- Berlin
- Sebastian Scheel
Sozialdemokrat in der Opposition
Der ehemalige Stadtentwicklungssenator Sebastian Scheel ist der »Neue« in der Linksfraktion
Wenn am Donnerstag das Abgeordnetenhaus zu seiner konstituierenden Sitzung zusammenkommt, wird auch Sebastian Scheel wieder im Berliner Landesparlament zu sehen sein. Nur diesmal wird der 47-Jährige nicht auf der Regierungsbank, sondern auf den Stühlen der Linksfraktion Platz nehmen. Der ehemalige Stadtentwicklungssenator ist jetzt einfacher Abgeordneter der demnächst oppositionellen Linken. Natürlich hätten sie sich das anders vorgestellt und gemeinsam mit SPD und Grünen weitermachen wollen, sagt Scheel zu seiner neuen Rolle. »Aber wir als Linke können auch Opposition.«
Einfacher Abgeordneter, das hätte der gebürtige Brandenburger eigentlich auch schon die vergangenen anderthalb Jahre sein können. Bei der letztlich annullierten Wahl 2021 gewann Scheel ein Mandat über die Linke-Landesliste, legte es aber drei Monate später wieder nieder Persönliche Gründe. Er habe eine Auszeit gebraucht, hieß es zumindest offiziell. Damals war längst klar, dass die Linke das Stadtentwicklungsressort an die SPD abgeben und Scheel nicht länger Senator bleiben wird.
Als solcher hatte er die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen durch das letzte Jahr der ersten Koalition von SPD, Linke und Grünen geführt, nachdem seine Vorgängerin und Parteifreundin Katrin Lompscher ihr Amt wegen beim Finanzamt nicht angegebener Bezüge niedergelegt hatte. Wieder war Scheel in Berlin zweite Wahl. Schon als er 2017 zum Staatssekretär im Stadtentwicklungsressort ernannt worden war, war eigentlich Andrej Holm für den Platz an Lompschers Seite vorgesehen gewesen. Doch Holm war im Zuge der Kritik an seiner früheren Stasi-Tätigkeit erzwungenermaßen zurückgetreten.
Scheel war das komplette Gegenteil des Aktivsten und Stadtforschers Holm. Nicht nur, dass er nichts mit Stadtentwicklung am Hut hatte. »Realos wie er haben weder eine SED-Vergangenheit, die man ihnen vorhalten könnte, noch eine Stasi-Akte. Man kann sie nur fragen, warum sie in jungen Jahren nicht Sozialdemokraten geworden sind, sondern der PDS beitraten«, befand 2012 die »Zeit« in einem Porträt über den damaligen »Hoffnungsträger« der sächsischen Linken.
Bevor Scheel in die Senatsverwaltung gerufen wurde, hatte er schon eine erste Karriere hinter sich. Vom Leipziger Stadtrat ging es in den sächsischen Landtag: Finanzpolitiker, Fraktionschef, parlamentarischer Geschäftsführer. Als er nach Berlin wechselte, verabschiedete sich die Linksfraktion im sächsischen Landtag von ihm so, wie sich das Erzgebirge von einem handgedrechselten Schwibbogen verabschiedet. In einem Facebook-Post mit seinem Bild bekam er mithilfe von Photoshop einen Orden verliehen, der stolz schwärmte: »Sächsischer Export« und »geprüfte Qualität aus Sachsen«. Auf den Weg gegeben wurde ihm auch die Empfehlung, dass er sich seinen »guten Modegeschmack« behalten solle.
Denn Scheel, der von sich sagte, im Herzen ein Punk geblieben zu sein, wurde vom »Tagesspiegel« auch schon »Armani-Kommunist« genannt – seiner schönen Anzüge wegen. Nun ist das mit den im Herzen Punk Gebliebenen bekanntlich so eine Sache. Die meisten müssen sich dann doch eingestehen, dass früher mal mehr Krawall war. Schließlich ruft die Pflicht. Und wenn es um die geht, kann sich Scheel »gut vorstellen«, zu seinem einstigen Steckenpferd zurückzukehren, den Wirtschafts- und Finanzthemen. »Es gibt ja auch ein ungeschriebenes Gesetz, nach dem ehemalige Regierungsmitglieder nicht für den Bereich im Abgeordnetenhaus zuständig sein sollten, für den sie zuvor Verantwortung getragen haben«, sagt er.
Gleichwohl sei seine Zeit im Stadtentwicklungsressort nicht unerfolgreich gewesen. Deutsche Wohnen in der Karl-Marx-Allee zurückgedrängt, Milieuschutzgebiete ausgeweitet, den Neubau bei den Landeseigenen angeschoben – das waren Scheel zufolge »einige erfolgreich geführte Kämpfe«. Doch zur Wahrheit gehört auch, dass andere nicht begeistert sind von seiner Zeit in der Senatsverwaltung. »Wenn Herr Scheel sagt, er wolle als Abgeordneter nicht für den Mietenbereich zuständig sein, können wir Mieter aufatmen«, freut sich etwa Sebastian Jung von der Initiative Mieterstadt.
