- Politik
- Bundestag
Wahlrechtsreform im Schweinsgalopp
Die Ampel-Koalition rühmt sich, den Wunsch der Bevölkerung nach Begrenzung der Abgeordnetenmandate erfüllt zu haben
Rechnerisch sollen auf jeden der 299 deutschen Wahlkreise zwei Bundestagsabgeordnete kommen. Die Regelgröße des Berliner Parlaments liegt damit bei 598 Sitzen. Dadurch, dass etwa die CSU stets mehr direkt gewählte Abgeordnete entsenden kann, als ihr entsprechend ihrem Zweitstimmenanteil zustehen, bekommen die anderen Parteien dafür wieder Ausgleichsmandate. Das hat dazu geführt, dass der Bundestag immer größer wurde. Dem aktuellen gehören mit 736 so viele Abgeordnete an wie nie.
Eine Wahlrechtsreform, die für eine Obergrenze bei der Zahl der Mandate sorgt, hatten sich schon mehrere Koalitionen vorgenommen. Die Ampel-Regierung darf seit Freitag für sich in Anspruch nehmen, dies umgesetzt zu haben. 400 anwesende von 416 Abgeordneten von SPD, Grünen und FDP stimmten nach teilweise lautstarker Debatte für ihren eigenen Entwurf. Die Gesetzesnovelle soll dafür sorgen, dass der Bundestag künftig nie mehr als 630 Mitglieder hat.
Die Kollateralschäden der Reform sind indes beträchtlich. Deshalb haben CDU/CSU sowie die Linksfraktion, deren Abgeordnete dagegenstimmten, angekündigt, das Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht anzufechten. Besonders für Die Linke fatal: die Streichung der sogenannten Grundmandatsklausel. Sie sorgt dafür, dass Parteien auch dann als Gruppe oder bei Erreichen von fünf Prozent der Parlamentssitze als Fraktion in den Bundestag einziehen können, wenn sie an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert sind.
Ebenfalls aus dem Wahlgesetz gestrichen sind die Regeln für Überhangs- und Ausgleichsmandate. Erstere verschafften insbesondere CDU und CSU regelmäßig eine Zahl von Parlamentssitzen, die deutlich über derjenigen lag, die ihnen aufgrund ihres Zweitstimmenergebnisses zugestanden hätte. Auf der anderen Seite bekamen andere Parteien Ausgleichsmandate in entsprechender Zahl.
In der Debatte vor der Abstimmung lobten Abgeordnete der Ampel-Parteien ihr beherztes Handeln und postulierten, sie hätten damit dem Willen der Wählerinnen und Wähler Rechnung getragen. Katja Mast, Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, erklärte, man schaffe nun ein »faires, transparentes Wahlrecht«. Es führe zu einer »strukturellen Verkleinerung des Bundestages bei gleichzeitiger Stärkung der Demokratie«. Die Grundmandatsklausel, befand Mast, sei »schon heute ein Element, das weder verfassungs- noch wahlrechtsmäßig richtig« sei.
Dagegen sieht Jan Korte, Parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion, im neuen Bundeswahlgesetz den »größten Anschlag auf die Demokratie und das Wahlrecht seit Jahrzehnten« in der Bundesrepublik. Er verglich das Vorgehen der Ampel gar mit den »Tricksereien« des rechtspopulistischen ungarischen Regierungschefs Viktor Orbán und des früheren US-Präsidenten Donald Trump zwecks Beschneidung der Rechte der Opposition. »Sie überlassen mit dem, was Sie heute machen, der AfD den Osten«, empörte sich der Linke-Politiker. Hätte das neue Gesetz schon 2021 gegolten, wären nach Angaben von Korte »glatte neun Millionen Stimmen in den Papierkorb gewandert statt knappe vier Millionen«, darunter jene 2,3 Millionen, die Die Linke repräsentiere. Den Vertretern der Ampel rief Korte zu: »Ich wünsche Ihnen politisch alles erdenklich Schlechte! Wir werden uns in Karlsruhe sehen.«
Unterstützung bekam Die Linke von CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Er hatte zuvor gesagt, der Plan der Ampel ziele darauf ab, Die Linke aus dem Parlament zu drängen und »das Existenzrecht der CSU« infrage zu stellen. Tatsächlich kann nach dem neuen Recht Kandidaten der CSU trotz Erringen des Direktmandats in ihrem Wahlkreis der Einzug in den Bundestag verwehrt werden, wenn ihr Zweitstimmenergebnis eine unter den Direktmandaten liegende Zahl an Sitzen ergibt. Und theoretisch könnte die CSU sogar den Einzug in den Bundestag verfehlen, wenn sie die Fünf-Prozent-Hürde reißt. Dies kann passieren, da sie nur in Bayern zur Wahl steht.
Dobrindt hofft nun darauf, dass das Bundesverfassungsgericht die Reform noch vor der nächsten Bundestagswahl verwirft. Er stellte zusätzlich zu einem Antrag auf Normenkontrollüberprüfung des neuen Gesetzes durch die Unionsfraktion im Verbund mit anderen Abgeordneten eine Verfassungsklage Bayerns dagegen in Aussicht.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.