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Organigramm der Selbstverwaltung

Deutsche Wohnen & Co enteignen hat ein Gerüst für die demokratische Verwaltung großer Wohnungsbestände vorgelegt

  • Yannic Walther
  • Lesedauer: 7 Min.

Seit langem schweben die drei Buchstaben in der Debatte umher. Eine AöR solle den Job übernehmen. So antworten Aktivisten der Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen immer wieder auf die Frage, wie denn die Wohnungen verwaltet würden, die in Berlin nach dem Willen des Volksentscheids vom September 2021 vergesellschaftet werden sollen. Eine Anstalt des öffentlichen Rechts also: Die Berliner Verkehrsbetriebe sind eine, die Stadtreinigung auch – das klingt erst einmal wenig revolutionär.

Für die Vergesellschaftungsaktivisten ist die AöR allerdings die institutionelle Möglichkeit, die eine bisher nicht gekannte demokratische Verwaltung großer Wohnungsbestände Realität werden ließe. In einer 60-seitigen Broschüre – Titel: »Gemeingut Wohnen« – haben sie nun ausgeführt, wie diese im Detail aussehen könnte. »Das ist unser Modell, wie demokratische Organe und nicht Verwaltungen im Leerlauf oder schlicht die Profitinteressen der Aktionäre entscheiden«, sagte Ralf Hoffrogge von der Initiative bei der Vorstellung in dieser Woche.

Über Räte auf Siedlungs- und Gebietsebene bis zu einem berlinweiten Gesamtrat sollen die Mieter vergesellschafteter Wohnungen selbst entscheiden können, etwa über Gewerbevermietungen. Statt Gewerbemietern, die am meisten Miete bringen, könnten so beispielsweise jene ins Erdgeschoss ziehen, die den Bedarf der Nachbarschaft bedienen.

Die Mieter würden ihre Vertreter im Siedlungs- und Gebietsrat selbst wählen, wobei aus letzterem dann per imperativem Mandat jeweils ein Vertreter in den Gesamtrat entsandt wird, aus dem wiederum Mietervertreter in den Verwaltungsrat der AöR geschickt werden. Diese höchste Entscheidungsinstanz in der von Deutsche Wohnen & Co enteignen vorgeschlagenen Struktur ist vergleichbar mit dem Aufsichtsrat bei Börsenunternehmen. Es wäre allerdings ein Gremium, in das sowohl Vertreter der Mieter, der Beschäftigten, der Stadtgesellschaft sowie des Senats entsandt werden.

Auch bei den landeseigenen Wohnungsunternehmen gibt es mit Mieterräten und Beiräten Gremien der Mitbestimmung. Die Mieterräte auf der unternehmensweiten Ebene sind durch den Mietenvolksentscheid von 2015 erkämpft worden. Ihr Einfluss sei aber wie auch der der Mieterbeiräte auf der Quartiersebene »marginal«, sagt Hoffrogge. Im Modell der Vergesellschaftungsinitiative wäre es zum Beispiel kaum vorstellbar, dass Nachverdichtungen gegen den Willen und ohne Beteiligung von Nachbarschaften durchgedrückt werden, wie es bei landeseigenen Wohnungsunternehmen immer wieder der Fall ist.

Die als GmbHs oder Aktiengesellschaften verfassten Wohnungsunternehmen im Landesbesitz sind ohnehin keine Blaupause für die Verwaltung nach Artikel 15 des Grundgesetzes vergesellschafteter Wohnungen. »Es besteht Einigkeit darüber, dass ein schlichter Transfer von Eigentumstiteln an den Staat nicht ausreicht«, sagte Isabel Feichtner am Mittwoch bei einer Anhörung der vom Senat im vergangenen Jahr eingesetzten Expertenkommission, die über die Umsetzbarkeit des Volksentscheids berät. Die Professorin für Öffentliches Recht an der Universität Würzburg ist eine von 13 Kommissionsmitgliedern.

Klar ist: Im Grundgesetz ist sehr wohl auch von Gemeineigentum und Gemeinwirtschaft die Rede. »Gemeinwirtschaftliche Wohnungswirtschaft ist kein Hexenwerk, sondern in Deutschland und Europa vielfach gelebte Praxis«, erklärte der zur Anhörung eingeladene Stadtforscher Tobias Bernet, der auf das bekannteste Beispiel verweist: Genossenschaften. Diese sind mit ihrer satzungsgemäßen Gewinnbeschränkung und Vermögensbindungen einem gemeinwirtschaftlichen Zweck verpflichtet. Mieter sind nicht nur Kunden der Genossenschaften, sondern durch ihre Anteile gleichzeitig Eigentümer. In Berlin liegen die Mieten in Genossenschaften noch unter denen der Landeseigenen.

Doch auch bei Genossenschaften gibt es Baustellen. Dazu gehört die »Spardosenmentalität«: Es wird auf die Bestandsmitglieder geschaut und wenig in den Neubau investiert. Auch erfolgt die Vergabe von frei werdenden Wohnungen häufig an Verwandte von Genossenschaftsmitgliedern. Vorstände, die nicht selten aus der Privatwirtschaft kommen, haben auch in Genossenschaften oft freies Spiel. Auf der jährlichen Hauptversammlung wird abgenickt. »Buffets ersetzen die Mitbestimmung«, hat Ralf Hoffrogge das einmal genannt.

