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Die letzten Tage der Menschheit
Die nd-Kolumne »Ballhaus Ost« macht ausnahmsweise mal einen Ausflug in den grauen armen Westen. Da fühlt sich der Autor sofort wie zu Hause
Das ist ein bisschen wie DDR, saugt ein letztes Mal die gute Berliner Luft ein! So brüllte es Chuck Norris um 7.30 Uhr im schönen Berlin-Mitte. Wir sollten für ihn das Ruhrgebiet erforschen. Er gab uns ein Körbchen mit. Darin lauerten ein warmer, veganer Bananenkuchen und vier feinste Ökobiere. So pflanzten wir uns in unseren Schützenpanzer und düsten ins graue Herz Deutschlands: Ruhrgebiet anner Autobahn rechts neben der Fastfood-Spelunke. Unser Ruhrgebietsauskenner erzählte Horrorgeschichten von Staublungen, Freischnaps für ausgebeutete Arbeiter und die Saustallmentalität der SPD. Die sei wohl nicht mehr an der Macht, vorwitzelte unser Team Freiheit und machte sich auf der letzten Raststätte im freien Osten über die Kuchenreste und das Bier her.
Betritt der unschuldige Reisende das Ruhrgebiet, fällt ihm sofort die hohe Denkmaldichte auf. Hubschrauber, anschaulich demolierte Autos und alle Bergwerkkarren erinnern an all die Toten der Arbeits- und Freizeitwelt. Schuften bis 65 und dann Herzinfarkt auffer Autobahn kurz vor Auszahlung der ersten Rente, weil der ehrliche Arbeiter im Kumpel-Rentner-Zoo nichts mit sich anzufangen weiß. Wir fachsimpelten, bis wir in der Ferne Besserossi-gemäß die steilen Flutlichtmasten des Bochumer Stadions ausmachten.
Noch war aber eine Stunde Zeit. Unser Ruhrgebietsflüchtling mochte uns schnell noch das Bermudadreieck zeigen, ein Spaßort für alle Vorglüher*innen. Wir durften uns alsbald eine Schale undefinierbarer Pampmatsch nebst einheimischer Plörre einverleiben. Schmecken lassen, schnatterte es neben uns in einer tausendköpfigen Schar. Nichts schwerer als das. Wo is’n hier das Klo? Klo, höhöhö. Ein graubärtiger Local zeigte auf den Flaschenhals seiner Bierpulle. Ich las F-L-I-E-G-E. Fliegenlockstoff, dachte ich mir schon. Großes Hahaha. Aber mal im Ernst, was macht ihr, wenn ihr im Bermudadreieck pullern müsst? Blumentopp, oder in eine Kneipe reinschmuggeln. Die öffentlichen Scheißhäuser wurden entweder von Junkies als letzte Ruhestätte benutzt oder von Fußballfans zerklopft, schwadronierte Graubart.
Bochums Innenstadt bot ein eindringliches Stimmungsbild von der kommenden Traurigkeit der Bundesrepublik. Selbst die gnädige Frühlingssonne kann diese Stadt nicht aufhübschen, wunderschöne Tristesse, soweit das Auge reicht. Ich fühlte mich Hoywoy (Hoyerswerda), mit einem Schlag Haneu (Halle Neustadt) und einer Prise Karl Murks (Karl-Marx-Stadt) und war sofort Bochum-Fan.
Im Stadion sang Grönemeyer »Tief im Westen«, meinte aber natürlich: tief im Osten. Das Stadion zeigte sich in Hansa-Rostock-Blau. Ein paar rotweiße Leipzig-Fanatiker, von denen recht wenig zu hören war, leuchteten aus einem Stadionzipfel, alldieweil die grauen Bochumer Mäuse Alarm machten und natürlich gegen die arroganten Gäste gewannen. Nach dem Spiel sprinteten wir zum Auto und bedeckten unsere Augen mit frisch gekauften Bochum-Schals, um nicht weiter das Elend der armen Wessis in Augenschein nehmen zu müssen.
Im Bochumer Stadtteil Dortmund bot sich das gleiche Bild, wie blinde Welpen tapsten wir ins Stadion. Grönemeyer wurde durch ein gelbschwarzes Quietscheentchen ersetzt, 90 Minuten feinste Kölner Pyro nebelte das Spiel angenehm ein und sorgte für ein mildes Speedaroma in der Nase. Auf dem Platz bewunderten wir Kölns Rostocker Trainer und Oberkörperhengst Steffen Baumgart beim Schnauben und Toben. Indes Gelbschwarz ein Tor nach dem anderen schoss, feierten die frohnaturigen Kölner Party auf dem Oberrang, wir mittenmang: »D’r Zoch kütt, drink doch eine met, ComonFC!«
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