- Berlin
- Untersuchungsausschuss
Kleinlaut beim Fluglärm
Die Obere Luftfahrtbehörde hat am Airport BER bei Flugrouten nichts und beim Schallschutz wenig zu sagen
Anfang der 90er Jahre gab es viele Ideen, wo in Brandenburg ein Großflughafen für Berlin gebaut werden könnte. Sechs verschiedene Standorte waren im Gespräch. Es wurde sogar erwogen, mit den beiden alten Westberliner Flughäfen Tegel und Tempelhof sowie dem bestehenden DDR-Flughafen Schönefeld weiterzumachen. Das ist 30 Jahre her. Der damalige Brandenburger Umweltminister Matthias Platzeck, der erst 1995 der SPD beitrat und 2002 Ministerpräsident wurde, befindet sich jetzt im Ruhestand. Am Freitag vernimmt der BER-Untersuchungsausschuss des Landtags den 69-Jährigen. Er wirkt frisch und kaum gealtert, sagt aber: »Ich bitte um Nachsicht, dass mir viele Dinge nicht mehr so präsent sind.« Er versuche, sich zu erinnern. »Aber es fällt nicht leicht.« Der Speicherplatz in seinem Gehirn sei begrenzt.
So viel kann Platzeck dann aber doch sagen: Sein Favorit sei der Standort Sperenberg gewesen. Dort wären viel weniger Anwohner von Fluglärm betroffen gewesen als rund um Schönefeld, wo schlussendlich Ende 2020 der neu gebaute Hauptstadtflughafen BER eröffnet wurde. Auch Jüterbog-Ost wäre besser geeignet gewesen als Schönefeld, sagt Platzeck. Die CDU-Landtagsabgeordnete Saskia Ludwig erinnert daran, dass von sechs geprüften Standorten Schönefeld auf dem letzten Platz gelegen habe.
Dennoch fiel die Entscheidung 1996 auf Schönefeld, obwohl auch der damalige Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) Sperenberg als Standort vorgezogen hätte. Berlin und der Bund überstimmten ihn. Berlin habe befürchtet, bei einem weit von der Hauptstadt entfernten Ort könnte der erhoffte wirtschaftliche Effekt allein auf Brandenburg entfallen und Berlin hätte nichts von diesem Airport, erläutert Platzeck. Für die Fluggäste wäre die Anreise kein Problem geworden. Als Anbindung war eine superschnelle Magnetschwebebahn angedacht.
»Wir waren im Umweltministerium außerordentlich unglücklich«, sagt Platzeck zur 1996 getroffenen Standortentscheidung. Es sei klar gewesen, welche Probleme es in Schönefeld mit dem Schallschutz geben würde. Fürs Protokoll hält Platzeck fest, hier nicht gesagt zu haben, dass Schönefeld der falsche Standort sei. Der Landtagsabgeordnete Matthias Stefke von den Freien Wählern ergänzt an dieser Stelle, das Umweltministerium habe den Standort Schönefeld damals für »ausgeschlossen« gehalten. Er habe entsprechende Dokumente eingesehen.
Dass er einmal den »weltbesten Schallschutz« am BER versprochen haben soll, darauf besinnt sich Platzeck nicht mehr. Aber ein guter Schallschutz sollte es sein. Nicht eingetreten sei glücklicherweise die dunkle Vorahnung, die Ortschaften rund um den BER würden Einwohner verlieren und die Grundstücke an Wert. Im Gegenteil erleben sie heute alle Zuzug, und Bauland ist begehrt.
In Königs Wusterhausen seien Wohnungen praktisch nicht mehr zu haben, berichtet Stefan Ludwig, Linksfraktionschef im Kreistag Dahme-Spreewald, der die Vernehmung im Ausschuss als Zuschauer verfolgt. »Schallschutz ist bei uns noch immer ein Riesenthema«, sagt Ludwig zu »nd«. Aktuell habe die Flughafengesellschaft Serienbriefe verschickt, dass Schallschutz nur noch bis 2025 zu erhalten sei. »Das sorgt wieder unnötig für Spannung in der Region.« Denn wer bis spätestens 4. November 2025 seinen Anspruch geltend mache, könne auch danach noch Geld erhalten.
