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Gewerkschaften schlagkräftiger machen
Mitorganisatorin Fanny Zeise über die 5. RLS-Konferenz Gewerkschaftliche Erneuerung
Sie haben für Ihre 5. Konferenz gewerkschaftliche Erneuerung im Mai bereits fast 1000 Anmeldungen. Sind Sie überrascht über den großen Zulauf?
Fanny Zeise ist Referentin für gewerkschaftliche Erneuerung bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung und organisiert die 5. Konferenz Gewerkschaftliche Erneuerung mit. Die von der Rosa-Luxemburg-Stiftung veranstaltete Tagung findet vom 12. bis 14. Mai 2023 an der Ruhr-Universität Bochum statt. Das »nd« ist Medienpartner.
Eigentlich nicht. Bisher sind die Konferenzen von Mal zu Mal größer geworden. Es gibt ein enormes Bedürfnis nach einer Strategiedebatte und dem Austausch über die gegenwärtigen Arbeitskämpfe. Die große Resonanz zeigt aber sicher auch, dass das Interesse an Gewerkschaften insgesamt gestiegen ist.
Derzeit laufen Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst und bei der Deutschen Post. Beide Auseinandersetzungen sind wieder härter als vergangene. Inwiefern spielen sie auf der Konferenz eine Rolle?
Es wird Arbeitsgruppen geben, in denen diese und andere Tarifrunden analysiert werden. Schließlich passiert hier einiges, das auch anstehenden Kämpfen eine Inspiration sein kann.
Was wäre das zum Beispiel?
Dass Verdi im Rahmen der Tarifrunde im öffentlichen Dienst in vielen Städten den Nahverkehr lahmgelegt hat und zusammen mit Fridays for Future auf die Straße gegangen ist. Das hat viel Aufmerksamkeit erzeugt, weil die Arbeiterinnen und Arbeiter ihre Streikmacht genutzt haben, um gemeinsam mit der Klimabewegung für einen guten öffentlichen Nahverkehr zu kämpfen.
Inwiefern wird das Verhältnis der Gewerkschaften zur Klimabewegung Gegenstand der Konferenz sein?
Auf der Auftaktveranstaltung wird die stellvertretende Verdi-Vorsitzende Christine Behle unter anderem mit Felicitas Heinisch von Fridays for Future, Paul Hecker von der IG Metall Köln-Leverkusen und Linke-Co-Chefin Janine Wissler diskutieren, wie die Verkehrswende solidarisch gestaltet werden kann. In diesem Zusammenhang werden auch der Umbau der Automobilindustrie und Auseinandersetzungen gegen Beschäftigungsabbau oder Betriebsschließungen bei Ford und anderswo eine große Rolle spielen.
Wie unterscheidet sich die diesjährige Gewerkschaftskonferenz von ihren Vorgängerinnen?
Das Programm ist noch mal umfangreicher und es stehen mit den aktuellen Auseinandersetzungen auch neue Themen zur Diskussion. Vor allem ist der Trägerkreis breit wie nie: Neben vielen IG-Metall-Geschäftsstellen, EVG, GEW, IG BAU und dem DGB sind die NRW-Landesbezirke von Verdi und NGG dabei. Aber wie immer richtet sich die Konferenz an all jene, die Gewerkschaften verändern und erneuern wollen. Ziel ist, sich zu vernetzen und zu diskutieren, wie Beschäftigte mit neuen, offensiven Strategien die kommenden Auseinandersetzungen gewinnen können.
Stichwort Erneuerung: Was sind da gegenwärtig die dringendsten Aufgaben der Gewerkschaften?
Die Gewerkschaften stehen vor der Herausforderung, ihre Praxis konfliktorientierter, beteiligungsorientierter und politischer zu gestalten und verstärkt gesellschaftliche Bündnisse einzugehen, um ihre Durchsetzungskraft zu stärken. Das Bündnis zwischen Verdi und Fridays for Future ist da ein gutes Beispiel. Es besteht bereits seit der Tarifrunde im Nahverkehr 2020 und soll auch 2024 fortgeführt werden. Aber auch bei der IG Metall gibt es interessante Ansätze, solche Kooperationen einzugehen. Dabei geht es meistens um Auseinandersetzungen in der bereits laufenden Transformation der Industrie.
Was verstehen Sie darunter, dass die Gewerkschaften beteiligungsorientierter werden sollen?
Es geht darum, dass die Gewerkschaftsmitglieder bei der Aufstellung von Forderungen und der strategischen Planung von Arbeitskonflikten stärker mitwirken können. Das wird auch Thema einiger Arbeitsgruppen auf der Konferenz sein. Eine analysiert zum Beispiel die Rolle der Team-Delegierten in den Entlastungsauseinandersetzungen an den Kliniken in Berlin und NRW. Zu der Diskussion wollen wir auch als Rosa-Luxemburg-Stiftung mit einer Studie der US-amerikanischen Organizing-Legende Jane McAlevey beitragen, die Beschäftigtenpartizipation in Form von großen und offenen Verhandlungen analysiert.
Das hört sich so an, dass die Gewerkschaften demokratischer werden sollten?
Ja, mehr Beteiligung – über Tarifkommissionen und Urabstimmungen hinaus – ist sicher notwendig, um Gewerkschaften besser aufzustellen und schlagkräftiger zu machen. Mehr Mitsprache bedeutet, dass die Kenntnisse und Fähigkeiten der Menschen umfassend einfließen. Und wer aktiv ist, umfassend informiert und verstärkt an strategischen Entscheidungen beteiligt wird, übernimmt auch Verantwortung für strategische Entscheidungen – das kann so auch die Geschlossenheit im Kampf stärken.
Geschieht nicht derzeit auch viel innerhalb der Gewerkschaften?
Eingeschliffene Routinen sind oft beharrlich, aber es gibt aktuell starke Bewegungen, in denen viel Neues erprobt wird. In die Tarifauseinandersetzungen im öffentlichen Dienst geht Verdi mit neuen Streikformen und mit neuem Schwung. Und mit ersten Erfolgen übrigens: Die derzeitige Streikwelle bescherte Verdi in diesem Jahr bereits über 45 000 neue Mitglieder.
Gibt es auch in anderen Gewerkschaften solche Erneuerungsversuche?
Aktuell sehr beeindruckend ist die EVG, die einst die Privatisierung der Deutschen Bahn (DB) mitgetragen hat und heute eine offensive Tarifrunde führt. Sie verhandelt nicht nur mit der DB, sondern synchron mit allen weiteren Bahnunternehmen. Wenn die Beschäftigten hier einheitliche Standards durchsetzen, drehen sie die Zerschlagung der Tarifverträge der letzten Jahrzehnte zurück und stärken ihre kollektive Macht erheblich.
Auch die Organizing-Debatte, die Fragen aufwirft, wie man sich neu organisieren kann, um Arbeitskämpfe erfolgreich zu führen, ist mittlerweile in allen Gewerkschaften angekommen. Die IG Metall gehört mit ihren bezirklichen Erschließungsprojekten zu den Vorreitern und hat damit Organizing in ihrer regulären Gewerkschaftspraxis verankert.
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