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Berliner gegen »Rückschrittskoalition«: Appell an die SPD-Basis
Am Samstag demonstrierten in Berlin Hunderte gegen eine schwarz-rote Koalition
»Nie wieder Groko!« forderten am Samstag hunderte Protestierende vor dem Willy-Brandt-Haus, der Bundesparteizentrale der SPD. Das Bündnis #BerlinZusammen hinter der Demonstration »Rückschrittskoalition stoppen« brachte in Berlin nach eigenen Angaben rund 2000 Menschen gegen die aktuellen Koalitionsverhandlungen von SPD und CDU auf die Straße. Die Polizei sprach von etwa 800 Teilnehmer*innen.
Der Aufzug startete vormittags auf dem Hermannplatz in Neukölln und führte bei sonnigem Wetter über belebte Straßen bis nach Kreuzberg. Bereits bei der Auftaktkundgebung hieß es von Bündnissprecherin Lisa Jaspers: »Wir sind zwar hier, um eine Rückschrittskoalition zu stoppen, aber wir sind vor allem für ganz viele Themen hier, die wir uns für Berlin wünschen.«
Man sei nicht nur gegen etwas, sondern auch für eine offene, bezahlbare, antirassistische, soziale, solidarische Stadt – wofür die CDU nicht stehe. Tatsächlich zeichnete sich das Bündnis durch eine große Bandbreite an Themen aus, bei denen kein gutes Haar an der Politik von SPD und CDU gelassen wurde. Über weite Strecken glichen die zahlreichen Redebeiträge einer Generalabrechnung mit der Politik der beiden Parteien. Kritisiert wurden etwa die Nichtumsetzung des Volksentscheids Deutsche Wohnen und Co enteignen, die erneuten Diskussionen zur Bebauung des Tempelhofer Felds, die Einrichtung einer Polizeiwache am Kottbusser Tor, die geplante Verlängerung des 17. Bauabschnitts der Stadtautobahn A100 sowie der kurz vor der Wiederholungswahl bekanntgewordene Plan der CDU, das Landesantidiskriminierungsgesetz abzuschaffen.
Kurz nach Abschluss der erfolgreichen Sondierungsgespräche zwischen CDU und SPD hatte sich das Bündnis gegründet, das über 100 Einzelpersonen und zahlreiche, von stadtpolitischen über umweltpolitische bis hin zu migrationspolitischen Gruppen umfasst, darunter Fridays for Future Berlin, Deutsche Wohnen und Co enteignen, der Migrationsrat Berlin sowie die Jugendorganisationen der Grünen und der Linken. Auch die Berliner Jusos, die bereits Anfang März die Kampagne »NoGroKo« initiiert hatten und eine Fortsetzung der bisherigen rot-grün-roten Koalition bevorzugen, stehen hinter dem Aufruf. Eine Sprecherin der Jusos bedankte sich in einem Redebeitrag für »den Druck, der von außen durch Aktionen und Bündnisse wie diesem kommt«, und versprach, diesen Druck auf die Mutterpartei aufrechtzuerhalten. Sie erntete dafür viel Applaus.
Ebenso vielfältig wie die beteiligten Gruppen und Initiativen waren auch die Teilnehmer*innen. Neben jungen Aktivist*innen liefen auch Familien mit Kindern und ältere Menschen mit. In der Wut auf die Politik der konservativen CDU war man sich einig. Bei einer Zwischenkundgebung am Oranienplatz, einem Symbolort der Geflüchtetenbewegung, begegnete die Demonstration dort protestierenden Syrer*innen. Teilnehmende beider Veranstaltungen skandierten im Anschluss »Azad, Putin sind Verbrecher. Freiheit für Syrien!«. Auch ein entsprechender Redebeitrag erklärte sich mit den Menschen solidarisch, die »in Berlin heute für Frieden, Sicherheit und Demokratie in Syrien« demonstrieren.
Reden, mitgeführte Schilder und Transparente richteten sich ansonsten vorwiegend an die rund 19 000 SPD-Mitglieder, die nach dem Zustandekommen des Koalitionsvertrages Anfang April bei einem Mitgliedervotum per Briefwahl über die »große Koalition« entscheiden werden. Die Auszählung soll am 23. April stattfinden, die Ergebnisse sollen dann unmittelbar bekanntgegeben werden. Aktuell ist der Ausgang schwer einzuschätzen. Mit rund 5000 Mitgliedern machen die Berliner Jusos knapp ein Viertel der Gesamtmitglieder aus. Aus den Berliner Kreisverbänden kommt ebenfalls Widerstand. Neben Neukölln und Steglitz-Zehlendorf hat sich am Samstag mit Tempelhof-Schöneberg der dritte der insgesamt zwölf Kreisverbände gegen die Koalitionsverhandlungen mit der CDU ausgesprochen. 71 Delegierte stimmten dafür, bei 30 Gegenstimmen und fünf Enthaltungen, wie der Kreisverband mitteilte.
Im Landesvorstand der SPD hingegen fiel die Abstimmung mit 25 zu zwölf Stimmen deutlich zugunsten der Koalitionsverhandlungen aus. Wenn es den linken Teilen der SPD-Basis nicht gelingen sollte, den Koalitionsvertrag im April zu kippen, könnte Kai Wegner am 27. April zum neuen Regierenden Bürgermeister gewählt werden.
Das Bündnis #BerlinZusammen könnte bis dahin weiter öffentlich Druck machen. Auf Nachfrage erklärt Sprecherin Jaspers dazu: »Ob und wie es weitergeht, hängt natürlich von allen Beteiligten ab, wäre aber aus meiner persönlichen Perspektive sehr wünschenswert.« Einen Bürgermeister, der eine so ausgrenzende und rückwärtsgewandte politische Haltung vertrete, werde man ebensowenig wie die dazugehörende Regierung in Ruhe lassen.
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