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  • Anhaltisches Theater Dessau: »Der König Kandaules«

Das Eigentum und die Befreiung

Alexander Zemlinskys Oper »Der König Kandaules« in einer exemplarischen Inszenierung am Anhaltischen Theater Dessau

  • Kai Köhler
  • Lesedauer: 4 Min.
Eine Königin hinterm Schleier: Iordanka Derilova als Nyssia in »Der König Kandaules«
Eine Königin hinterm Schleier: Iordanka Derilova als Nyssia in »Der König Kandaules«

Von unermesslichem Reichtum abzugeben: ist das edel oder Machtdemonstration? Der König Kandaules jedenfalls bewirtet nicht nur freigiebig die Adligen seines Reichs, er entschleiert vor deren Augen zudem seine Frau Nyssia. Er lässt auch den Fischer Gyges zu sich kommen. Gyges hat Kandaules zum Fest einen Fisch geschickt, in dessen Inneren sich ein Ring fand. Bringt das dem Armen Glück? Zunächst wird er von einem der hohen Herren verhöhnt, der behauptet, mit Gyges’ Frau geschlafen zu haben. Der Adel ist unantastbar, also erschlägt Gyges die vermeintliche Ehebrecherin.

Kandaules ist von dieser Konsequenz beeindruckt, lädt Gyges in den Palast ein und verrät ihm das Geheimnis des Rings, das er inzwischen entdeckt hat. Der Ring nämlich macht unsichtbar. Kandaules will dem neugewonnenen Freund zur Tarnung verhelfen und ihm Nyssia nackt vorführen. Von da an ist der zweite Teil der Katastrophe unabwendbar und wird eine überraschende Lösung möglich.

Der antike Kandaules-Mythos wurde immer wieder verarbeitet. 1933 musste der als jüdisch diffamierte Komponist Alexander Zemlinsky Berlin verlassen. In Wien begann er, eine Oper nach dem Drama »Le Roi Candaule« von André Gide zu schreiben. Als Österreich 1938 vom faschistischen Deutschland annektiert wurde, gelang es Zemlinsky zwar, in die USA zu fliehen. Doch wurde ihm schnell bedeutet, dass angesichts des dortigen Puritanismus eine Oper mit einer Nacktszene keine Chance haben würde. Auch war Zemlinsky krank, durch die Fluchterlebnisse erschüttert und brauchte wie fast alle Exilanten dringend Geld. Bis zu seinem Tod 1941 entstanden nur wenige Gelegenheitswerke und ein paar Schlager, die er unter dem Pseudonym Al Roberts veröffentlichen wollte.

Aus dem weitgehend ausgearbeiteten Material zum »König Kandaules« erstellte Antony Beaumont eine Fassung, die 1996 in Hamburg uraufgeführt wurde. Nun sind derlei Vervollständigungen niemals das, wofür sich der Komponist zuletzt entschieden hätte. In diesem Fall aber hat man es nicht mit einer bloßen Zugabe für Fans zu tun, sondern mit einer Synthese der Mittel, die Zemlinsky sich erarbeitet hatte. Er verfügt über die spätromantische Klangfülle des Jahrhundertbeginns, bis an die Grenze der Tonalität, doch anders als sein Schüler Schönberg kaum je darüber hinaus. Ergänzt hat er sie in den 20er Jahren durch Verfahrensweisen der Neuen Sachlichkeit, sogar fast brechtische epische Methoden. Mehrfach treten Figuren aus ihrer Rolle heraus und sprechen über ihre Situation.

Zemlinsky war Eklektiker, indem der auch als Dirigent angesehene Musiker vielerlei Einflüsse aufsog. Doch schmolz er sie in seinen ganz eigenen, unverkennbaren Ton ein. Kaum je ist ihm das besser gelungen als im »König Kandaules«. Die große Stärke schon in den früheren Opern: feinste Gefühlsregungen musikalisch herauszuarbeiten, war zuweilen musikdramatisch eine Schwäche. Die skrupulöse Feinheit der Komposition beförderte nicht immer die szenische Wirkung. Hier nun hat Zemlinsky ein Libretto eingerichtet, das beide Ebenen zusammenführt.

Auch thematisch ist das Stück eine Synthese. Das Interesse für die sexualisierte Frau entspricht dem der Wiener Kultur des Jahrhundertbeginns, das für Eigentumsfragen der Entstehungszeit. Wie setzt man das in Szene? Das Bühnenbild von Guido Petzold stellt keinen Palast dar, sondern lässt mit verschiebbaren Stellwänden dem Regisseur Jakob Peters-Messer alle Möglichkeiten. Dessen Personenführung klärt exemplarisch, wie das Verhältnis der Figuren zueinander sich entwickelt. Eine Opernregie, die nicht das Bühnengeschehen einer vorab festgelegten Idee unterwirft, sondern es aus dem musikalischen und dramatischen Verlauf entwickelt, ist ein heute seltenes Glück. Die Dessauer Bühne verfügt nun über eine exemplarische Inszenierung des Werks, die zu sehen eine Reise lohnt.

Dazu trägt die Anhaltische Philharmonie Dessau bei, die unter der Leitung von Markus L. Frank das Sinnliche von Zemlinskys Musik mit großer Intensität vermittelt. Mit Tilmann Unger als König Kandaules, Kay Stiefermann als Gyges und Iordanka Derilova als Nyssia sind die drei Hauptpartien überzeugend besetzt. Auch für die Nebenrollen verfügt das Dessauer Theater über fast ausschließlich gute Kräfte; wiederum unterstützt von der Regie, die die Gruppe der adligen Gäste Kandaules’ wo nötig individualisiert.

Und die überraschende Lösung? Kandaules hat seine Frau verraten und muss getötet werden. Nyssia drängt Gyges, den Thron zu übernehmen. Dem bleibt, will er überleben, nichts anderes übrig. Anders als bei Gide lehnt Nyssia es bei Zemlinsky ab, sich wieder zu verschleiern. In Peters-Messers Inszenierung legen in diesem Moment auch die Dienerinnen ihre Schleier ab, was klug ist: Eine neue Stufe der Geschichte ist erreicht. Aber sie stechen die adligen Männer ab, was die einzige Dummheit dieser Inszenierung ist. Schließlich macht Nyssia den Mann Gyges zum neuen König, er verfügt nun über Kandaules’ Reichtümer, und die Frage des Eigentums bleibt unerledigt.

Nächste Vorstellungen: 5., 25.3. und 2.4.
www.anhaltisches-theater.de

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