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Kathrin Schmidt: »Dieser Prozess ist eine Farce«
Kathrin Schmidt über die Repression gegen die Crew des Seenotrettungsschiffs »Iuventa« und Sexismus im Alltag
Frau Schmidt, Ihnen drohen 20 Jahre Haft. Wie fühlt sich das an?
Das ist eine schwierige Frage. Es macht mich unglaublich wütend, dass wir uns schon seit über fünf Jahren mit diesem Verfahren rumschlagen müssen. Das Ausmaß dessen, was Europa auf sich nimmt, um Migration zu verhindern – diese systematische Kriminalisierung – ist unglaublich. Wir sind in diesem Prozess ja noch die privilegierten europäischen Seenotrettenden. Dieses Verfahren hat mich stark darauf aufmerksam gemacht, dass Hunderte, wenn nicht Tausende auf der Flucht bereits in Knästen sitzen – ohne faires Verfahren.
Können Sie uns einen Einblick geben?
Die Gerichtsverfahren müssen für uns auf Deutsch übersetzt werden. Das Transkript einer letzten Anhörung wurde von einem zertifizierten Übersetzer geprüft. Das Ergebnis war eindeutig: Es war nicht möglich, den Inhalt und den Zusammenhang von dem, was übersetzt wurde, zu verstehen. Obwohl er das selbst in Auftrag gegeben hatte, ignorierte der italienische Richter dies schließlich und ging lediglich von Unregelmäßigkeiten aus. Diese Übersetzung hindert uns daran, effektiv an unserer Verteidigung teilzunehmen. Mit solchen Situationen schrumpft das Vertrauen in das Justizsystem. Wir lassen uns davon nicht einschüchtern, aber es ist erschreckend. Während wir uns wehren können, gibt es so viele Menschen, die das nicht können und von einem System betroffen sind, das nicht in der Lage ist, Übersetzungen bereitzustellen.
Da hängt ja sehr viel vom Richter ab. Die italienische Regierung liegt weit rechts. Der Gedanke, dass das auch auf das Justizsystem abfärbt, ist nicht fern.
Ich bin da zwiegespalten. Uns wird gesagt, die Gewaltenteilung in Italien sei noch intakt. Aber gleichzeitig denke ich mir, wenn das so wäre, dann stünden wir nicht vor Gericht. Allein die Tatsache, dass Seenotrettende, die auf einem Schiff Menschen in Seenot geholfen haben, jetzt vorm Gericht stehen – das ist eine reine Farce! Dieser ganze Prozess ist politisch motiviert und soll ein Exempel an Seenotrettung statuieren.
Sie sind jetzt seit über fünf Jahren von dieser Repression betroffen. Wie halten Sie das aus?
Ich kann nichts daran ändern, dass ich in diesem Verfahren stecke. Hätte ich etwas anders gemacht, wenn ich von dieser Konsequenz gewusst hätte? Nein. Einerseits ist das eine Bürde, andererseits ist es eine Möglichkeit, diesen Prozess als Plattform zu sehen, politischen Kontext sichtbar zu machen, der für viel mehr steht als das, was da im Gericht passiert. Das macht handlungsfähig. Ich finde, sie schießen sich mit dem Prozess auch ein Eigentor, weil es diese politische Kriminalisierung so stumpf offenlegt. Also, wie Migration und Bewegungsfreiheit dadurch delegitimiert werden sollen und Menschen illegalisiert werden, weil sie die vermeintlich falsche Nationalität haben. Und das korreliert mit jenem Globalen Süden, den Deutschland und andere Industrienationen über Jahrhunderte systematisch unterdrückt und ausgenutzt haben. Wenn wir mal drei Schritte zurückgehen, ist das Ganze ja ein neokolonialer, rassistischer Kontext und Konsequenz dessen, dass Europa Menschen ihrer Lebensgrundlage beraubt hat. Wir tragen Verantwortung für das, was global passiert.
Nicht nur der Prozess beschäftigt Sie, allgemein reisen Sie gerade sehr viel hin und her. Was müssen Sie alles jonglieren?
Neben dem Prozess bin ich noch in verschiedenen Projekten aktiv: So bin ich in der Einsatzkoordination bei »Louise Michel«, dem einzigen feministischen Seenotrettungsprojekt im zentralen Mittelmeer. Recht neu ist meine Aktivität in einem Bootsteam, unter anderem als Trainerin für eine Umweltschutzorganisation. Bis März letzten Jahres habe ich in der Türkei gelebt und dort für eine kleine NGO gearbeitet.
... die an der EU-Außengrenze aktive Organisation Josoor.
