Schwarze Geschichte sichtbar machen

Ein Stolperstein erinnert an Erika Diek, eine Ausstellung dokumentiert das Leben ihrer Alt-Berliner Familie

  • Yannic Walther
  • Lesedauer: 5 Min.
Nur wenige Stolpersteine gedenken der Entrechtung Schwarzer Menschen.
Nur wenige Stolpersteine gedenken der Entrechtung Schwarzer Menschen.

In der Gaudystraße ist am Mittwochmittag kaum ein Durchkommen für Autofahrer. Vom Gehweg bis auf die Straße stehen rund 100 Menschen. Angehörige, Nachbarn und Gäste sind zur Stolpersteinverlegung in die Straße zwischen Mauerpark und Schönhauser Allee gekommen. »Hier wohnte Erika Diek«, steht in die Messingplatte des Stolpersteins eingraviert. Ein zweiter Stolperstein erinnert an Dieks Mann Ludwig Mpessa. Als Schwarze Deutsche wurden beide im Nationalsozialismus entrechtet.

Der diesjährige 8. März, der Internationale Frauenkampftag, wäre Dieks 107. Geburtstag gewesen. »Welchen besseren Tag könnte es geben, eine Frau zu ehren, die nie aufgab, trotz dessen, was sie erleben musste«, sagt Roy Adomako, Erika Dieks Enkel, bei der Verlegung des Stolpersteins. Dass mit Stolpersteinen an Schwarze Menschen erinnert wird, ist bisher selten, erst drei gibt es für sie in Berlin. Die Verfolgung Schwarzer Menschen im Nationalsozialismus ist bisher kaum Gegegenstand von Forschung und Erinnerungskultur.

Dass heute überhaupt die Geschichte Schwarzer Menschen in Deutschland vor Kriegsende bekannter wird, ist auch Erika Diek und ihrer Schwester Doris zu verdanken. Sie gehörten zu den ersten, die über ihre Erfahrung aus der Weimarer Republik und der NS-Zeit berichtet und damit gezeigt hatten: Schwarzes Leben gehört schon viel länger zu Deutschland, als es vielen, vor allem der weißen Mehrheitsgesellschaft, bewusst ist.

Die Geschichte der Familie Diek beginnt 1891, als Erikas und Doris’ Vater Mandenga Diek aus Kamerun nach Deutschland kommt, wenige Jahre später erhält er als erster Afrikaner überhaupt die deutsche Staatsbürgerschaft. Erikas und Doris’ Mutter ist Ostpreußin. Sie wuchsen in Danzig auf. Den Rest ihres Lebens wohnte Erika Diek – bis auf die Zeit gegen Ende des Zweiten Weltkriegs, als sie in der Gaudystraße lebte – in Tempelhof. Dort wiederum erinnert seit kurzem eine Sonderausstellung an ihre Familiengeschichte.

Bekannt wurde diese, weil in den 1980er Jahren die beiden jungen Schwarzen Studentinnen Katharina Oguntoye und May Ayim, ermutigt durch die in Berlin lehrende afroamerikanische Feministin Audre Lorde, sich auf die Suche nach Schwarzen Menschen machten, die schon vor 1945 in Deutschland lebten. Die Diek-Schwestern nahmen die Studentinnen regelrecht in ihre Familien auf. »Dies war ein Riesengeschenk, denn plötzlich hatten wir eine afrodeutsche Geschichte. Zuvor wussten wir nicht, ob Schwarze in der NS-Zeit in Deutschland lebten und wenn ja, wie die Verfolgung aussah und ob und wie sie überleben konnten«, erinnert sich Katharina Oguntoye in einem Interview für die Ausstellung im Schöneberg-Museum.

