- Wirtschaft und Umwelt
- Arbeitskampf bei Automobilzulieferer
Streik der Zwickauer GKN-Belegschaft nach 60 Stunden erfolgreich
IG Metall vermeldet Durchbruch bei Gesprächen zu Sozialvertrag – Fortexistenz des sächsischen Betriebes ist weiter unklar
Als Jörg Kirsten nach der Lehre beim Pkw-Hersteller VEB Sachsenring im Jahr 1982 seine erste Arbeitsstelle antrat, geschah dies in einem nagelneuen Betrieb. Der französische PSA-Konzern hatte im heutigen Zwickauer Ortsteil Mosel binnen vier Jahren auf der grünen Wiese ein Werk errichtet, das Gelenkwellen herstellte. Sie kamen zunächst im DDR-Kleinwagen Trabant und bei PSA-Marken wie Citroen zum Einsatz und sollten später auch in einem modernen Auto, das für den gesamten Ostblock entwickelt werden sollte, die Kraft des Motors auf die Räder übertragen. »Das war ein hochmodernes Werk und eine hochmoderne Technologie«, sagt Kirsten.
41 Jahre später stand er in dieser Woche an einem frostigen Morgen vor dem Tor des Betriebes, der noch immer zu den führenden im Bereich Gelenkwellen zählt. Die Produkte werden nicht nur in Autos verbaut, die gleich nebenan bei VW gefertigt werden, sondern auch in solchen von Porsche oder Ferrari. »Kunden schätzen die Qualität, die wir liefern«, sagte Kirsten. Er müsste aber ein »noch« hinzufügen. Denn das Werk, das seit der Zerschlagung von Sachsenring zum britischen GKN-Konzern gehört, soll bis 2025 geschlossen werden. »Ich habe es mit in Betrieb genommen, und jetzt soll ich es abwickeln«, sagte Kirsten.
Kirsten ist indes nicht gewillt, die Entscheidung des Managements so einfach hinzunehmen, ebenso wenig wie rund 150 Kollegen der Frühschicht, die in roten Westen der IG Metall, mit Trillerpfeifen und einer Mischung aus Wut und Entschlossenheit in der Morgensonne standen. »Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Arbeit klaut«, skandierten sie und hüpften gegen die Kälte an. Bei einer Urabstimmung hatte sich die Belegschaft, zu der 835 Männer und Frauen gehören, mit beeindruckender Mehrheit dafür ausgesprochen, in den unbefristeten Streik zu treten. »Fast 98 Prozent waren dafür«, sagte Kirsten, der Chef des Betriebsrates bei GKN Driveline in Mosel ist. Also blieb seit Montag 5:15 Uhr das Werkstor zu.
Der 27. Februar sei damit »ein historischer Tag«, sagte Benjamin Zabel, Bevollmächtigter der IG Metall in Zwickau. 20 Jahre zuvor hatte es in deren Zuständigkeitsbereich den letzten unbefristeten Streik gegeben. Damals ging es um die 35-Stunden-Woche im Osten. Der Arbeitskampf endete freilich mit einer herben Niederlage für die IG Metall, die auch fehlender Solidarität zwischen Ost und West in den eigenen Reihen geschuldet war. Als in wichtigen Autowerken im Westen wegen ausbleibender Lieferungen die Bänder ins Stocken kamen, gingen deren Belegschaften von der Fahne. Das soll diesmal anders sein, beschwor Irene Schulz, Chefin der IG Metall in Berlin, Brandenburg und Sachsen und Mitglied im Gesamtvorstand. In dem Gremium hätten auch die Vertreter aus dem Westen dem Zwickauer Streik einhellig zugestimmt.