Ja, aber das ist leider zu Ende gegangen, weil die Organisation aufgrund der politischen Situation und der untragbaren Repression in der Türkei nicht mehr weiter operieren konnte und wegen Mangels an Ressourcen und Spenden die Arbeit eingestellt werden musste. Was natürlich unglaublich krass ist, weil es die einzige Organisation war, die diese Arbeit gemacht hat: eine Kombination aus Erfahrungsberichten und Notfallmaßnahmen von und für Überlebende der Pushbacks an diesen Landesgrenzen. Neben Josoor arbeiten alle vergleichbaren Organisationen im Grunde an dem gleichen Problem, nur an unterschiedlichen Ecken und Enden. Da ist Klimaschutz von Flucht und Migration nicht weit entfernt, weil das eine das andere bedingt. Die grundlegenden Faktoren sind dieselben: eine patriarchale Struktur, die es grandios verkackt hat.
Lange bevor ich von Ihrer Geschichte bei der »Iuventa« erfuhr, hatte ich bereits in einem anderen Kontext von Ihnen gehört: in dem Podcast über linke Männlichkeit »Feminism on Ear«. Warum ausgerechnet dieses Thema?
Das spiegelt ganz viel meiner Erfahrung der letzten Jahre und der Kontexte wider, in denen ich mich bewegt habe. Sei es auf dem Boot, auf der Arbeit oder im Lebensumfeld. Nichts davon geschieht außerhalb dieser patriarchalen Strukturen. Deshalb passiert es ganz oft, dass sie fortgeführt und reproduziert werden. Ich bin müde von diesem doppelten Kampf.
Können Sie diesen »doppelten Kampf« konkretisieren?
Das sind meist alltägliche Umgangsformen, mit denen wir ständig konfrontiert werden: Wie oft werde ich unterbrochen? Wie ernst werde ich genommen? Wie oft werden mir Sachen von meinen männlichen Mitstreitern erklärt, um die ich nicht gebeten habe oder sogar schon weiß? Wie viel Wertschätzung wird wem entgegengebracht? Es geht immer wieder darum zu kämpfen, gesehen, gehört und ernst genommen zu werden. Und natürlich diese subtilen Sexismen – die objektivieren, die sexualisieren und die kaum noch auffallen, weil sie so normal sind. Das sollte aber nicht normal sein. Das sind Dinge, die frustrieren, die enttäuschen und verletzen. Natürlich hängt da auch viel miteinander zusammen. Das Grenzregime und die Grenzgewalt sind patriarchale Gewalt, und die Problematiken, auf die wir gucken, sind nie isoliert. Ganz oft verlieren wir das aus dem Blickfeld. Dann kommt dieser berühmte Nebenwiderspruch: »Gerade ist was anderes wichtiger.« So funktioniert’s aber nicht, wir müssen Dinge gleichzeitig ansprechen. Wir müssen verstehen, dass das Problem Machtausübung ist.
Inwiefern ist Ihre ursprüngliche Ergotherapie-Ausbildung noch Teil Ihres Lebens?
Nach der Ausbildung habe ich einige Jahre im psychosozialen Bereich in Neuseeland gearbeitet. Ich war auch damals schon die politische Person, die ich heute bin, allerdings nicht so aktivistisch. Die therapeutische Arbeit hat mich noch mal so richtig darauf aufmerksam gemacht, dass das meiste, womit Menschen zu kämpfen haben, eigentlich gesellschaftliche Ursachen hat und damit politische. Dann hat sich die Frustration eingeschlichen, dass ich auf der individuellen Ebene gar nichts bewegen kann, wenn wir dahin gucken wollen, dass diese Probleme gar nicht erst entstehen. Von daher ist die Ausbildung vor allem in Hinblick auf Erfahrung Teil meines Lebens. Auch weil ich gelernt habe, in Gruppenkontexten zu arbeiten und Teams anzuleiten. Zu verstehen, wie Menschen miteinander gut funktionieren, wie sich Erfahrungen, Stärken und Herausforderung gegenseitig ergänzen und fördern können. Außerdem glaube ich, dass es mir geholfen hat, einen professionellen Umgang mit dem Leid anderer Menschen zu haben, ohne mich davon so einnehmen zu lassen, dass es mich handlungsunfähig macht. Das habe ich nicht alles easy jongliert, aber ich habe gelernt, einen Weg zu finden, der eine gewisse Distanz bewahrt, die gut und wichtig ist.
Kathrin Schmidt, 39, war Teil der Crew des Seenotrettungsschiffes »Iuventa«, die derzeit in Italien vor Gericht steht. Als Aktivistin ist sie zwar am liebsten auf dem Wasser unterwegs, für einen feministischen Podcast setzt sie sich aber auch mal vors Mikrofon. Infos zur »Iuventa« unter http://solidarity-at-sea.org.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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