- Politik
- Rechte Angriffe
Deutlich mehr Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte
Täglich werden drei Asylsuchende Opfer von Angriffen, die meisten davon aus dem Phänomenbereich »rechts«
Die Zahl der Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland nimmt derzeit wieder deutlich zu. 2022 hat die Polizei 121 Anschläge auf Heime registriert, im Vergleich zum Vorjahr ist dies ein Anstieg um 73 Prozent. Hinzu kommen 1248 Angriffe gegen Asylbewerber oder Geflüchtete außerhalb von Unterkünften. Täglich werden demnach drei Menschen Opfer derartiger Angriffe – diese Zahl hat sich gegenüber dem Vorjahr kaum verändert.
Zu den am häufigsten verzeichneten Delikten gehören das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Volksverhetzung und Beleidigung, es finden sich aber auch Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch, Verstoß gegen das Sprengstoff- oder Waffengesetz sowie schwere Brandstiftung. Bis zum 19. Oktober hatte die Polizei 597 bereits Tatverdächtige ermittelt, im vierten Quartal kamen 256 weitere hinzu. Die meisten Straftaten wurden dem Phänomenbereich »rechts« zugeordnet.
Die Angaben stammen aus vier Antworten des Bundesinnenministeriums auf parlamentarische Anfragen der Bundestagsabgeordneten Clara Bünger, über die zuerst die »Neue Osnabrücker Zeitung« berichtet hatte. Als fluchtpolitische Sprecherin der Linksfraktion fragt Bünger die Übergriffe quartalsweise ab. In der daraus folgenden Statistik für das Jahr 2022 fehlen noch Nachmeldungen für das letzte Quartal, die endgültigen Zahlen dürften deshalb noch höher liegen.
In den Antworten macht das Ministerium auch Angaben zu Verletzten. Demnach wurden im Gesamtjahr 2022 nach derzeitigem Stand 188 Menschen verletzt, davon 21 Kinder. Auch hier zeichnet sich eine Zunahme ab: 2021 wurden 171 Personen verletzt, davon 11 Kinder. Die meisten dieser Taten ereigneten sich außerhalb von Asylunterkünften.
Trotz des Anstiegs gegenüber 2021 liegen die Zahlen noch unter dem Niveau der Vorjahre, die von den als »Migrationskrise« bezeichneten Fluchtbewegungen geprägt waren. 2016 verzeichnete die Polizei mit insgesamt 2545 Angriffen auf Geflüchtete in- und außerhalb von Unterkünften den bis dahin höchsten Wert. Dieser hatte sich in den folgenden fünf Jahren etwa halbiert.
Deshalb ist der jetzt erneute Anstieg besorgniserregend, findet auch Bünger. »Geflüchtete, die hier Sicherheit und Schutz suchen, werden in Angst und Schrecken versetzt«, erklärt die Fragestellerin gegenüber »nd«. Diese beunruhigende Entwicklung sei nicht verwunderlich bei rechter Stimmungsmache im Land. Konservative wie Friedrich Merz, die sich verbaler Zuschreibungen bedienten und abfällig von »Sozialtouristen« oder »kleinen Paschas« sprächen, trügen bewusst zur Verschärfung von Ausgrenzung und letztlich auch zu Angriffen bei, so Bünger, und ergänzt: »Wollen wir darauf warten, bis sich Rostock-Lichtenhagen wiederholt?«
Das Bundesinnenministerium nennt selbst keine möglichen Gründe für die wachsende Zahl rechter und rassistischer Gewalttaten. Die »Neue Osnabrücker Zeitung« vermutet dazu das Auslaufen der Corona-Auflagen sowie die gestiegene Zahl von Geflüchteten: 2022 seien knapp 218 000 Asylsuchende nach Deutschland gekommen, so viele wie zuletzt 2016. Dazu kamen knapp eine Million Ukrainer.
»Parlamentarier müssen endlich aufhören, immer wieder Migration als Gefahr darzustellen und vor angeblich ›illegalen Flüchtlingen‹ auf der Balkanroute zu warnen«, kritisiert Bünger. Von der Europäischen Union fordert die Abgeordnete ein konkretes Maßnahmenpaket zum Schutz vor Angriffen auf Geflüchtete und deren Unterkünfte.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.