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Hans Modrow: Ein bodenständiger Internationalist

Abschied von Hans Modrow: Freunde und Weggefährten ehrten den verstorbenen Linke-Politiker mit einer Trauerfeier

»Das Leben hat es gut mit mir gemeint« – wohl dem, der am Ende seiner Tage so zurückblicken kann, mit sich selbst im Reinen. Hans Modrow war das vergönnt; jedenfalls ist dieses Bekenntnis aus seiner letzten Lebensphase überliefert. Nach einer Jahrhunderterfahrung, der es an Höhen wie an Tiefen wahrlich nicht fehlte, in der er Weltgeschichte erlebte, ein wenig auch prägte. Geboren 1928, als Jugendlicher in die letzten Kriegswirren hineingezogen, jahrelange Kriegsgefangenschaft in der Sowjetunion. Rückkehr nach Deutschland, Bekenntnis zum Neuaufbau und zum Sozialismus in der DDR, Studium in Moskau, Funktionen in FDJ und SED. Schließlich, im Wendeherbst 1989, Ministerpräsident der DDR: der Versuch, aus dem Zusammenbruch des Staatssozialismus einen Neubeginn zu machen und – als das unmöglich wurde – die DDR-Bürger mit Würde ins vereinte Deutschland zu führen.

Das ist es, was die politische Bedeutung des Hans Modrow ausmacht und was in Erinnerung gerufen wurde, nachdem er am 10. Februar dieses Jahres gestorben war, kurz nach seinem 95. Geburtstag. Nun, einige Wochen später, gedachten Familie, Freunde und Weggefährten des Politikers mit einer Trauerfeier. Mehrere Hundert Menschen kamen am Mittwochnachmittag ins nd-Gebäude am Berliner Franz-Mehring-Platz. Weil der Willi-Münzenberg-Saal längst nicht alle Gäste fassen konnte, wurde die Veranstaltung in mehrere andere Säle übertragen.

Viele waren unter den Teilnehmern, die mit Modrow in der SED, der PDS, der Linkspartei zusammengearbeitet haben. Auch einige von denen, die Modrow mit seiner Kritik nicht verschont hatte. Denn so nüchtern-sachlich Modrow oft analysierte – er war auch ein Freund der sehr deutlichen Worte. Wenn ihn der Zustand seiner Partei besorgte, dann ließ er das wissen. Und Modrow sorgte sich oft, bis zuletzt. Davon könnten zum Beispiel die Linke-Politiker Gregor Gysi und Dietmar Bartsch berichten, die zur Trauerfeier gekommen waren, ebenso die Linke-Vorsitzende Janine Wissler und Bundesgeschäftsführer Tobias Bank. Anwesend auch Egon Krenz, der letzte Generalsekretär der SED, der ehemalige Bundeskanzler und SPD-Politiker Gerhard Schröder und die Linke-Abgeordnete Sahra Wagenknecht, die Botschafter Japans und Nordkoreas.

Modrow sei der »vielleicht am meisten unterschätzte Staatsmann in der deutschen Geschichte«, sagte sein Freund, Verleger und in den letzten Jahren oft auch Berater und Begleiter Frank Schumann. Er bezog sich auf Modrows maßgeblichen Anteil daran, dass der Übergang der DDR ins vereinigte Deutschland friedlich und ohne einen Schuss verlief.

Ein Verdienst, das auch der Vorsitzende der Linke-Bundestagsfraktion, Dietmar Bartsch, hervorhob. Bartsch erinnerte an den SED-Sonderparteitag Ende 1989, als die Existenz der Partei in Frage stand. Ein Teil der Delegierten forderte die Auflösung und eine Neugründung; Modrow wandte sich mit einer vehementen Rede dagegen und wies darauf hin, dass er als Ministerpräsident ohne stützende Partei und Fraktion in der Volkskammer nicht handlungsfähig wäre. Letztlich habe Modrow so, sagte Bartsch, entscheidend dazu beigetragen, dass es bis heute eine nennenswerte sozialistische Partei in Deutschland gibt.

Modrow war ein »Parteipolitiker aus vollem Herzen« (Bartsch), aber »kein Apparatschik, sondern ein Mensch voller Herzenswärme«, wie die Ökonomin Christa Luft feststellte, die in der Regierung Modrow 1989/90 Wirtschaftsministerin und Modrows Stellvertreterin war. Sie habe in ihrem Leben viele Chefs gehabt, aber keinen wie diesen: volle Einsatzbereitschaft fordernd, »bis hin zur Askese«, gleichzeitig offen für Ratschläge, die er nicht nur annahm, sondern auch einforderte.

Luft gehört zu denen, die bis zuletzt Kontakt zu Hans Modrow hatten, auch dann, als es ihm gesundheitlich gar nicht mehr gut ging. Zwei Dinge hätten ihn gequält, erinnerte sie sich an die letzten Begegnungen: die problematische Entwicklung der Linkspartei, deren Ältestenrat Modrow lange durchaus streitbar geleitet hatte. Und der russische Einmarsch in die Ukraine, »befehligt von der Führung des Landes, dem er sich zeitlebens verbunden fühlte« und dessen widersprüchliche Vorgeschichte man nicht ausblenden dürfe.

Hans Modrow, sagte Bartsch, wollte 1990 erreichen, dass die Ostdeutschen erhobenen Hauptes in die deutsche Einheit gehen können. Er war »ein Ministerpräsident des Übergangs, aber kein Premier der Übergabe«. Bis zuletzt bedankten sich Menschen bei ihm dafür, dass durch das von ihm initiierte sogenannte Modrow-Gesetz die Einfamilienhäuser vieler Ostdeutscher nicht enteignet wurden. So wird er vielen in Erinnerung bleiben – als empathischer Politiker, der sich für seine Umgebung interessierte und für die weite Welt. Der bis ins hohe Alter ein gefragter Gast und Gesprächspartner in Osteuropa, Asien und Lateinamerika war. Wie Dietmar Bartsch es formulierte: ein nahbarer, bodenständiger Internationalist.

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