Die von Deutsche Wohnen & Co enteignen vorgeschlagene AöR soll vieles anders machen. Investitionen in die energetische Modernisierung sollen aus Gesamteinnahmen und nicht von den einzelnen Mietparteien bezahlt werden. Vergeben werden sollen die Wohnungen nach einem Losverfahren mit besonderer Berücksichtigung von Härtefällen. Wie hoch am Ende die Miete ausfällt, hängt aber wohl letztlich auch von der Entschädigungshöhe für die vergesellschafteten Wohnungsbestände ab.

Die Bewirtschaftung von Wohnungen selbst koste vergleichsweise wenig, sagt Stadtforscher Bernet, der auch Vorstand einer Leipziger Wohngenossenschaft ist. Die Kosten für Instandhaltung, Verwaltung, aber auch für Modernisierungen oder bei Mietausfällen: Das alles sei gering im Vergleich zu dem, was aufgebracht werden müsse, wenn Häuser und Boden mittels Kredit gekauft und dieser inklusive Zinsen getilgt werden muss. »Gewinnorientiertes Handeln mit Boden und Bestandsgebäuden ist das wesentliche Hindernis für bezahlbare Mieten.« Denn durch den immer wieder stattfindenden Weiterverkauf müsse eben auch jedesmal aufs Neue ein Schuldendienst geleistet werden, erklärte Bernet den Mitgliedern der Expertenkommission. Nun würde die Entschädigung für die Vergesellschaftung nicht zum Verkehrswert erfolgen – sofern die Kommission diese für möglich hält und sich eine politische Mehrheit findet. Geschenkt gibt es eine Viertelmillion Wohnungen aber auch nicht.

Bei so vielen zu verwaltenden Wohnungen stellt sich letztlich auch die Frage der Miss- und Günstlingswirtschaft. Dass die landeseigenen heute wie die privaten Wohnungsunternehmen verwaltet werden, resultiert auch aus den Erfahrungen mit öffentlich gesteuerten Wohnungsunternehmen in den 90ern, als Geld aus den Wohnungsunternehmen in den Landeshaushalt abgeführt wurde. Dass später der Managementgedanke einzog, hat ebenso wie die Verkäufe von Wohnungsbeständen, die nun wieder vergesellschaftet werden sollen, die Schieflage beendet. Die Reprivatisierung würde ohnehin ausgeschlossen werden, ein hohes Maß an in der Satzung festgeschriebener Transparenz die Selbstbedienung verhindern. »Wenn der RBB einen Marzahner und Neuköllner Hörer*innenrat hätte, die das Management so kontrollieren, wie das bei uns vorgesehen ist, dann hätte das nie passieren können«, kommentiert Ralf Hoffrogge von der Vergesellschaftungsinitiative dann auch den Skandal rund um die Ex-RBB-Intendantin Patricia Schlesinger.

Die Struktur, die die Initiative entworfen hat, scheint realitätsbewusst. Die Selbstverwaltung wird jedenfalls auch nicht verklärt. Weiterhin soll es eine Geschäftsführung und eine hauptamtlich tätige Verwaltung geben, die sich um die alltägliche Bewirtschaftung kümmere. Über die Reparatur der Toilette müssen nicht erst Gremien entscheiden. Am Ende sollen Quartiere auch nicht verfallen, weil sich niemand an den Mitentscheidungsstrukturen beteiligt. Die Initiative Kommunal und Selbstverwaltet Wohnen hatte mit Blick auf einzelne Häuser der landeseigenen Wohnungsunternehmen einmal ein Modell entwickelt, das einpreist, dass Selbstverwaltung auch überfordern kann. Je nach Organisierungsgrad der Hausgemeinschaft sah dieses vor, dass einzelne Bereiche der Hausverwaltung wie in Bausteinen »dazugebucht« werden.

Die Frage, wie viel ehrenamtlich möglich ist und vor allem für wen, stellt sich auch bei den Mieterräten im Konzept der Vergesellschaftungsinitiative. Wer Vollzeit arbeitet, Kinder erzieht und Sprachbarrieren hat, dem fehlt in der Regel die Zeit und der Zugang zu solchen Gremien. Wenn aber alle Mieter repräsentiert werden sollen, dann dürfen am Ende nicht nur die Aktivisten, die ohnehin in mehreren Initiativen aktiv sind, in den Räten der verschiedenen Ebenen vertreten sein. Schaut man auf die Landeseigenen, dann zeigt sich: Nicht nur die Wahlbeteiligung für die Mieterräte fällt gering aus. Auch das Bild derer, die sich aktiv engagieren, ist nicht unbedingt übermäßig divers.

Man habe sich lange Gedanken darüber gemacht, sagt Ralf Hoffrogge. Wer merke, dass er nicht übergangen werde, der engagiere sich auch, glaubt er. Wenn also über mehr als nur die Farbe der Blumenkübel entschieden wird, dann bringen sich auch mehr Menschen ein. Vorbild der AöR solle deshalb auch das Kottbusser Tor sein, wo bei Häusern der Landeseigenen in einem Modellprojekt eine größere Mietermitbestimmung erprobt wurde. Auch das Konzept von bezahlten »Organizern«, die den Mietern die »Demokratie ein Stück weit hinterhertragen«, wolle man übernehmen. Ganz ehrenamtlich hat die Initiative bereits angefangen, Mieter in Siedlungen von Vergesellschaftungskandidaten zu organisieren. Alle Ungleichheiten würden dadurch nicht beseitigt werden. »Aber es wird mehr sein als alles, was bisher umgesetzt ist«, sagt er.

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