Schon am 4. November 2021 hätte »streng genommen« der Schallschutz nachjustiert werden müssen. Das sagt Carsten Diekmann im Untersuchungsausschuss. Er arbeitet seit 2014 bei der Oberen Luftfahrtbehörde Berlin-Brandenburg, seit 2020 leitet er sie. Für die Gebiete, in denen die Flughafengesellschaft die Anwohner vor Lärm schützen muss, sollten zwei Flugpläne nach der Eröffnung des Airports noch einmal überprüft werden. Achteinhalb Jahre nach dem ursprünglich anvisierten Termin ging der BER Ende Oktober 2020 endlich an den Start. Einen Winter- und einen Sommerflugplan hatte man am 4. November 2021 hinter sich. Dann hätte die Obere Luftfahrtbehörde überprüfen müssen, welche Gebiete nun tatsächlich so verlärmt werden, wie einst angenommen. Für die Anwohner geht es darum, ob sie beispielsweise Schallschutzfenster bezahlt bekommen oder eine finanzielle Entschädigung erhalten.
Warum die Nachjustierung der Schallschutzgebiete unterblieben ist? Während der Corona-Pandemie starteten und landeten sehr viel weniger Passagiermaschinen, als es sonst der Fall gewesen wäre. Darum erreichte der Fluglärm nicht die Dimensionen, mit denen üblicherweise zu rechnen gewesen wäre. Hätte die Luftfahrtbehörde die Neubewertung in dieser Sondersituation vorgenommen, wären die definierten Schallschutzgebiete deutlich kleiner geworden. So rechtfertigt Diekmann, warum seine Behörde gezögert habe – durchaus im Interesse der Anwohner.
Zwar können Hauseigentümer ihren möglicherweise bestehenden Anspruch auf Schallschutz auch dann geltend machen, wenn sie außerhalb der gezogenen Grenzen der Schutzgebiete leben. Aber nur innerhalb der Gebiete wird ihnen die Beweisführung erleichtert, dass sie tatsächlich von Fluglärm betroffen sind. Außerhalb sei es komplizierter, erläutert Diekmann. Er werde in den nächsten Tagen einmal mit seinen Mitarbeitern beraten, wann die zugesagte Nachprüfung erfolgen sollte, kündigt er an.
Neue Ansprüche auf Schallschutz könnten entstehen, wenn die Flugrouten geändert und dadurch plötzlich andere Gebiete überflogen würden. Aber zu den Routen kann Diekmann nichts sagen. Dafür sei die Deutsche Flugsicherung zuständig. Insofern kann Diekmann auch wenig tun, wenn Flugzeuge nicht ganz am Anfang der Startbahn ihre Turbinen aufheulen lassen, sondern weiter hinten zum Start ansetzen. Dann heben sie später ab und erreichen über den ersten Wohnhäusern hinter der Startbahn weniger Höhe, was zu einer höheren Lärmbelästigung führt. Doch Diekmann bedauert. Auch hier sei die Flugsicherung zuständig. »Wir haben keinen unmittelbaren Zugriff darauf.«
Diekmann versichert aber: »Wir sind a priori einem guten Schallschutz verpflichtet. Das ist schon einmal klar.« Die Eingriffsmöglichkeiten seiner Luftfahrtbehörde seien aber begrenzt. »Wir haben uns schlicht gestritten«, berichtet Diekmann über Auseinandersetzungen mit der Flughafengesellschaft. Die Behörde kann dem BER sogenannte Vollzugshinweise geben. Das hat sie laut Diekmann auch mehrfach getan. Die Hinweise seien jedoch nicht rechtlich bindend. Die Gerichte hätten aber zuweilen die Sichtweise der Behörde bestätigt. Ein Beispiel: »Wir haben schon öfter deutlich gemacht, dass wir ein anderes Verständnis von Begriffen haben. Ich sage mal das Stichwort Wohnküchen.« Schallschutz winkt für Wohn- und Schlafräume, nicht für Küchen. Betroffene hätten vor Gericht ziehen müssen, damit auch ihre Wohnküchen auf Kosten der Flughafengesellschaft schallgedämmt worden seien, erklären die Freien Wähler.
Ein konsequentes Nachflugverbot von 22 bis 6 Uhr, wie es mehr als 100 000 Brandenburger in einem Volksbegehren gefordert hatten, schaffte Matthias Platzeck als Ministerpräsident nicht gegen Berlin durchzusetzen.
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