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Die Addition von Angst und Wut

Bei den Menschen wie bei den Geistern geht alles den Bach runter: »Schwerer als das Licht« von Tanja Raich ist Robinsonade und Apokalypse

  • Michael Wolf
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Pflanzen wählen lieber den Tod, als unfrei zu sein.
Die Pflanzen wählen lieber den Tod, als unfrei zu sein.

Man kann der Autorin keine falsche Bescheidenheit vorwerfen. Tanja Raich geht es um das große Ganze, inhaltlich und auch wortwörtlich. Die Wörter »alles« und »nichts« treten bei ihr in größter Zahl auf, die Kapitel tragen Titel wie »Alles ist eins« oder »Alles verschwindet«. Zunächst aber gilt es zu differenzieren, zwischen »Licht & Schatten« etwa, wie eine weitere Überschrift lautet. Derlei Dichotomien strukturieren den Text: Menschen und Geister, Meer und Erde, Lebende und Tote, Mann und Frau. Später dann geht das alles miteinander den Bach hinunter. Raichs Roman »Schwerer als das Licht« ist beides: Robinsonade und Apokalypse.

Eine namenlose Frau wird an die Küste einer kleinen Insel gespült. Indigene nehmen sie zunächst herzlich auf, doch dann schlachtet ein Teil des Dorfes den anderen ab. Die Frau flieht vor dem Gemetzel und errichtet eine Festung im Süden, um sich vor den Bewohnern des Nordens zu schützen. Die Mitte des Eilands bildet seither eine Art Demarkationslinie. Es ist unklar, welches Lager die größere Bedrohung darstellt oder mehr Furcht vor dem anderen verspürt.

Der Roman besteht aus Aufzeichnungen der Frau sowie Abschnitten, in denen ihr Leben auf der Insel von einer unbeteiligten Instanz beschrieben wird. Die angestammten Bewohner lernt man nur aus diesen Perspektiven kennen. Ob die Panik vor ihnen berechtigt ist, ob sie tatsächlich so barbarische Kannibalen sind wie von der Frau befürchtet, darf man zumindest bezweifeln. In jedem Falle sind sie, um der poetologischen Anlage des Buches zu folgen, die Anderen der Frau, was auch heißt: ihre Feinde.

Die eigentliche Gefahr trifft den Norden wie den Süden jedoch von der Insel selbst. Sie ist dem Untergang geweiht. Etwas greift die Natur an – die Bäume verlieren ihr Laub, die Blumen sterben ab, die Affen verhungern. Der Grund dafür mag in dem Blitz liegen, den die Frau eines Nachts beobachtet und der vielleicht auf die Detonation einer Atombombe hindeutet. Der Verfall könnte aber auch damit zu tun haben, dass sie selbst mit ihrer Intelligenz die Natur niederringt. Schien diese anfangs noch paradiesisch, treibt sie sich schließlich selbst aus dem Garten Eden heraus, indem sie sich als Gegnerin der Wildnis begreift und sie zu kontrollieren sucht. Unter dieser harten Hand wählen Tiere und Pflanzen lieber den Tod, als unfrei zu sein.

Wer möchte, darf in Raichs zweitem Roman Anleihen zur Dialektik der Aufklärung erkennen, jenem Klassiker der Frankfurter Schule, in dem Theodor Adorno und Max Horkheimer eine Geschichte des technischen Vermögens vorlegten. In seiner Fähigkeit zur Kritik, also dazu, die Zusammenhänge der Welt in Einzelheiten zu zerlegen und sie dadurch zu beherrschen, liegt das größte Gewaltpotenzial des Menschen begründet.»Schwerer als das Licht« erzählt diese alte Geschichte neu. Das überrascht, da Tanja Raich, Jahrgang 1986, zu einer Generation von Schriftstellerinnen und Schriftstellern gehört, in der sich gerade eine ganz andere Perspektive auf die Thematik Bahn bricht. Die Philosophie des Posthumanismus inspiriert viele von ihnen, das Verhältnis zwischen Menschen, Flora und Fauna neu zu definieren.

Es geht nicht mehr um die Beschreibung längst offensichtlicher Gewaltverhältnisse, sondern um das Knüpfen von Verbindungen über Artengrenzen hinweg, um die spekulative Beschreibung von Verwandtschaftsbeziehungen zwischen Menschen, Tieren, Pflanzen, Pilzen und sogar Maschinen. Der Auszug des Menschen aus der Natur, nicht mehr als Sündenfall beklagt, sondern mit den Mitteln der Utopie revidiert.

Man mag über diese Bemühungen den Kopf schütteln, weil sie den Glauben an eine neue Welt über die Gesetze der Naturwissenschaft stellen, doch lässt sich kaum bestreiten, dass sie immerhin Hoffnung ins Werk setzen. Raich leistet derweil immer noch schwerste Trauerarbeit. Ihre literarische Antwort auf das Anthropozän ist weiterhin die Kritik am Menschen, nicht seine Neuerfindung. Diese Anlage korrespondiert mit einem Stil, der sich auf keinen Fall gemeinmachen will mit der beschriebenen Kreatur. Die Hauptfigur trägt nicht nur keinen Namen, sie bleibt auch sonst blass, setzt literarisch kaum Fleisch an, sondern besteht lediglich aus der Addition dessen, was ihr zugeschrieben wird: Angst, Wut und Verbissenheit.

Man erfährt ebenso wenig etwas über ihre Vergangenheit jenseits der Insel wie über den Grund, warum sie so unbedingt am Leben bleiben will. Gibt es am Ende gar keinen? Woher rührt dann ihre Traurigkeit im Angesicht der untergehenden Welt? Raich bleibt die Antwort schuldig, worunter der ganze Roman leidet. Ein Bildnis von jemandem kann nur dann überzeugen, wenn man auch daran glaubt, dass es den Menschen darauf gibt. Hier jedoch, in diesem literarischen Labor, geht es nie über den Status einer Darstellung hinaus, als wäre diese Frau auf der Insel lediglich ein Roboter mit dem Auftrag, die Einsamkeit einer Gattung zu simulieren.

Tanja Raich: Schwerer als das Licht. Blessing-Verlag, 193 S., geb., 22 €.

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