Obszöne Parteinahme fürs Fossilkapital

Die FDP ist eine Marketingmaßnahme im Portfolio machtvoller Industrieverbände wie der Autobranche, meint Leo Fischer

Die Stimme der Vernunft – Obszöne Parteinahme fürs Fossilkapital

Das europäische Verbrennerverbot – gekippt von der FDP! Da beschwerten sich sogar andere europäische Liberale: Eine derart obszöne Parteinahme fürs Fossilkapital gilt selbst da als schlechter Stil. Gekoppelt war das FDP-Dramolett an eine Kampagne der deutschen Autoindustrie zur Förderung von eFuels – angeblich ökologisch hergestellten Kraftstoffen, die in den Augen der Autoindustrie unverzichtbar für einen klimaneutralen Personenverkehr sind. In Wahrheit geht es dieser Industrie nur darum, ihr planetenzerstörendes und nachgerade apokalyptisches Geschäftsmodell noch so weit auszureizen wie irgend möglich, mit der jeweils nächsten grünen Etikette, dem nächsten konsequenzlosen Versprechen. Die Leute sollen Autos kaufen, Autos und noch mehr Autos, gegen jede Vernunft und jede bessere Einsicht, voll klimiatisiert – und mit fünf Airbags in den Weltuntergang brettern.

Leo Fischer

Leo Fischer ist Journalist, Buchautor und ehemaliger Chef des Satiremagazins »Titanic«. In seiner Kolumne »Die Stimme der Vernunft« unterbreitet er der aufgeregten Öffentlichkeit nützliche Vorschläge und entsorgt den liegengelassenen Politikmüll. Alle Texte auf dasnd.de/vernunft.

Mehr noch als eine Partei ist die FDP ein Kampagneninstrument, eine Marketingmaßnahme im Portfolio machtvoller Industrieverbände. Seit Jahren bringt die Partei kaum noch Persönlichkeiten hervor, schon auf der Bundesebene wirkt alles unterhalb Christian Lindners wie dritte Wahl. Aus dem Kopf heraus könnte man nicht mal sagen, welche Ministerien die FDP gerade stellt, man muss sie googeln. Und dann überrascht feststellen, dass das Bildungsministerium in liberaler Hand ist. Immerhin passiert da nichts allzu Auffälliges.

Tatsache ist, dass diese Partei als Kampagneninstrument des Kapitals bedeutende Köpfe gar nicht nötig hat. Ihr Einfluss baut sich im vorpolitischen Raum auf, in der weiten, ideologisch diffusen Welt aller irgendwie Selbständigen, von der Yogatrainerin mit Influencer-Kanal über den esoterische Agilität verkaufenden Coach und den Bitcoin-Fanatiker bis hin zum über die Messen tingelnden Keynote Speaker. Sie alle haben im Einzelfall mehr sozialmediale Reichweite als so mancher FDP-Landesverband. In zahllosen Varianten predigen sie das Evangelium der Eigenverantwortung und der Selbstausbeutung, schreiben marktradikale Pamphlete vom staatlich finanzierten Studienplatz oder vom mit Fördergeld gepolsterten Startup-Sessel aus. Sie müssen von der FDP gar nicht mobilisiert werden, die FDP ist vielmehr Ausdruck ihrer Lebensweise, Büro einer immerwährenden Kampagne, die sich selbst zum Inhalt hat.

Denn auch Inhalte braucht es wenig: Programmatisch hört man von der FDP nichts, keine Initiative, keine große Idee geht von ihr aus. Man erfährt nur von ihr, wenn sie etwas verhindert, gestört, Vereinbarungen gebrochen hat. Man merkt einer Regierung an, dass sie sich selbst nicht ernst nimmt, wenn sie mit der FDP eine Koalition bildet – denn in jeder bekannten Konstellation ist die FDP die lose Kanone, die garantierte Sollbruchstelle, parteigewordene Obsoleszenz. Die FDP ist die Notbremse der Wirtschaft, für die wenigen Fälle, in denen staatliche Interessen noch nicht mit den ihren identisch sind. Wer mit der FDP koaliert, will eine Ausrede für die eigene Untätigkeit, überwintert gerade für eine neue Konstellation oder wünscht der Wirtschaft das direkte Zugriffsrecht auf Regierungshandeln.

In dieser Funktion liegt ihre reale Macht. Ihre Wahlerfolge mögen schwanken, aber noch bei knapp zwei Prozent Wähler*innengunst werden ein Scholz, ein Habeck noch jemanden brauchen, auf den man mit dem Finger zeigen kann – und in dieser Rolle hat die FDP ihre Rolle gefunden, ja direkt Unsterblichkeit erlangt. Bei der nächsten Hausse in den Umfragen gibt man sich wieder staatstragend oder lässt sich von der AfD zum Ministerpräsidenten machen, bei der nächsten Schlappe lässt man sich in Bündnisse einbauen, die man insgeheim sabotieren soll. So kann es mit dieser Partei theoretisch ewig weitergehen.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -