- Politik
- Internationaler Frauentag
Russland: Kritisches Bewusstsein schaffen
Wika versucht, die Verhältnisse in Russland zu verbessern
Außer grauen Häusern gab es eigentlich nichts in der Stadt, sagt Wika über ihren Heimatort Nischnewartowsk in Westsibirien. Als die 32-Jährige in den 90er Jahren aufwuchs, herrschte dort, wie überall in Russland, Krise. Viele Männer verließen damals ihre Familien, so auch Wikas Vater. Zurück blieben sie, ihre Mutter und finanzielle Probleme.
Wikas Jugend war geprägt von Mansplaining und patriarchalem Verhalten. Zwei Mal versuchten Männer sie mit Geld zum Sex zu überreden. Es war eine schlimme Zeit, erinnert sich Wika, die damals gerade volljährig wurde. Bis ihre Vermieterin ihr einen Job im Puschkin-Museum vermittelte. Für sie war es der Zugang zur Kunst und zu Literatur über Gewalterfahrungen. Damals, gerade 18 und neu in Moskau, begann sie sich mit dem Feminismus in der Sowjetunion auseinanderzusetzen, insbesondere mit Frauen wie Alexandra Kollontai, die erste Ministerin und Botschafterin der Sowjetunion. »Kollontai hat mich lange begleitet«, sagt Wika.
Lesen Sie auch: Gesichter des Widerstands – Feministische Kämpfe unter autoritären Regimes
Als 2011 Zehntausende in Moskau gegen Wahlfälschungen demonstrierten, war auch Wika dabei, das erste Mal. Statt einer Revolution erlebte die damalige Regie-Studentin, wie brutal die Polizei ihre Illusion zerstörte und ihr einen Finger brach. Trotzdem protestierte sie seitdem immer wieder.
Feminismus ist für Wika mehr als nur Frauenrechte. Ihr geht es auch um Männer-, Kinder- und Tierrechte. Theorie und Praxis müsse man unterscheiden, sagt sie. Sicher könne man über Oligarchen und die Spaltung der Klassen sprechen. Doch in Russland brauche es überhaupt erst ein politisches Bewusstsein, in dem kritisches Denken entstehen könne. Damit man für Probleme sensibilisieren könne wie häusliche Gewalt, die vor ein paar Jahren entkriminalisiert wurde. In der Diktatur aber ist das nicht möglich.
Über häusliche Gewalt hat sie auch viel mit den Zuschauer*innen ihres Stückes »Stille Revolution« geredet, in dem sich die Regisseurin mit Leben und Wirken Kollontais auseinandersetzt. Das Stück hat noch eine weitere bemerkenswerte Aussage: Es wendet sich gegen den Krieg. Fast schon symbolhaft fand die letzte Aufführung am 24. Februar 2022 statt, am Tag, der auch Wikas Leben veränderte. Wegen ihrer Haltung gegen den Krieg werden Wikas Stücke in Russland nicht mehr aufgeführt.
Seit Putin russische Truppen in die Ukraine geschickt hat, engagiert sich Wika als Teil des feministischen Antikriegswiderstands. Sie hilft Menschen, aus Russland auszureisen und denjenigen, die bleiben, sich gegen die Repressionen zu wehren. »Wir wollen denen eine Stimme geben, die keine haben«, sagt Wika. Das gilt auch für alle, die sich verstecken müssen, weil sie sonst in Gefahr wären.
Der Krieg wird die russische Gesellschaft verändern und noch brutaler machen. Mit der Rückkehr traumatisierter Soldaten wird die häusliche Gewalt steigen, befürchtet Wika. Den Krieg werden die Aktivistinnen nicht beenden können. Aber sie wollen ein Grundverständnis für die Zusammenhänge im Land schaffen. Denn noch schafft es die Propaganda, die vielfältigen Probleme zu verschleiern.
Wika selbst hat Russland kurz nach Kriegsbeginn verlassen und lebt mittlerweile in Frankreich. Trotz der Entfernung halten sie und ihre Mitstreiterinnen den Kontakt nach Russland. Wichtig sei nun, die Menschen zu vereinen und nicht von außen zu gefährlichen Protesten aufzurufen. Stattdessen treiben sie den digitalen Protest voran. Nach Russland kann Wika in absehbarer Zeit nicht zurück. Selbst wenn Putin nicht mehr Präsident wäre, gäbe es weiter Verfolgungen und Folter. Zurück kann sie nur, wenn das Regime fällt und das System sich ändert.
Der vollständige Name ist der Redaktion bekannt.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.