- Politik
- Flucht über das Mittelmeer
Frontex: Schutz der Festung Europa statt Leben
Obwohl die EU-Grenzagentur Flugzeuge, Drohnen und Satelliten im Einsatz hat, ertrinken weiter Menschen im Mittelmeer
Vor zwei Wochen ertranken 72 Menschen, unter ihnen 28 Kinder, vor der Küste der süditalienischen Kleinstadt Crotone im Mittelmeer. Insgesamt rund 200 Menschen hatten sich mit einem Boot von der Türkei nach Europa aufgemacht und wurden von rauher See überrascht. Bereits im Ionischen Meer zwischen Griechenland und Italiens Stiefelspitze wurden sie von Frontex geortet. Ausweislich einer Meldung der EU-Grenzagentur erfolgte dies über das Aufspüren eines Satellitentelefons an Bord des Bootes. Diese Form der elektronischen Aufklärung wurde in den vergangenen Jahrzehnten vorwiegend von Militär und Geheimdiensten genutzt. Heute ist sie laut dem Rüstungskonzern Airbus auch in Drohnen von Frontex eingebaut.
Neue Miniatursatelliten und das Unternehmen SpaceX von Elon Musk machen es möglich, Telefone aus dem Weltall zu orten. Unter dem Titel »Erkennung von Satellitenfunk-Sendern für die maritime Situationsanalyse« hat Frontex dazu 2019 einen Rahmenvertrag mit HawkEye 360 abgeschlossen. Die US-Firma ist auf die sogenannte raumbezogene Aufklärung spezialisiert. Als einer der ersten kommerziellen Anbieter hat sie eine Serie Kleinsatelliten ins All gebracht, mit der die gesamte Erdoberfläche auf Hochfrequenzsignale abgetastet werden kann. Das Mittelmeer ist eine der ersten Regionen, in denen die Technologie zum Einsatz kam; Frontex gehörte zu den ersten Kunden des Dienstes.
Nach der ersten Peilung des Unglücksbootes von Crotone schickte Frontex das Flugzeug »Eagle1« zu dessen weiterer Verfolgung los. Früher war die Behörde darauf angewiesen, dass Mitgliedstaaten Kapazitäten zur Luftüberwachung beisteuern. Seit 2017 hat Frontex selbst einen »Überwachungsflugdienst« aufgebaut und seitdem über 200 Millionen Euro für gecharterte Flugzeuge ausgegeben. Derzeit hat die Grenzagentur außerdem eine große Militärdrohne in Malta und eine weitere auf Kreta stationiert.
Die Bilder des Flugdienstes speist Frontex in das europaweite Überwachungssystem Eurosur ein. Darin erstellt die Behörde regelmäßige Lagebilder des »Grenzvorbereichs« der Europäischen Union. Auch die nationalen Eurosur-Kontaktstellen, etwa in Malta und Italien, erhalten diese Informationen. Dafür entsenden die Staaten jeweils eigene Mitarbeiter in ein Lagezentrum von Frontex in Warschau. Auch im Falle des vor Crotone gesunkenen Bootes waren italienische Behörden mit Hilfe der Frontex-Aufklärung in Echtzeit über dessen Zustand informiert. Berichten zufolge hatten sowohl die italienische Küstenwache als auch die Guardia di Finanza einen Beamten in ein „Frontex Situation Centre» nach Warschau abgeordnet.
Für Eurosur werden auch im Weltall aufgenommene Bilder genutzt. Seit 2014 beobachtet Frontex die Außengrenzen mit optischen und radarbasierten Satelliten aus dem EU-Programm »Copernicus«. Jetzt will die Grenzbehörde diese hochfliegende »Überwachungsfähigkeit« mit Plattformen in der Stratosphäre ausweiten. In 20 Kilometern Höhe sollen sie die Lücke zwischen den bereits genutzten Flugzeugen, Drohnen und Satelliten schließen.
Indes steht Frontex vor dem Problem, wie die vielen Daten und Ereignismeldungen sinnvoll verarbeitet werden können. Hierzu nutzt die Agentur unter anderem Anwendungen der israelischen Firma Windward, die auf »maritime Analyse« spezialisiert ist. Sie erhielt von Frontex bereits Aufträge über rund 2,7 Millionen Euro. Ihre Anwendungen führen die Eurosur-Aufklärung mit Positionsdaten von Schiffen, Angaben über Schiffseigentümer und Wetterinformationen zusammen.
Die Grenzüberwachung ist gleichwohl weiter eine vorwiegend nationale Angelegenheit. Die Mittelmeeranrainer verfügen hierfür über eigene Fähigkeiten zusätzlich zu denen von Frontex. Damit ist das Mittelmeer wohl eines der am besten überwachten Gewässer weltweit. Dass die vor Crotone Ertrunkenen nicht gerettet wurden, ist deshalb ein Skandal.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.