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Wut über ein vermeidbares Zugunglück in Griechenland
In Griechenland verpufften die Mahnungen über den maroden Zustand der privatisierten Eisenbahn
Das Unglück kam gewissermaßen mit Ansage: In einem offenen Brief hatten Bahnmitarbeiter im Februar darauf hingewiesen, dass die Sicherheitssysteme für die Gleise unvollständig und schlecht gewartet seien. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Strecke zwischen Athen und Thessaloniki in einem sehr schlechten Zustand ist. Auf der Strecke zwischen der Hauptstadt Athen und der Hafenstadt Thessaloniki waren am Dienstagabend kurz vor Mitternacht in Tempe, nahe der Stadt Larissa, zwei Züge frontal zusammengestoßen. Mindestens 43 Menschen kamen ums Leben, Dutzende wurden verletzt und viele weitere werden vermisst.
Die Lokomotiven und die ersten Wagen beider Züge waren durch die Kollision fast vollständig zerstört worden; beide Lokführer sind unter den Toten. Ein Überlebender beschreibt die Szenerie wie folgt: »Wenn man aus dem Zug stieg, sah man auf der rechten Seite alles brennen, Rauch und Schreie. Auf der linken Seite gab es nur Dunkelheit und Schienen.« Bei den Opfern handelt es sich hauptsächlich um junge Studierende auf der Rückkehr zur Universität, nachdem sie die Karnevalsferien bei ihren Familien verbracht hatten.
Noch in der Nacht eilte Griechenlands Premierminister Kyriakos Mitsotakis zusammen mit dem Verkehrsminister Kostas Karamanlis zur Unfallstelle. Mitsotakis machte »einen tragischen menschlichen Fehler« für das Unglück verantwortlich und versprach Aufklärung. Verkehrsminister Karamanlis reichte seinen Rücktritt ein: »Wenn etwas so Tragisches passiert, kann man nicht so weitermachen, als wäre es nicht passiert. Ich bin erst seit wenigen Jahren in der Politik, aber ich halte es für ein wesentliches Element unserer Demokratie, dass die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes dem politischen System vertrauen. Das nennt man politische Verantwortung.«
Bisher wurde lediglich der Bahnhofsvorsteher von der Verkehrsabteilung Larissa verhaftet. Die Ermittlungsakte, die für den 59-Jährigen angelegt wurde, umfasst den Straftatbestand der Störung der Sicherheit des öffentlichen Verkehrs, die zum Tod mehrerer Menschen führte, ein Vergehen, das mit Strafen von zehn Jahren bis zu lebenslanger Haft geahndet wird sowie die Vergehen der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Körperverletzung (Strafen von jeweils bis zu fünf Jahren).
Das schlimmste Zugunglück in der Geschichte des Landes hat eine Flut an Kritik und Beschwerden heraufbeschworen. Gewerkschaften und linke Organisationen sprechen von langanhaltenden Missständen, für die alle Regierungen die Verantwortung tragen, wenn es um die Verschlechterung des Zustands und die Unterbesetzung der Eisenbahnlinien geht. Die sind seit 2017 durch den Verkauf von TrainOSE im Rahmen der Memorandum-Programme in die Hände der italienischen Ferrovie dello Stato Italiane übergegangen. TrainOSE heißt heute Hellenic Train. Die Bahninfrastruktur wird weiterhin vom staatlichen Unternehmen OSE verwaltet. Mittlerweile sind die Direktoren von OSE und ERGOSE (verantwortlich für Infrastrukturprojekte) ebenfalls zurückgetreten.
In einer Erklärung, die Wut über die Tragödie in Tempe ausdrückt, kündigte die Panhellenische Föderation der Eisenbahner einen 24-stündigen Streik am Donnerstag an. »Aus dem Schmerz ist nun Wut über die Dutzenden von toten und verletzten Kollegen und Mitbürgern geworden. Die Geringschätzung, die die Regierungen im Laufe der Zeit gegenüber den griechischen Eisenbahnen an den Tag gelegt haben, hat zu dem tragischen Ausgang von Tempe geführt«, heißt es unter anderem. »Leider werden unsere ständigen Forderungen nach Einstellung von Stammpersonal, besserer Ausbildung, vor allem aber nach dem Einsatz moderner Sicherheitstechnologien, permanent in den Papierkorb geworfen. Heute ist die Eisenbahnerfamilie ärmer. Heute ist Griechenland ärmer.«
Ein automatisches nationales Sicherungssystem für den Schienenverkehr hat in Griechenland noch nie existiert. Das elektronische Signalsystem – das mit dem anderer europäischer Länder kompatibel ist – wurde zwar installiert, funktionierte aber aufgrund von Störungen nicht, während das 2014 begonnene Sanierungs- und Upgrade-Projekt noch nicht abgeschlossen ist und bereits sieben Verlängerungen erhalten hat. Mit solchen Systemen hätte laut Kritikern der tragische Unfall vermieden werden können, da sie dafür sorgen, dass die Züge untereinander und mit den Gleisen sowie mit einer Leitstelle »kommunizieren«.
Die Bilder von Bereitschaftspolizisten, die die Büros von Hellenic Train in Athen bewachten und am Bahnhof in Thessaloniki eingesetzt wurden, während die Angehörigen der Opfer der großen Eisenbahntragödie ihrer gedachten, vermitteln einen besonders beunruhigenden Eindruck.
Das Auftreten der Polizei bei der großen Spontandemonstration in der Hauptstadt Athen wurde als umso provokanter empfunden, als die Gewalt der Ordnungskräfte weder durch die fortlaufende internationale Medienberichterstattung noch durch die Trauer um die Opfer der großen Tragödie gebremst wurde. Die Polizei zog es vor, den Marsch mit Tränengas und Blendgranaten anzugreifen. In Thessaloniki trugen junge Menschen Blumen und Transparente, auf denen sie den schlechten Zustand des Eisenbahnsystems für das Unglück verantwortlich machten und Slogans gegen die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen skandierten. Am Ende der Demonstration zeichneten Jugendliche mit Kerzen das Wort »Verbrecher«.
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