- Kultur
- Ausstellung »Sina Niemeyer: The Many Wives of Mr. ____«
»Damals wirkte es unschuldiger«
Die Fotokünstlerin Sina Niemeyer reiste auf die Philippinen und setzte sich dort mit dem globalen organisierten Heiratsmarkt auseinander. Nun sind ihre Fotografien zusammen mit Videointerviews, Dokumenten und Objekten in Berlin zu sehen
Frau Niemeyer, wie sind Sie auf die Idee für Ihr Projekt gekommen?
Es fing damit an, dass ich eine Kiste mit Briefen aus den 1980er Jahren gefunden habe. Davon ist ein Großteil auch in der Ausstellung zu sehen. Es sind sicher 400 Briefe, die alle an einen bestimmten Mann in West-Berlin adressiert sind. Sie waren von philippinischen Frauen an ihn geschrieben worden, die sich ihm vorstellten und auf eine Heirat mit ihm aus waren. Ich fand das Thema von Anfang an spannend, hatte aber erst nach einer Weile die Idee, den Geschichten dahinter auf die Spur zu gehen. In dem Briefestapel fanden sich auch Hotelquittungen von den Philippinen und Entwürfe für die Kontaktanzeige, die der Mann für eine Tageszeitung dort verfasst hatte. Ich bin dann auf die Philippinen gereist und habe tatsächlich einige von den Frauen ausfindig machen können, die damals diese Briefe geschrieben hatten und sie fotografiert.
Wie war es, mit diesen Frauen zu reden?
Viele sagten, dass sie sich gar nicht mehr richtig erinnern könnten, dass das schon so lange her sei. Sie wollten nicht, dass ihre Familien von ihren früheren Heiratsabsichten mitbekommen, es war ihnen unangenehm. Interessant war, dass sie alle sehr selbstbewusst und eigenständig waren, und viele ziemlich angesehene Jobs hatten. Eine hatte zum Beispiel ein Unternehmen mit rund 100 Mitarbeitenden, eine andere war stellvertretende Direktorin einer Schule. Eine Frau erzählte mir, sie sei als Single sehr zufrieden. Es wirkte, als fänden die meisten es überhaupt nicht schade, dass es damals mit der internationalen Heirat nicht geklappt hatte.
Sie haben sich dann auch mit der gegenwärtigen Heiratsvermittlung beschäftigt.
Ja, heute ist das alles viel krasser als damals. Man muss nicht groß recherchieren, sondern nur »Filipina Bride« googeln, dann schlägt einem schon alles entgegen.
Heißt das, heute ist es noch einfacher, als nordamerikanischer oder westeuropäischer Mann eine Frau von den Philippinen oder aus anderen südostasiatischen Ländern zu heiraten?
Es ist einfacher und offener. Zum Beispiel war in den Briefen, die ich gefunden hatte, niemals direkt von Heirat, sondern immer von »Brieffreundschaften« die Rede. Natürlich war auch damals klar, was ein Mann aus dem Ausland suchte, wenn er eine Kontaktanzeige in der Zeitung aufgab. Doch es wirkte unschuldiger. Heute gibt es Online-Datenbänke mit Frauen, man kann sich einfach durchscrollen. Man sucht sich vorher aus, wen man kennenlernen möchte, wenn man da ist. Es ist in gewissem Sinne auch effizienter – heute müssen die Frauen keine Briefe mehr schreiben, von denen die meisten wohl unbeantwortet blieben.
Wissen Sie denn, ob der besagte Mann aus Berlin dann eine der Filipinas geheiratet hat?
Eine Postkarte, die auf Cebuano geschrieben ist, deutet darauf hin. Die ist an eine Frau gerichtet, die den Nachnamen dieses Mannes trägt. Übrigens habe ich in dem Stapel Briefe auch viele Karteikarten gefunden – es wirkte so, als hätten der Mann oder das Ehepaar dann irgendwann selbst angefangen, Frauen zu katalogisieren. Sie wollten wohl eine eigene Agentur für Heiratsvermittlung aufmachen. Das ist ein gängiges Muster: Viele Frauen, die über die Heiratsvermittlung jemanden gefunden haben, arbeiten später selbst für so eine Agentur. Auch interessant: Die Anmeldung ist oft umsonst, wenn man noch eine Freundin mitbringt. Das Anwerben neuer Frauen funktioniert zu großen Teilen als Schneeballsystem.
