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Putin setzt New Start-Abkommen aus
Dokumente zur vermeintlichen Eingliederung von Belarus sorgen für Aufsehen
Wladimir Putin erschien ungewöhnlich pünktlich auf der Bühne im Moskauer Gostinnyj dwor. Nur fünf Minuten mussten die 1500 Gäste auf die erste Rede zur Lage der Nation während des Krieges in der Ukraine auf den russischen Präsidenten warten, bevor er knapp zwei Stunden lang gegen den Westen austeilte und Reformen für Russland versprach.
Russland lebe in einer kritischen Zeit, in der es um die Zukunft gehe, erklärte Putin und machte erneut die USA und den gesamten Westen für den Krieg in der Ukraine verantwortlich. »Der Westen hat den Dschinn aus der Flasche gelassen«, sagte Putin und betonte, dass sein Land stets ein verlässlicher Partner gewesen und nun hintergangen worden sei.
Die Ereignisse rund um die Ukraine hätten gezeigt, dass das Bild vom Westen falsch sei. Putin griff insbesondere die Geschäftsleute an, die sich in den Westen abgesetzt haben oder ihre Kinder dort studieren lassen. Die Zukunft müsse in der russischen Heimat liegen, mahnte Putin, der Russland als »eigene Zivilisation« sieht, die sich auf ihre Werte besinnen müsse. Trotz der Sanktionen gehe es der Wirtschaft gut, erklärte Putin und kündigte an, Unternehmen zu Innovationen zu stimulieren, die auch der Armee dienen sollen.
Atomwaffentests wieder möglich
Dass der Westen zur Kontrolle der Atomwaffen zurückkehren wolle, bezeichnete Russlands Präsident als »absurdes Theater«, das unter den aktuellen Umständen unmöglich sei. Russland werde stattdessen die Teilnahme am New Start-Vertrag aussetzen, der die strategischen Atomwaffenarsenale Moskaus und Washingtons begrenzt. »Wir ziehen uns nicht daraus zurück, aber wir setzen unsere Teilnahme aus«, betonte Putin.
Ein wenig überraschend kündigte Russlands Präsident mögliche Nukleartests an. »Das Verteidigungsministerium und Rosatom müssen die Bereitschaft zu Atomwaffentests sicherstellen. Selbstverständlich werden wir das nicht als Erste tun.« Sollten die USA jedoch wieder Tests aufnehmen, werde Russland auch welche durchführen.
Aus der Duma erhielt Putin für diese Entscheidung Zustimmung. Man wolle niemandem drohen, sondern den Abwehrschirm ausbauen, erklärte der Vorsitzende des Duma-Komitees für die GUS, die eurasische Integration und die Verbindung zu Landsleuten, Leonid Kalaschnikow, der Nachrichtenseite Podjom. »Das ist die beste Medizin, damit sie zur Besinnung kommen. Das hat sie zu Zeiten der UdSSR gezwungen, sich an den Verhandlungstisch zu setzen, und ich hoffe, dass es sie jetzt abkühlt.«
Nächste Annexion in Belarus?
Für Aufsehen sorgte ein Bericht, der wenige Stunden vor Putins Rede in mehreren Medien wie der »Süddeutschen Zeitung« veröffentlicht wurde. Gemeinsam mit internationalen Partnern hatte das Münchner Blatt ein russisches Strategiepapier zu Belarus ausgewertet, das jedoch nicht eindeutig verifiziert werden kann. Das 17-seitige Papier, schreibt die »Süddeutsche Zeitung«, beweise, wie Russland den Nachbarstaat nach und nach einnehmen möchte. Am Ende des Prozesses soll ein Unionsstaat entstehen, in dem Moskau das Sagen hätte, was einer Annexion gleichkomme, heißt es. Laut dem aus dem Jahr 2021 stammenden Dokument hat sich Russland bis 2030 das Ziel gesetzt, sich Belarus einzuverleiben.
Konkret geht es um den Ausbau des russischen Einflusses in Gesellschaft, Politik, Medien und Militär. Unter anderem, so die »Süddeutsche Zeitung«, sollen belarussische Medien auf Kremllinie gebracht und belarussische Studenten an russische Hochschulen geschickt werden, um so anschließend Einfluss zu gewinnen. Allerdings, das muss selbst der Autor eingestehen, sind viele der Maßnahmen im Strategiepapier längst Realität, teilweise, bevor das Dokument erstellt wurde. Bereits seit den 1990er Jahren sind Belarus und Russland bereits Unionsstaaten und mit jeder Wahl musste der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko einen Teil seiner Wirtschaft an russische Unternehmen abgeben. Auch die Presse ist seit 2020 fest in russischer Hand. Dass Soldaten beider Länder gemeinsam üben, ist auch nicht neu. Lediglich Lukaschenkos Weigerung, in den Krieg in der Ukraine einzutreten, ist ein kleines Zeichen der Nichtintegration.
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