Corona: Beim Homeoffice lässt sich die Zeit nicht zurückdrehen

Wie Corona und Lockdowns die Arbeitswelt quasi über Nacht veränderten

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 5 Min.

Mit dem ersten Corona-Lockdown vor drei Jahren hielt das Homeoffice Einzug in die Arbeitswelt. Wovor sich die Vorgesetzten vor der Pandemie mit Händen und Füßen wehrten, wurde von einem Tag auf den anderen im Sinne des Infektionsschutzes ganz unbürokratisch umgesetzt. Zeitweilig arbeiteten mehr als 40 Prozent der Beschäftigten in Deutschland von zu Hause aus.

Allerdings waren die Arbeitgeber dazu nicht immer von selbst bereit. Der Gesetzgeber musste bisweilen nachhelfen. »Der Arbeitgeber hat den Beschäftigten im Fall von Büroarbeit oder vergleichbaren Tätigkeiten anzubieten, diese Tätigkeiten in deren Wohnung auszuführen, wenn keine zwingenden betriebsbedingten Gründe entgegenstehen«, hieß es in der Sars-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung des Bundesarbeitsministeriums von Januar 2021. Die Chefs mussten zeitweilig also Homeoffice anbieten.

Zwar besteht dazu schon lange keine Pflicht mehr, und die Corona-Arbeitsschutzverordnung wurde Anfang Februar aufgehoben, doch ganz zurückdrehen lässt sich die Zeit nicht mehr. So arbeiten laut einer Umfrage des Münchner Ifo-Instituts in der Dienstleistungsbranche 35,6 Prozent der Beschäftigten zumindest teilweise im Homeoffice. »Insgesamt stabilisiert sich der Anteil in der deutschen Wirtschaft bei rund 25 Prozent der Beschäftigten. Wir sehen seit Aufhebung der Homeoffice-Pflicht Ende März letzten Jahres keine Veränderung«, sagt Ifo-Experte Jean-Victor Alipour. Besonders hoch ist der Anteil demnach bei den IT-Dienstleistern mit 73,4 Prozent. Jedoch gebe es auch Tätigkeiten, die nicht mit Homeoffice vereinbar seien. So beträgt die Quote in der Gastronomie lediglich 1,6 Prozent.

Der Trend zum Homeoffice geht vor allem von den Beschäftigten aus. Laut einer Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung wollen drei Viertel der Beschäftigten, die das Arbeiten zu Hause in Corona-Zeiten kennengelernt haben, auch weiterhin wenigstens teilweise im Homeoffice tätig sein. Nur noch 15 Prozent sagen, dass ihren Vorgesetzten Anwesenheit sehr wichtig sei; vor der Pandemie waren es noch 60 Prozent. Der Anteil der Beschäftigten, die angeben, ihnen sei die Trennung zwischen Arbeit und Privatleben und die Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen wichtig, ist ebenfalls erheblich gesunken.

Ein Grund, warum die Beschäftigten nicht nur in Deutschland nicht mehr jeden Tag zurück ins Büro wollen, ist einfach, dass sie sich damit den Arbeitsweg sparen können. Laut einer internationalen Studie sparen Beschäftigte in den 27 untersuchten Ländern im Schnitt 72 Minuten am Tag, wenn sie von zu Hause aus arbeiten. Spitzenreiter sind demnach China und Japan mit 102 beziehungsweise 100 Minuten. Hierzulande haben die Beschäftigten über eine Stunde mehr Zeit zur freien Verfügung. Davon stecken sie einen Teil – im Schnitt 20 Minuten – zusätzlich in den Job. 10 Minuten gehen für den Haushalt und 5 Minuten für Kinderbetreuung oder die Pflege von Angehörigen drauf. Die meiste Zeit, rund 30 Minuten, nutzen die Deutschen für ihre Freizeit.

Zwar wünscht sich manch ein Chef die Beschäftigten wieder häufiger zurück am Arbeitsplatz, doch in Zeiten des Fachkräftemangels ist das nicht leicht, denn Möglichkeiten zum Homeoffice sind für viele ein wichtiger Faktor bei der Jobsuche. Viele Arbeitgeber werben deshalb mittlerweile mit großzügigen Regelungen. Manch eine Stelle wird sogar schon »remote« ausgeschrieben, also mit der Möglichkeit zu 100 Prozent Homeoffice. Häufig finden sich bei Betriebsvereinbarungen selbst Regelungen, die den Angestellten für eine gewisse Zeit das Arbeiten aus dem Ausland erlauben. So bedeutet Homeoffice nicht nur Zeitersparnis, sondern auch ein gewisses Maß an zusätzlicher Freiheit für die Beschäftigten.

Dass die Unternehmen nicht wieder zu den alten Mustern zurückkehren können, hängt nach Ansicht der Autoren der Hans-Böckler-Stiftung damit zusammen, dass es mehrere Lockdowns gab. Wäre Corona mit einer einzigen Lockdownphase ausgestanden gewesen, wäre Homeoffice nichts weiter als eine Episode gewesen. Da sich das Arbeiten im Krisenmodus hinzog, investierten Unternehmen, um die letzten Hindernisse für die Arbeit »ohne räumliche Bindung« zu beseitigen: Sie schafften Notebooks an und musterten die stationären Computer aus, Akten wurden digitalisiert, Beschäftigte im Umgang mit neuen Technologien geschult.

Dadurch wurde auch die Möglichkeit des hybriden Arbeitens geschaffen, bei der ein Teil der Belegschaft im Büro und ein anderer zu Hause arbeitet. Bei Besprechungen werden letztere per Videokonferenz dazugeschaltet. Diese Praxis trifft aktuell auf knapp 40 Prozent der Beschäftigten zu. Wollen die Arbeitgeber den Anteil der Beschäftigten im Büro erhöhen, locken sie mittlerweile mit Vergünstigungen: etwa einem Firmenticket oder subventioniertem Kantinenessen. Der Softwarekonzern SAP bietet zum Beispiel neben Büro-Events laut eigenen Angaben Kinderbetreuung und Sportmöglichkeiten an, der IT-Dienstleister Bechtle einen Wäscheservice.

Doch es gibt auch Firmen, denen es nicht so lieb ist, wenn alle Beschäftigten ins Büro kommen. Schließlich sparen sie Kosten durch Homeoffice. Manch ein Büroneubau soll während der Pandemie schon mit weniger Arbeitsplätzen als Angestellten entstanden sein, weil man mit einer festen Homeoffice-Quote plante, um Bürofläche zu sparen. Und im vergangenen Herbst sorgte der Versandhändler Otto Group für Aufregung mit dem Aufruf an einen großen Teil seiner Belegschaft, ins Homeoffice zu gehen. Der Grund: Heizkosten sparen inmitten der Energiepreiskrise.

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