Auf den ersten Blick geht es in Zwickau um einen Abwehrkampf gegen einen renditegierigen Investor: den Sanierungsspezialisten Melrose Industries, der das Traditionsunternehmen GKN 2018 feindlich übernommen und dafür elf Milliarden Dollar gezahlt hatte. Seine Devise lautet: Kaufen, verbessern, verkaufen (»buy, improve, sell«), wobei »verbessern« im konkreten Fall bedeutet, eines von noch vier deutschen Werken zu schließen und ein neues in Ungarn zu bauen. Schon das sei eine unternehmerisch fragwürdige Entscheidung, sagte Irene Schulz. Ungarn sei schließlich längst kein Billiglohnland mehr: »Die Kollegen dort haben gerade ein Lohnplus von 20 Prozent erkämpft.«
Daneben aber geht es auch um die Frage, wie die Zulieferer mit dem Strukturbruch in der Automobilbranche umgehen, den der Umstieg vom Verbrenner auf Elektromotoren bedeutet. »Ihr kämpft hier für die gesamte Branche«, sagte Schulz auf der Streikkundgebung. GKN ist von der Transformation auf den ersten Blick nicht so dramatisch betroffen wie die Hersteller von Schaltgetrieben oder Auspuffanlagen; Gelenkwellen kommen auch in E-Autos zum Einsatz. Sie können aber auch von der billigeren Konkurrenz kommen. »Die Autos müssen bezahlbar sein«, sagte Jörg Kirsten, »und da ist es vielen Herstellern egal, was unter dem Blech verbaut wird.« Benjamin Zabel, der örtliche IG-Metall-Chef, ist deshalb sogar überzeugt, dass »mit Gelenkwellen hier in Zukunft kein Geld mehr zu verdienen sein wird«. Den rechtzeitigen Umstieg auf neue Produkte aber habe das Management verschlafen, »obwohl genau das deren Aufgabe wäre«, sagte der Betriebsratschef. Leidtragende sollen die Beschäftigten sein, deren Jobs mit der Schließung wegfielen.
Die Belegschaft freilich griff den Fehdehandschuh auf und legte die Arbeit nieder. Formal sollte mit dem Streik Druck auf Verhandlungen ausgeübt werden, bei denen in der Konzernzentrale in Offenbach über einen Sozialtarifvertrag und damit über die Höhe etwaiger Abfindungen gesprochen wurde. In mehreren Gesprächsrunden hatte es bis Wochenbeginn nur Vorschläge gegeben, die Gewerkschaft und Mitarbeiter als lächerlich empfanden. Nach lediglich 60 Stunden Streik knickten die Arbeitgeber nun offensichtlich ein. Laut einer Mitteilung der IG Metall vom Mittwoch wurden für die Mitarbeiter in Mosel höhere Abfindungen durchgesetzt. Zuvor war ein »akzeptables Angebot« als Voraussetzung für die Beendigung des Streiks genannt worden. Nach dem Entgegenkommen des Managements wurde dieser zunächst einmal ausgesetzt. Ab Donnerstag wird in einer zweiten Urabstimmung entschieden, ob die Offerte angenommen und der Arbeitskampf tatsächlich beendet wird.
Ein Sozialtarifvertrag sei aber ohnehin nur »die erste Halbzeit«, sagte Gewerkschafter Benjamin Zabel: »Es geht den Leuten nicht darum, so viel Geld wie möglich rauszuschlagen, sondern ihren Arbeitsplatz zu erhalten.« Jörg Kirsten bezeichnete es deshalb als »unsere erste Priorität«, einen Investor zu finden. Dafür müsse womöglich auch im nächsten und bis ins übernächste Jahr gekämpft werden. Idealerweise, fügte der Betriebsratschef hinzu, solle es ein Unternehmen sein, das wie GKN den Flächentarif der IG Metall zahlt, was in Westsachsen eine Ausnahme ist. Die Menschen, die derzeit noch bei GKN arbeiten, würden in Zeiten des Fachkräftemangels auch in anderen Firmen der Region unterkommen, sagte Kirsten: »Aber da haben sie 600 Euro netto weniger. Das muss man erst mal wegstecken.«
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