Kunstschaffende nach der Pandemie: Zurück ins Prekariat

Die Pandemie stellte Kunstschaffende vor große Herausforderungen, doch viele profitierten auch von Förderungen in bisher ungekanntem Ausmaß – das ist nun vorbei

Große Bühne, kleines Geld: Für viele Theaterschaffende könnte die kommende Zeit schwierig werden.
Große Bühne, kleines Geld: Für viele Theaterschaffende könnte die kommende Zeit schwierig werden.

Lisa Heinrici (32), freie Schauspielerin aus Berlin, arbeitete im März 2020 in London an einem Theaterstück, als die deutsche Regierung alle Staatsangehörigen dazu aufrief, ins Bundesgebiet zurückzukehren. Covid-19 war in Europa angekommen, Panik brach aus. Heinrici reiste zurück nach Berlin. »Zum Glück hatte der Theatermacher, der mit uns das Stück entwickelte, eine Idee: Wir haben dann mit ihm über Distanz ein Hörspiel produziert«, erinnert sich Heinrici gegenüber »nd«. So erhielt sie trotzdem ein Honorar.

Die Zeit danach war für sie emotional sehr belastend: »Zu Anfang dachte ich, die Pandemie würde schnell vorbei sein und ich könnte bald wieder in meinem Beruf und mein altes Leben zurückkehren. Doch je länger alles dauerte, desto mehr zweifelte ich daran.« Zwar hat Heinrici in den letzten drei Jahren im Vergleich zu vielen Kolleg*innen oft auf der Bühne stehen können, doch wegen der unsicheren Pandemielage wurden Produktionen und Aufführungen auch immer wieder verschoben. Manchmal sei das sehr kurzfristig und chaotisch abgelaufen: So habe sie einmal erst kurz vor der Premiere eines Stücks, für das sie wochenlang geprobt hatte, auf Instagram gelesen, dass das Theater wegen Covid-19 dichtmache, sagt Heinrici. »Es war eine besondere Situation für uns nicht fest engagierte Schauspieler*innen: Normalerweise spielt man immer, egal, was ist – denn wenn man nicht auftritt, wird man auch nicht bezahlt. Mit der Pandemie war das auf einmal anders, die Beschränkungen kamen von außen. Wir durften einfach nicht auf die Bühne.« Dennoch konnte Heinrici sich selbst weiterhin finanzieren. Das lag zum Teil daran, dass sie mit anderen neue Formate entwickelte, die sich an die Pandemiemaßnahmen anpassten. Und auch daran, dass viele Produktionen, an denen sie beteiligt war, mittelbar vom Programm »Neustart Kultur« der Bundesregierung gefördert wurden.

Insgesamt steckte der Bund im gesamten Zeitraum seit Beginn der Pandemie zwei Milliarden Euro in das Programm, das in 60 Teilprogramme gegliedert war. Daneben gab es weitere Förderprogramme, etwa den Sonderfonds für Kulturveranstaltungen in Höhe von 2,5 Milliarden Euro. Unterstützung war für einzelne Kunstschaffende auf verschiedenen Wegen zu bekommen: Entweder stellte man, wie auch andere Selbstständige und Unternehmen, selbst Anträge auf die sogenannten Überbrückungs-, Neustart- sowie November- und Dezemberhilfen. Man bekam dann zum Beispiel im Rahmen der Neustarthilfen für den Zeitraum von einem halben oder Vierteljahr 50 Prozent seines (in einem Referenzzeitraum vor der Pandemie erwirtschafteten) Umsatzes ausgezahlt. Nach Ende des Förderungszeitraums musste nachgewiesen werden, wie viel von dieser Summe man tatsächlich nicht selbst hatte erwirtschaften können – entsprechend musste der Vorschuss dann gar nicht, anteilig oder ganz zurückgezahlt werden. Oder man profitierte mittelbar von der »Neustart Kultur«-Förderung. Denn die Pandemie-Finanzhilfen flossen nicht nur direkt an Unternehmen und Selbstständige, sondern auch an die sechs Bundeskulturförderfonds. So konnten diese Institutionen und Projekte ziemlich großzügig fördern – großzügiger als zuvor.

Doch damit ist es nun wohl so gut wie vorbei. Zwar hat Kulturministerin Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen) im Januar angekündigt, dem Fonds für Darstellende Künste und dem Musikfonds für 2023 zusätzliche vier Millionen Euro bereitzustellen – doch im Vergleich zu dem milliardenschweren Corona-Hilfsprogramm erscheint diese Summe eher gering. Der im Januar veröffentlichte »Monitoringbericht Kultur- und Kreativwirtschaft 2022«, eine Studie, die jährlich vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz herausgegeben wird, zeigt, dass die Umsätze auf den Kultur-Teilmärkten, die besonders unter den Auswirkungen der Corona-Beschränkungen litten – die der Darstellenden Kunst, Bildenden Kunst und Musik – noch längst nicht wieder auf Vor-Pandemie-Niveau angekommen sind. Und nicht nur die Auswirkungen der Pandemie sorgen für weiterhin niedrige Umsätze, sondern auch die Inflation, die Energiekrise und der Krieg in der Ukraine.

Wie Claudia Schmitz, Geschäftsführende Direktorin des Deutschen Bühnenvereins, gegenüber der Deutschen Presse-Agentur sagte, seien im Theaterbereich bundesweit zwei Trends zu beobachten: Älteres Publikum bleibe aus und Tickets würden vermehrt kurzfristig gekauft. Abonnements seien schon seit Jahren rückläufig. Wie wird es also weitergehen? Lisa Heinrici ist zunächst froh, dass sie wieder regelmäßig spielen kann. Doch sie hat mitbekommen, dass besonders neue Absolvent*innen von Schauspiel- und Regiestudiengängen es derzeit schwer haben: Weil Theater verschobene Produktionen noch nachholen müssen, sei erst mal kein Platz für neue Leute.