Von »verstörenden Erfahrungen« mit Scheel, aber auch mit Katrin Lompscher spricht Jung, der sich seit Jahren mit dem »alten« sozialen Wohnungsbau beschäftigt. Eine sehr komplizierte und für Mieter sowie Landeskasse teure Erblast des West-Berliner Baufilzes, die kurz gesagt zur Folge hat, dass Eigentümer längst bezahlte Kredite als fiktive Kosten in die Mietberechnung einfließen lassen können. Und es geht um Miethöhen von über 20 Euro pro Quadratmeter.
Die links geführte Senatsverwaltung habe es aber nicht nur versäumt, diese sogenannte Kostenmiete auf die Höhe der ortsüblichen Vergleichsmiete begrenzen zu lassen, kritisiert Jung. Vielmehr sei damals auch fast eiligst ein Gesetzentwurf auf den Weg gebracht worden, mit dem selbst diese Grenze weggefallen wäre und Mietforderungen unbegrenzt nach oben möglich geworden wären. »Allein der Grünen-Politikerin Katrin Schmidberger ist zu verdanken, dass eine links geführte Senatsverwaltung in der Sommerpause 2020 nicht eine Regelung zum Nachteil der Mieter verwirklicht hat«, blickt Jung zurück.
Ein anderer »Erfolg« Scheels konnte hingegen einen Sommer später nicht verhindert werden, auch wenn damals Katalin Gennburg, die Stadtentwicklungsexpertin der Linksfraktion, auf die Barrikaden ging. Bei der Novelle des Zweckentfremdungsverbotsgesetzes bezog sie gegen den Entwurf aus dem Haus ihres »Parteifreundes« und ihre Fraktion Stellung. Regelungen, für die AirBnB lobbyierte, wurden verabschiedet.
Verstimmt zeigte sich die Linke-Politikerin vergangenes Jahr auch, als herauskam, dass das Baukollegium in einer geheimen Sitzung im August 2021 seine Position zum umstrittenen Signa-Projekt am Kurfürstendamm geändert hatte, dem Konzern wurden nun keine Höhenbegrenzungen für seine Hochhäuser mehr gemacht. »Ich hätte mich gefreut, wenn mein Genosse Ex-Senator mir einen sachdienlichen Hinweis in der Angelegenheit gegeben hätte«, sagte Gennburg mit Blick auf die Geheimhaltung und nicht ganz so freudig zu »nd«.
Dem renitenten Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg entzog Scheel wiederum die Hoheit über den Bebauungsplan für das Karstadt-Gebäude am Hermannplatz, wo Signa hochfliegende Immobilienträume gegen den Widerstand der Zivilgesellschaft verwirklichen will. Man kann sagen: Scheel stand für das Gegenteil dessen, was die Linke versprach, als sie mit dem Slogan warb: »Wir geben euch die Stadt zurück.«
Stadtentwicklungspolitik, Mode und auch das Thema Wahlkampf: Scheel und Gennburg könnten unterschiedlicher nicht sein. Die in der Initiativenlandschaft beliebte Linke-Politikerin stand selbst auf dem hinteren Listenplatz 18 einer Landespartei, die nun meint, ihre kämpferische Rolle in der Opposition wiederfinden zu wollen. Gennburg machte, das leugnen auch ihre Kritiker nicht, einen zeitintensiven Haustürwahlkampf, an deren Ende sie das Direktmandat im für die Linke eigentlich verloren geglaubten Treptower Norden gewann.
Scheel hingegen hatte das nicht nötig. Mit Listenplatz vier war ihm der Einzug sicher. Doch darauf wollte er sich nicht ausruhen. »Allein in der Neujahrsnacht habe ich mehrere Stunden lang die Erstplakatierung unterstützt«, berichtete er stolz nach der Wahl der Chemnitzer »Freien Presse«.
Ob Scheel denn diesmal überhaupt sein Mandat annehmen will, war nicht ganz klar. Im vergangenen November wurde er noch als Nachfolger für den Chefposten im Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten gehandelt. Auch bei der ersten Fraktionssitzung der Linken nach der Wahl fehlte ausgerechnet der Neue. Scheel sagt: »Es wird immer viel geredet und nicht alles stimmt. Ich werde mein Mandat mit ganzer Kraft wahrnehmen. Berlin ist mein privater und politischer Lebensmittelpunkt.«
Zu vergangenen Konflikten will Gennburg eigentlich nicht mehr viel sagen und stattdessen in die Zukunft schauen. Es gebe jetzt nach dem Ende von Rot-Grün-Rot das »Momentum«, die Berliner Linke als starke »antikapitalistische Großstadtpartei mit Verankerung in den Konflikten vor Ort« aufzustellen. Und gleichzeitig der Politik einer »glitzernden, renditeorientierten Metropole« entgegenzutreten. »Für Sebastian Scheel stellt sich die Aufgabe, daran mitzuwirken, in besonderer Weise. Kompromisse, die er eingegangen ist, waren keine linken Kompromisse«, sagt sie.
2012 zählte die »Zeit« Scheel zu den »jungen Ostdeutschen, die mit pragmatischer Politik an die Macht streben«. Es ist die Umschreibung für das Reformerlager der Partei. Eben mehr Armani als Kommunist und immer zur Stelle, wenn man gerufen wird. Solange auch der Berliner Landesverband tickt wie bisher, dürfte Scheel noch eine große Karriere in Berlin bevorstehen.
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