Heute ist bekannt, dass Schwarze Menschen bis 1945 oftmals zwangssterilisiert und viele von ihnen in Konzentrationslagern oder Kliniken ermordet wurden. Die Familie Diek lebt zwar lange Zeit relativ geschützt in Danzig. Gleichwohl gibt es auch dort offene Anfeindungen, die Kinder müssen die Schule verlassen und Zwangsarbeit leisten, der Vater wird gezwungen, sein Geschäft aufzugeben. »Sie wurden entrechtet und ausgegrenzt«, sagt Roy Adomako am Mittwoch bei der Stolperstein-Verlegung.

Eine Überlebenschance bietet die Filmindustrie. Erika Dieks Mann, Ludwig Mpessa, beginnt bereits im Kaiserreich unter dem Namen Louis Brody eine erfolgreiche Filmkarriere. Nach 1933 muss er in Propagandafilmen mitspielen, in denen Schwarze Menschen als vermeintlich unterlegen dargestellt werden. Auch seiner Schwägerin vermittelt er kleinere Rollen in Filmen.

Das Leben der Diek-Schwestern ist in anonymisierten Interviews Teil des Buches »Farbe bekennen. Afrodeutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte«, das die beiden Studentinnen Katharina Oguntoye und May Ayim 1986 veröffentlichen. Mit diesem wird erstmals die Selbstbezeichnung »afrodeutsch« geprägt und das Bild Deutschlands als weiße Nation herausgefordert. Für die Autorinnen ging es auch um die Suche nach eigener Identität. »Wir wussten gar nicht, dass unsere Geschichte schon vor 1945 begann«, sagte May Ayim über das, was vor ihren Recherchen unbekannt war, in einem Interview für den Film über Audre Lordes Jahre in Berlin. Lorde hatte Schwarze Frauen dazu ermutigt, ihre Lebenserfahrung aufzuschreiben.

May Ayim gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, die heute aktivistisch auch für die Erinnerung an Menschen wie die Diek-Schwestern eintreten. Und Schwarzer Aktivismus ist nicht erst seit den 1980ern Teil der deutschen Geschichte. Auch dafür ist die Familie Diek ein Beleg. Als nach dem Ende des Ersten Weltkriegs viele Schwarze Menschen durch das Abtreten der Kolonialgebiete staatenlos wurden, gehörte Mandenga Diek, der Vater von Erika und Doris, zu denjenigen, die sich in Hilfvereinen für die Verbesserung der Lebenssituation Schwarzer Menschen in Deutschland einsetzten. 1919 forderten sie in einer Petition an die Weimarer Nationalversammlung die Gleichberechtigung Schwarzer Menschen ein.

Auch Ludwig Mpessa, Erika Dieks später geschiedener Mann, war 1929 in Berlin Mitbegründer einer Selbstvertretung Schwarzer Menschen, die gegen Rassismus und strukturelle Diskriminierung kämpfte und der KPD und anderen kommunistischen Organisationen eng verbunden war. Schon Anfang der 1920er Jahre, als es im Zuge der Besetzung des Rheinlands, bei der auch Schwarze französische Soldaten eingesetzt wurden, zu einer rassistischen Kampagne kam, verurteilte Mpessa im Namen des Afrikanischen Hilfsvereins die Diskriminierung und gewaltsamen Übergriffe.

All das gehört zu dem Teil der Geschichte, die bisher kaum Einzug in Schulbücher und Lehrpläne gefunden hat. In Schulen werde nur kurz und oberflächlich auf den Kolonialismus eingegangen, sagt Anab Awale bei der Verlegung der Stolpersteine. Sie ist Vorständin der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland und SPD-Bezirksverordnete in Mitte. »Der Kolonialismus hat weitreichende Spuren hinterlassen, doch Wissen darüber ist kaum vorhanden.« Nach wie vor würde die Beteiligung Deutschlands am Kolonialismus allzu oft kleingeredet werden. »Dabei war es ein gesamteuropäisches Projekt«, sagt Awale.

Auf den Spuren der Familie Diek. Geschichten Schwarzer Menschen in Tempelhof-Schöneberg. Bis zum 1. Oktober 2023 im Schöneberg Museum, Eintritt frei

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.