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  • Gipfel gegen Jugendgewalt

Giffey allergisch gegen »Projekteritis«

Nach dem zweiten Gipfel gegen Jugendgewalt soll Geld in bestehende statt in neue Projekte fließen

  • Nora Noll
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Raketen sind schon lange verschossen, die aufgeregten bis rassistischen Rufe nach Konsequenzen verklungen. Auf die Krawalle und Angriffe gegen Polizei und Rettungskräfte in der Silvesternacht reagierte der Senat Anfang Januar mit einem schnell einberufenen, von manchen als aktionistisch bewerteten Gipfel gegen Jugendgewalt. Der fand am Mittwoch seine Verstetigung: Nach sechs Wochen Austausch und Planung in entsprechenden Arbeitsgruppen kamen die Akteur*innen aus der Jugendhilfe und Sozialarbeit zu einem zweiten Gipfeltreffen zusammen.

Im Anschluss informierte der Berliner Senat darüber, wie die Impulse aus der Jugendhilfe und Sozialarbeit umgesetzt und finanziert werden. Alle Maßnahmen stünden unter dem Motto: »Unterstützung der Regelstrukturen anstatt Projekteritis.« Bestehendes ausbauen, anstatt neue, kurzfristige Projekte zu schaffen, das hätten sich die Partner*innen aus der Praxis gewünscht, betonte die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) gleich zu Anfang.

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Auf dem ersten Gipfel am 11. Januar hatten sich die Beteiligten auf vier zentrale Themenfelder geeinigt: »Elternarbeit und Schulsozialarbeit«, »außerschulische Jugendsozialarbeit«, »starke Stadtteile und Orte für Jugendliche« und »klare Konsequenzen bei Straftaten und Grenzüberschreitungen«. Nur der letzte Bereich fällt in die Verantwortung der Innenverwaltung, für die übrigen drei ist die Senatsverwaltung für Jugend, Bildung und Familie zuständig.

Deshalb sitzt bei der Pressekonferenz neben Giffey nicht Innensenatorin Iris Spranger (SPD), obwohl sie zu dem ersten Gipfel eingeladen hatte, sondern die Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD). Daneben befindet sich Jana Borkamp (Grüne), Staatssekretärin für Finanzen. Sie ist gefragt, weil es Geld braucht. Beim ersten Gipfel hatte Giffey ein Millionenpaket für die Jugendsozialarbeit versprochen.

Das Versprechen scheint sie einzuhalten. Für 2023 sind 20 Millionen, 2024 dann 70 Millionen Euro für insgesamt 29 Maßnahmen vorgesehen. Nur bei einer geht es um Strafverfolgung. Für die Staatsanwaltschaft sollen im Bereich der Jugendkriminalität sieben neue Stellen geschaffen werden. Viele der übrigen Punkte betreffen ebenfalls Personalfragen: Das Team der Psycholog*innen und Sozialarbeiter*innen an Schulen soll um 13 Stellen erweitert werden, zwölf neue Stadtteilmütter sollen sich auch um ältere Jugendliche kümmern, an 16 weiteren Standorten will man Kita-Sozialarbeit anbieten. Auf ganz Berlin betrachtet wirken die Zahlen klein. Giffey betonte jedoch, dass die Investitionen gezielt in sozial benachteiligte Quartiere fließen würden. »Nicht mit der Gießkanne«, sagt Giffey, sondern dahin, wo es brenne. Sechs Bezirke nennt sie als Fokusgebiete: Neukölln, Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg, Tempelhof-Schöneberg, Marzahn-Hellersdorf und Lichtenberg.

Neben den Stellen braucht es Ressourcen – Orte etwa, wo sich Jugendliche auch nach 18 Uhr aufhalten können. »Die Jugendlichen, von denen wir sprechen, haben meistens kein eigenes Zimmer. Warum kann man nicht Orte schaffen, wo sie einfach mal chillen können?«, so die Bildungssenatorin Busse. Neben Sanierungen und verlängerten Öffnungszeiten der bestehenden Einrichtungen sei besonders eine Idee im Austausch mit Jugendlichen gut angekommen: Mitternachtssport. Wenn sie nachts noch einmal in die Turnhalle dürften, fänden das die jungen Menschen »sehr cool«. »Es würde auch nichts kaputtgemacht. Wenn ich mich an einem Ort wohlfühle, mache ich den nicht kaputt«, fügt Busse vorsorglich hinzu.

Ralf Gilb, Geschäftsführer des Trägers für Jugendsozialarbeit Outreach, ist zufrieden mit dem Gipfel. »Es war ein guter Prozess, es wurde nicht einfach vom Schreibtisch aus entschieden«, sagt er »nd«. »Und wenn Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit gestärkt werden, ist das zu begrüßen.« Ein bisschen schade finde er, dass es erst die Silvesterkrawalle als Anstoß gebraucht habe. »Wir rufen ja schon lange nach verstärktem Engagement. Aber Jugendsozialarbeit steht in Berlin, wie überall, nicht an erster Stelle, wenn man an Finanzierung denkt. Da wird gerne gespart oder der Status quo erhalten.«

Auch bei Outreach seien etliche Projekte unterfinanziert und unterbesetzt, erzählt Gilb. »Wir brauchen nicht irgendwelche Sonderprojekte, die dann nach zwei Jahren auslaufen. Uns ist es wichtig, die Teams in den Brennpunktgebieten so aufzustellen, dass sie sinnvolle Arbeit leisten können.« Die Maßnahmen stimmen ihn zuversichtlich. Anfang bis Mitte März will der Senat die einzelnen Punkte und insbesondere die Finanzierung endgültig beschließen.

Die Frage, ob Giffey das überhaupt darf – Geld verteilen, bevor sich eine neue Regierung gebildet hat – wiegelt die noch regierende Bürgermeisterin bereits ab, bevor die Frage fällt: »Ich sage gleich: Die Legislatur läuft, wir haben einen handlungsfähigen Senat. Wenn man ernsthaft mit den Silvesterereignissen umgehen will, die eine Zäsur waren, muss man alles dafür tun, dass wir dieses Jahr ein anderes Silvester haben.«

Eine Idee, wie ein beruhigter Rutsch in das Jahr 2024 aussehen könnte, hat Giffey bereits. Einrichtungen müssten die Nacht über geöffnet haben. »Wir kennen das vom 1. Mai, da ist auch durch zusätzliche Angebote vieles aufgefangen worden.« Gilb von Outreach kann sich ebenfalls vorstellen, dass ein langfristiger Ausbau der Jugendsozialarbeit zu weniger Eskalation an Silvester führt. »Das wird natürlich nicht dazu führen, dass in Neukölln Silvester gefeiert wird wie in Zehlendorf. Aber die Krawalle sind Ausdruck der Lebenssituation der Jugendlichen, da kann mehr Jugendsozialarbeit sicherlich dazu beitragen, dass es weniger eskaliert.«

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