Westen unterscheide, darauf gebe es Hinweise. Dass aber rechte Gewalt eben kein rein ostdeutsches Phänomen ist, wurde ebenso klargestellt. Der Tenor der Ausführungen war dabei: Westdeutsche Gewaltverhältnisse müssen genauso in den Blick genommen werden wie Kontinuitäten autoritärer Vergesellschaftung in der ehemaligen DDR – ohne reflexhaft Identitäten festzuschreiben. Internationale Perspektiven könnten die engen deutschen Debatten erhellen, das wurde auf dem Podium immer wieder deutlich. Aber dazu gehöre auch, dass diese nicht ungebrochen übertragbar seien und daher in deutschen Diskussionen meist eine geringe Rolle spielten.
Zum Schluss wurden – auch in der Beantwortung von Fragen aus dem Chat der Veranstaltung – weitere begriffliche Aspekte angesprochen. Die Forschung müsse etwa die Macht- und Herrschaftsverhältnisse in den Blick nehmen, die rechten Bewegungen den Boden bereiten, meinte nicht nur Lucia Bruns. »Rechtsextremismus« als Begriff sei demzufolge insofern schwierig, als es in allen Beiträgen des Abends eben nicht um Fragen des Extremen ging, ergänzte Esther Lehnert. Das Fehlen einer Sprache zeigt sich hier deutlich, so Marion Mayer, ebenso ein Fehlen kritischer empirischer Forschung insgesamt. Diese könnte, so stellten die Forscherinnen fest, unterschiedliche Aspekte erhellen. Empirische Untersuchungen fehlen auch in Bezug auf Ableismus, Sozialdarwinismus und Angriffe auf politisch Andersdenkende, ergänzte Gesa Köbberling.
Eine Verschränkung dieser Perspektiven wäre sicher hilfreich und notwendig. Die Podiumsdiskussion lieferte für solche Verbindung von alltäglicher Ausschließung und Rechtsextremismus eine Annäherung. Und es gibt weitere gesellschaftstheoretisch fruchtbare Ansätze in der Wissenschaft, ebenso wie ganz alltägliche Auseinandersetzungen nicht nur in Feldern der Sozialen Arbeit. Es bieten sich – neben den Arbeiten der Diskutantinnen – weitere Perspektiven an, um diese sinnvollen Ansätze zusammenzubringen. Kritische Kriminologie etwa, auf der Veranstaltung angedeutet, kann verständlich machen, wie sich Institutionen an sozialer Ausschließung beteiligen. Konfliktorientierte Sozialarbeitsforschung thematisiert alltägliche Effekte gesellschaftlicher Widersprüche. Sozialpsychologische Studien wie die Leipziger Autoritarismus-Studien liefern wertvolle Empirie sowie begriffliche Aktualisierungen des Autoritarismus. Im Zusammenspiel von alltäglichen, oft unsichtbaren Auseinandersetzungen und wissenschaftlicher Reflexion kann deutlich gemacht werden, inwiefern in Zeiten multipler Krisen rechte Bewegungen vorhandene soziale Ausschließungen antizipieren und wie beidem entgegnet werden kann.
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