Auch Absolvent*innen von Kunsthochschulen befänden sich derzeit in einer schwierigen Situation, sagt Johannes Weilandt (31) gegenüber »nd«. Er hat 2017 sein Diplom in Bildender Kunst sowie Bühnen- und Kostümbild an der Berliner Kunsthochschule Weißensee gemacht und konnte glücklicherweise im letzten Jahr seine Meisterschülerarbeit regulär präsentieren. Das war für andere während der Pandemie oft nicht möglich: »Dass die Jahresausstellungen von Kunsthochschulen nicht oder nur online stattgefunden haben, ist sehr problematisch. Bestimmte Arbeiten lassen sich nur vermitteln, wenn man vor ihnen steht oder über sie spricht. Viele Absolvent*innen haben nicht so viel Aufmerksamkeit für ihre Kunst bekommen, wie es sonst der Fall gewesen wäre«.

Selbst konnte Weilandt den Lockdowns durchaus etwas abgewinnen. Weil er beide Bereiche kenne, habe er bemerkt, wie unterschiedlich das Theater und die Bildende Kunst von den Auswirkungen der Pandemie betroffen waren. »Im Unterschied zu Leuten, die nur fürs Theater tätig sind, war ich nicht auf die Zusammenarbeit mit anderen Menschen angewiesen. Im Gegenteil, das Ausbleiben von Veranstaltungen und die Umstrukturierung meines Alltags haben es mir ermöglicht, mich einmal ganz auf meine Zeichnungen zu fokussieren. So ist in konzentrierter Atmosphäre ein ganzer Werkzyklus entstanden, der nun auch schon dreimal ausgestellt wurde«, erzählt er.

Weilandt bewarb sich während der Pandemie bei verschiedenen Institutionen um Stipendien, die ihm dann auch bewilligt wurden. Er sagt, es sei spürbar gewesen, dass der Bund während der Pandemie mehr Geld für Kunstschaffende freigesetzt habe als sonst: »Viele befreundete Künstler*innen konnten so das erste Mal in ihrem Leben von ihrer Arbeit leben. Auf einmal fand künstlerische Arbeit eine Anerkennung, die es vorher nicht gab. Und zum ersten Mal überhaupt habe ich mitbekommen, dass über eine angemessene Bezahlung von Kunstschaffenden debattiert wurde.« Trotzdem sei die Zeit nicht leicht gewesen, denn er habe sich Sorgen um das kulturelle Leben in seinem Umfeld gemacht. Kneipen und Programmkinos mussten schließen, hatten Existenzsorgen. Kunst entsteht eben nicht im luftleeren Raum, sondern in Auseinandersetzung und im Austausch mit der Umgebung.

Auch für Bernadette La Hengst (55), Musikerin aus Berlin, lief es durch die staatlichen Fördertöpfe während der Pandemie gar nicht schlecht. »Neustarthilfen, Dezember- und Novemberhilfen, Recherchestipendien – ich habe so viele Anträge geschrieben wie noch nie in meinem Leben«, berichtet sie »nd«. Und das mit Erfolg. »Aktuell kann man als Musikerin eigentlich kein Album mehr ohne Förderung machen. Die Plattenlabels nehmen einen nur unter Vertrag, wenn man bereits Geld mitbringt – entweder aus eigener Tasche oder von Institutionen«, erzählt La Hengst. Während der Pandemie war plötzlich mehr Geld da – und so förderte die »Initiative Musik«, die sonst nur Newcomern hilft, auch La Hengst bei der Produktion ihres siebten Solo-Albums. Für La Hengst war die Unterstützung eine große Erleichterung. »Es ist schade, dass diese Förderungen nun alle wieder eingestampft werden«, sagt sie. »Die ganze Förderkultur müsste noch einmal zur Diskussion gestellt werden. Während der Pandemie haben ich und viele andere Kunstschaffende die Erfahrung gemacht, wie es sein kann, nicht immer von Projekt zu Projekt springen zu müssen, sondern sich dank der Förderung auch mal länger auf etwas konzentrieren zu können.« La Hengst hat während der Pandemie nicht nur ihr Album aufgenommen, sondern auch 2021 zusammen mit ihrer damals 16-jährigen Tochter ein Theaterstück produziert – gefördert vom Fonds Darstellende Künste.

Nun ist die Unsicherheit wieder da. Zwar ist das Live-Musikgeschäft wieder angelaufen, doch La Hengst sagt, es sei spürbar, dass die Leute wegen der Inflation weniger Geld zu Verfügung hätten, sich Eintrittskarten für Konzerte nicht mehr leisten würden. Wie man dem »Monitoringbericht Kultur- und Kreativwirtschaft 2022« entnehmen kann, stellt auch die durch die Pandemie schnell vorangetriebene Digitalisierung des Musikgeschäfts Musiker*innen vor Probleme. Denn momentan partizipieren viele von ihnen kaum am Erfolg des Streamings.

Auch wenn nun keine Lockdowns mehr folgen sollten, sind Kunstschaffende aus verschiedenen Bereichen also weiterhin mit Nachwirkungen der Pandemie und zudem mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Viele träumen wohl von einer Situation wie in Irland: Dort erhalten 2000 Kunstschaffende gerade im Rahmen eines Pilotprojekts ein bedingungsloses Grundeinkommen von 325 Euro pro Woche.

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