Irak: Gescheiterter Staatsaufbau

20 Jahre nach dem Irak-Krieg befindet sich das Land in einer tiefen politischen und wirtschaftlichen Krise

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 5 Min.
Immer noch Gewehre. Die neuer Normalität in Kerbela, Irak.
Immer noch Gewehre. Die neuer Normalität in Kerbela, Irak.

Wie ein gewaltiger Klotz thront die Botschaft der Vereinigten Staaten am Ufer des Tigris in Bagdad; ungefähr so groß wie die Vatikanstadt ist die streng bewachte Anlage, in der einst bis zu 11 000 Diplomat*innen, Truppen und Mitarbeiter*innen von amerikanischen Vertragsunternehmen Platz fanden.

Doch die beeindruckende Größe trügt: Innen sei die Botschaft leer und verwaist, sagen jene, die dort arbeiten. Außenstehende erhalten nur selten und dann einen streng überwachten Einblick in das Innere der Botschaft. Nach Angaben des US-Außenministeriums arbeiten im Irak nur noch knapp über 350 Diplomat*innen; hinzu kämen »einige hundert« Truppenangehörige. Einschränkung: In den Zahlen sind auch die amerikanischen Mitarbeiter*innen im Generalkonsulat in Erbil, der Hauptstadt der Autonomen Region Kurdistan (ARK) enthalten.

»Mission accomplished«, Mission erfüllt, hatte US-Präsident George W. Bush am 1. Mai 2003 auf dem Flugzeugträger USS Abraham Lincoln erklärt. Doch heute, 20 Jahre nach dem Beginn des Krieges der USA gegen den Irak, ist nichts erfüllt, nichts geklärt. Man hatte das Regime von Präsident Saddam Hussein gestürzt; doch das Ziel, im Irak ein demokratisches Regierungssystem einzuführen, das Land und seine Gesellschaft zu modernisieren, für andauernde Sicherheit und Wohlstand zu sorgen, ist krachend gescheitert.

In unmittelbarer Nähe der US-Botschaft regiert nun unter Regierungschef Mohammad al Sudani eine Regierung, die von Parteien gestützt wird, die für stärkere Bindungen an das Nachbarland Iran eintreten. Der Vereidigung der Regierung im Oktober vergangenen Jahres vorausgegangen war ein einjähriges Ringen im Parlament, das von ständigen Befürchtungen begleitet war, das Land könne in einen Bürgerkrieg abrutschen. Denn viele der Fraktionen im Parlament werden von bewaffneten Milizen unterstützt. Die Zahl dieser Gruppen sei nahezu unüberschaubar, heißt es bei der Polizei, die nach dem Sturz Husseins hochgerüstet und mit modernster Technologie aus den USA ausgestattet wurde. Und die trotzdem fast nichts erreicht: Durch Bagdad und andere Städte rollt eine Verbrechenswelle. Die Täter*innen stammen meist aus dem Umfeld der Milizen.

Und gegen politisches Hickhack können auch Technik und Ausbildung nichts ausrichten: Die Rolle der Milizen ändert sich ständig. Als der »Islamische Staat« einen großen Teil des Landes unter seine Kontrolle brachte, kämpfte ein Großteil von ihnen an der Seite des Militärs, bevor sie sich wieder Entführungen, Erpressung und Drogenhandel widmeten und dann zeitweise wieder Landesverteidiger wurden.

Für die breite Bevölkerung ist das nur ein weiterer Aspekt, der zu dem nahezu allumfassenden Unmut über die Zustände im Land beiträgt: Denn obwohl die USA seit 2003 zusätzlich zu den Kosten von Krieg und Besatzung Mittel von um die 120 Milliarden Euro für den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Aufbau des Landes ausgaben, ist davon kaum etwas zu sehen. Und was man sehen kann, erweckt wiederum Staunen: Brücken und Straßen, die ins Nirgendwo führen; Kraftwerke, die nicht ans Netz gegangen sind. Dabei würden sie dringend gebraucht: Stromausfälle sind mittlerweile die Regel. Und vor allem im Süden, rund um die Hafenstadt Basra, in Sichtweite der eigentlich einträglichen Ölförderanlagen, herrscht Wasserknappheit.

Im Norden wartet derweil eine gesamte Großstadt auf ihren Wiederaufbau: Während der Schlacht um Mossul mit dem »Islamischen Staat« Anfang 2017 wurde ein Großteil Mossuls zerstört – und viel hat sich seitdem auch hier nicht getan.

Dabei hatte die US-Regierung durchaus versucht, alles richtig zu machen, immerhin hatte man sich Deutschland nach 1945 als Vorbild genommen. Es wurde ein Regierungssystem entwickelt, in dem alle drei großen Gesellschaftsgruppen, Sunnit*innen, Schiit*innen und Kurd*innen gleichermaßen eingebunden werden sollten: die einen stellen den Parlamentssprecher, die anderen den Präsidenten und erst wenn all das in trockenen Tüchern ist, kann die dritte Gruppe den Regierungschef stellen, der dann eine Regierung bildet. »Eigentlich ist das genau das, was unser Land braucht«, sagt ex-Regierungschef Haider al Abadi, der das Land während des Kampfes gegen den IS regierte: »Man muss ja immer berücksichtigen, dass dieses Land wie viele unserer Nachbarstaaten am Reißbrett entstanden ist. Und ich muss auch sagen, dass trotz der enormen Probleme vieles richtig läuft: Wir haben es geschafft, politisch sehr problematische Zeiten zu meistern, ohne dass der Irak zu einem weiteren Syrien oder Jemen geworden ist.«

Doch es gibt auch Facetten, die man nicht so gerne anspricht: US-Diplomat*innen, die in Bagdad gearbeitet haben, berichten im persönlichen Gespräch, wie es im Laufe der Jahre zunehmend schwieriger wurde, die Gelder zielorientiert einzusetzen. Denn irgendwann seien von den jeweiligen irakischen Regierungen Projektlisten vorgelegt worden, die sich daran orientierten, wer gerade was für seine politische Unterstützung verlangte. Und um einen weiteren Tag ohne politische Krise zu gewinnen, habe man zugestimmt, ebenso wie bei den Vorgaben aus Washington, dass bei Projekten immer zuerst amerikanische Unternehmen den Zuschlag bekommen sollten.

Doch sehr sichtbar ist auch diese Veränderung: Die Menschen im Irak demonstrieren gerne und oft, und das nicht nur gegen Korruption, Wasserknappheit und politische Intransparenz, die dazu geführt hat, dass niemand außerhalb des abgeschotteten Regierungs- und Diplomatenviertels in Bagdad sagen kann, wie die Einnahmen aus dem Öl- und Gasverkauf verwendet werden. Auch Versuche, den Verkauf von Alkohol zu verbieten, treiben die Menschen auf die Straße.

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