Was war Ihnen wichtig, als Sie die Frauen fotografiert haben, was wollten Sie herausstellen?
Es ging mir unter anderem um den Kontrast zwischen der Inszenierung damals und den Frauen heute. In den 1980ern warb eine Agentur, von der ich ein Zitat in der Ausstellung verwende, damit, dass Filipinas die besten Ehefrauen seien, weil sie es liebten, sich unterzuordnen. Mit den Fotos, die die Frauen in den Briefen mitschickten, sollte dieses Bild offenbar gestützt werden. Dieselben Frauen, die ich nun etwa 40 Jahre später traf, waren aber eben keineswegs submissiv, sondern sehr selbstbewusst. Das habe ich versucht abzubilden.
Kamen diese Frauen aus prekären Verhältnissen?
Wie das früher war, kann ich nicht mit Sicherheit sagen, aber tendenziell schon. Vielleicht hat sich die Schere zwischen Arm und Reich weiter geöffnet – heute ist es auf jeden Fall so, dass die Frauen, die sich bei Vermittlungsagenturen melden, aus sehr armen Haushalten kommen. Für die ist eine Heirat mit einem Mann aus dem Westen eine Verheißung auf ein besseres Leben.
Sie haben auf den Philippinen auch an einer sogenannten Singles-Tour für Männer teilgenommen und dabei fotografiert. Können Sie davon berichten?
Man kann diese Touren als Pakete buchen, die Agenturen organisieren einem dann sogar den Flug. Das macht Sinn, denn in der Regel handelt es sich um ältere Männer, die nicht mehr so fit sind und die Kultur nicht kennen. Es sind dann alle heiratswilligen Männer zusammen in einem Hotel untergebracht. Die meisten Frauen reisen jeden Tag von etwas außerhalb an, weil sie sich eine Unterkunft in der Stadt nicht leisten können. Am ersten Abend gibt es ein gemeinsames Essen, um sich kennenzulernen. Als ich da war, gab es etwa 15 oder 20 Männer und etwa 100 Frauen. Allen Männern wurde eine schon etwas ältere philippinische Frau zur Seite gestellt, die ihnen bei der Kontaktaufnahme behilflich sein sollte. Um sich näherzukommen, gab es dann auch Aktivitäten wie Bootstouren, Poolpartys oder eine Miss-Wahl.
Wie konnten Sie dort überhaupt fotografieren? Es handelt sich schließlich um einen Bereich, in dem vermutlich viele ihre Privatsphäre wahren wollen.
Es war zuerst sehr schwierig, Kontakt zu den Organisatoren zu bekommen. Und eigentlich war dann die Abmachung, dass ich zu diesem Essen am ersten Abend dazukommen, aber nicht fotografieren darf. Ich war ab dem Zeitpunkt dann jeden Tag dabei und habe ganz offen mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern gesprochen. Irgendwann war es okay, dass ich auch fotografiere.
War das den Männern nicht unangenehm?
Unterschiedlich. Ich konnte an ihren Reaktionen ganz gut ablesen, wem klar ist, dass es da starke Machtasymmetrien gibt, und wem eher nicht so. Die Männer, die nicht fotografiert werden wollten, waren auch die mit den schlimmsten sexistischen Sprüchen. Die, die sich von mir fotografieren haben lassen, waren, glaube ich, wirklich ein wenig naiv. Es gab zum Beispiel einen, dem ich seine Schüchternheit abgenommen habe und mit dem ich auch reflektiert über die Sache reden konnte. Das war der Einzige, der sich Gedanken gemacht hat wie: Wenn die Frauen alle so jung sind, dann wollen sie sicher Kinder, doch bin ich dafür nicht schon zu alt? Er wollte eigentlich eine Frau um die 40 kennenlernen, es gab aber keine.
Sie haben sich in Ihrer künstlerischen Arbeit viel mit patriarchalen Strukturen auseinandergesetzt. In welchem Verhältnis steht dieses Projekt dazu?
Ich habe zuvor viel zu sexuellem Missbrauch gearbeitet und war dann irgendwann ein bisschen erschöpft davon. Ich dachte, dass ein Projekt, bei dem ich mich selbst zur Detektivin erkläre, vielleicht Spaß machen kann, nicht ganz so düster ist. Auf den Philippinen habe ich dann aber schnell gemerkt, dass es doch ziemlich hart ist, zu sehen, wie Männer diese Strukturen von ökonomischer Ungleichheit einfach ausnutzen.
Wie würden Sie die Frage nach der Freiwilligkeit beantworten? Haben sich die Frauen nicht selbst dafür entschieden, sich bei einer solchen Agentur anzumelden?
Na ja, das Rollenbild, nach dem man als Frau fürsorglich und aufopferungsvoll zu sein hat, ist auf den Philippinen schon sehr präsent. Mit 18 oder 20 hinterfragen viele Frauen das wahrscheinlich überhaupt nicht. Sie denken, dass es eben ihre Aufgabe wäre, einen Mann zu heiraten und sich um ihn zu kümmern. Dazu kommt, dass sie nicht viel Auswahl haben. Mir hat das jemand auf den Philippinen mal so erklärt: Viele einheimische Männer aus den ärmeren Gegenden sind Alkoholiker oder schlagen ihre Frauen, würden sie irgendwann sowieso verlassen und sich nicht um die Kinder kümmern. Die Frauen stehen dann also vor der Wahl, so einen zu nehmen oder eben einen wohlhabenderen Mann aus dem Westen. Es gibt aufgrund der globalen Verteilung von Reichtum keine freie Wahl für diese Frauen. Klar können sie innerhalb der Struktur, in der sie sich befinden, dann Ja oder Nein zu bestimmten Männern sagen. Aber ich denke nicht, dass eine Heirat mit einem Mann außerhalb ihrer Heimat überhaupt für sie infrage käme, wenn sie nicht arm wären.
Ist das nicht eine Form von Prostitution?
Das kommt wohl drauf an, wie man Prostitution definiert: Muss man dafür Sex haben? Und ist Prostitution per se verwerflich? Selbst sehen die Frauen es auf keinen Fall so, dass sie sich prostituieren. Die Männer auch nicht. Und so wird das auch nicht propagiert. Bei einigen, wie z. B. im Fall des blinden Veteranen aus den USA, der einfach nur jemanden möchte, der oder die sich um ihn kümmert, könnte man es vielleicht eher als moderne Sklaverei bezeichnen. Mit einem scheinbar freien Willen in einem System, das eigentlich keinen freien Willen zulässt. Es mag paternalistisch sein, das so von außen zu bewerten, aber meine Einschätzung richtet sich nicht gegen die Frauen. Viel eher soll mein Projekt auch eine Aufforderung an Männer sein, ihre Ansprüche und Vorstellungen von Beziehungen und Liebe zu hinterfragen.
Sina Niemeyer ist eine preisgekrönte Fotokünstlerin aus Berlin. Ihre freien Arbeiten zeichnen sich durch die Synthese verschiedener Medien und Materialien wie Fotografie, Video, Text und Archivmaterial aus. Dabei setzt sie sich überwiegend mit den Themen Gewalt, Trauma, Machtstrukturen und dem Nicht-Sichtbaren auseinander. Sie arbeitet auch regelmäßig für deutsche Zeitschriften und NGOs.
»Sina Niemeyer: The Many Wives of Mr. ____«, bis zum 31. März, Willi Münzenberg Forum, Berlin. Vernissage am 3. März ab 19 Uhr.
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