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Politik von anderen für andere
Wählen ist zum Hobby einer stetig schrumpfenden Bevölkerungsgruppe geworden
Herrje, schon wieder eine Wahl! Da mussten wir schon wieder an die Urnen! Könnten wir nicht endlich in Ruhe beherrscht werden? Die Kritik an der Wahlwiederholung in Berlin ist so notwendig, wie sie wohlfeil ist – als gäbe es, wer weiß, plötzlich eine Demokratieinflation.
Ja, die Mischung aus Schlamperei und Überforderung, die die Neuwahlen nötig machte, ist sicherlich irgendwie auch »Berliner Verhältnissen« geschuldet, irgendwie »typisch«. Nirgendwo sonst erscheint eine Stadtverwaltung zugleich so auf Kante genäht und kafkaesk verwinkelt wie hier. Verwaltung in Berlin ist manchmal wirklich Glückssache, und die Wahlwiederholung drückt das plastisch aus. Gleichzeitig mischt sich in die überwiegend von Konservativen vorgetragene Kritik eine seltsame Häme: gerade so, als wäre das Behördenchaos unter einer konservativen Regierung auf magische Weise verschwunden. Leicht sexistische Obertöne gesellen sich hinzu – Giffey lässt sich sicher vieles vorwerfen, aber einer ein paar Monate amtierenden Frau den jahrzehntelang gewachsenen Filz anzulasten, fällt auf die Ankläger zurück.
Leo Fischer ist Journalist, Buchautor und ehemaliger Chef des Satiremagazins »Titanic«. In seiner Kolumne »Die Stimme der Vernunft« unterbreitet er der aufgeregten Öffentlichkeit nützliche Vorschläge und entsorgt den liegengelassenen Politikmüll. Alle Texte auf dasnd.de/vernunft.
Schnell scheint ein ganz anderes Problem auf: Wählen ist das Hobby einer ganz bestimmten und stetig schrumpfenden Bevölkerungsgruppe geworden, nicht nur in Berlin. Ein überwältigender Prozentsatz der Einwohner*innen Berlins wählt überhaupt nicht. Einmal, weil der Erwerb der Staatsbürgerschaft auch nach Jahrzehnten mustergültiger Sesshaftigkeit eine Tortur ist. Steuern zahlen soll man, aber mitbestimmen darf man nur durch die Gnade der Geburt. Ein anderer, gewichtigerer Teil hat sich hingegen schon längst von Wahlen als solchen verabschiedet; Politik wird nicht länger als bestimmender Faktor der Wirklichkeit empfunden. Das hat mit der liberalen Klage über »Politikverdrossenheit« nichts zu tun: Es fehlt nicht an Motivation oder dem odiosen »Engagement«. Politik findet für diesen Teil der Bevölkerung von anderen für andere statt; sie ist nicht Teil einer formbaren Realität, sondern, wie der Profisport oder der Promi-Newsflash, eine eigengesetzliche, halbfiktionale, anekdotische Parallelwelt, die dem eigenen Zugriff entzogen ist. Diese Schicht würde selbst dann nicht repräsentiert, wenn man sie an die Urnen zwingen würde – zur Repräsentation gehörte ein Wille, der irgendwie ins politische System übersetzt werden könnte. Autoritäres Denken hat es hier schon deshalb so leicht, weil die vorherrschende Form des Bewusstseins eigentlich schon die der Diktatur ist – die Leute leben schon so, als wären sie machtlos, obwohl sie faktisch alles über den Haufen werfen könnten.
Aber alle Überlegungen, die Partizipation zu verbessern, kommen schon wieder von denen ganz oben, selbst wenn sie gut gemeint sind. Mit der aus anderen Gründen eingegangenen Piratenpartei scheinen alle Hoffnungen auf eine irgendwie digitale Demokratie, die nicht noch in jedem Aktenwägelchen auch den Geist von Postkutsche und Telegraf beförderte, vorerst beerdigt. Millionen stimmen jede Woche bei faktisch wirkungslosen Campact-Petitionen mit, während ein Bürgermeister von ein paar Tausend gewählt wird. Aber selbst eine komplette Reform des Systems würde doch dort scheitern, wo der politische Wille schon atomisiert ist, zerrieben von Kulturindustrie, stumpfsinniger Arbeitswelt und Konsum als einziger Form wahrnehmbarer Selbstwirksamkeit. Es ist schlicht zu wenig dort zu repräsentieren, wo den Leuten schon das Vokabular abtrainiert wird, ihren Kummer auf den Begriff zu bringen.
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