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Filz und Blut: Berliner Ausstellung zu Russland als Kolonialmacht

Russlandstämmige Künstler*innen verhandeln im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien Russlands koloniale Gewalt gegen ethnische Minderheiten

  • Nina Winter
  • Lesedauer: 4 Min.
Durchwoben von roten und blauen Adern: Viele Exponate beziehen sich auf die Gewalterfahrungen unterdrückter Gruppen in Russland.
Durchwoben von roten und blauen Adern: Viele Exponate beziehen sich auf die Gewalterfahrungen unterdrückter Gruppen in Russland.

Trotz strahlendem Sonnenschein an einem der ersten warmen Frühlingstage ist die Ausstellung im Kunstraum Kreuzberg im Nordflügel des Bethanien auffallend gut besucht. In jedem Raum betrachten Menschen Kunstwerke, legen Formen aus Reis oder drücken auf kleine Teigfladen, manche schreiben Geschichten ihrer eigenen Mütter und Urgroßmütter in ein großes Buch. Eine Gruppe von zehn jungen russisch sprechenden Menschen läuft diskutierend über den Flur.

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Die Ausstellung Өмә – gesprochen »öme« – wurde von der Neuen Gesellschaft für bildende Kunst produziert und finanziert. Zu sehen sind 30 künstlerische Positionen aus einigen der 185 indigenen kolonisierten Gemeinschaften innerhalb der Russischen Föderation. Der Landesname Russland wird in begleitenden Texten bewusst kleingeschrieben, um Solidarität mit den Menschen in der Ukraine – selbst nicht Teil der Ausstellung, aber zentral innerhalb des Begleitprogramms – zu zeigen.

Schwerpunkte, so eine Kuratorin und Künstlerin aus dem FATA-Kollektiv, lägen auf Gebieten wie Baschkortostan, Tartarstan, Kalmückien, der Region Jamal-Nenzen oder Dagestan. Der baschkirischen Sprache ist auch der Ausstellungsname Өмә entnommen, ein Begriff, der kollektive Selbsthilfepraktiken bezeichnet, die besonders für nomadische Völker lebensnotwendig sind, um Siedlungen aufzubauen und die Gemeinschaft zusammenzuhalten. Genauso sei dies auch im Kunstkollektiv gehandhabt worden: »Es gab Treffen zu jedem Kunstwerk, wir dachten gemeinsam über Ideen nach und gaben Ratschläge. Es war ein kollektiver Prozess – und für uns eine Methode des Widerstands«, sagt die Kuratorin.

Die Spannbreite der Ausstellung reicht von Malerei und Bildhauerei, über Textilkunst, Raumgestaltung und Installationen bis hin zu Videospielen und Collagen. In einem Raum liegt eine Frau aus Filz in einer Glasvitrine, in einzelne Teile geteilt, durchwoben von roten und blauen Adern, die an Verletzungen und Blut erinnern. Und doch erscheint sie lebendig, als würde sie bald wieder aufstehen. In einer Remise läuft ein Bildschirm, auf dem eine weibliche Kämpferin aus einem Videospiel zu sehen ist. Sie hält zwei Schwerter, kniet blutend und offensichtlich schwer verletzt in einer Eislandschaft, die Kamera umkreist sie.

In einem weiteren Raum ist eine dokumentarische Arbeit zu Protesten zu sehen. Auch eine Sammlung von Gesetzes- und Verfassungsänderungen in der Russischen Föderation in den letzten dreißig Jahren kann begutachtet werden. Diese künstlerische Auseinandersetzung zeigt Einschnitte auf höchster politischer Ebene: Etwa die Abschaffung indigener Sprachen in Schulen oder das 2020 erlassene Gesetz über die Bevorzugung von ethnischen Russen und deren Sprache als »staatsbildende Menschen«, denen sich alle anderen unterzuordnen haben. Was die Kuratorin des FATA-Kollektivs besonders an der Arbeit findet, ist »die Kritik an der rechten Regierung, aber auch an den Linken, die die russischen Praktiken unterstützen. Das macht diese Arbeit zu einer sehr mutigen«.

Die ersten Treffen des Kollektivs fanden vor zwei Jahren statt – noch in Russland. Unabhängig voneinander bewegte die Mitglieder ein gemeinsames Thema: die seit Jahrhunderten wuchernden kolonialen Gewaltstrukturen Russlands, Migrationsprozesse und eine Zunahme an Rassismus und Diskriminierung ethnischer Gemeinschaften. Sie beobachteten die imperialistischen Ansprüche der jeweiligen russischen Machthaber und die Unterdrückung der heterogenen kolonisierten Gebiete.

Als sie den gemeinsamen Nenner wahrnahmen, beschlossen sie das Kollektiv FATA zu gründen. FATA steht für »From Anger To Action« (Von der Wut zur Tat). Schnell entschloss sich das neugegründete Kollektiv, an einer gemeinsamen Ausstellung zu arbeiten. FATA besteht ausschließlich aus Frauen, nichtbinären und trans Personen, die sich dekolonial und feministisch positionieren. »Die Kultur in Russland ist zentralisiert und das ganze Geld für Kultur und Repräsentation geht nach Moskau und ein wenig nach Sankt Petersburg. Alles andere bekommt kein Geld. Und indigene Künstler*innen aus peripheren Regionen Russlands werden nicht gefördert und sind daher kaum repräsentiert«, kritisiert das FATA-Kollektiv auf seiner Webseite.

Die Chance, eine solche Ausstellung im eigenen Land zu zeigen, war bereits vor zwei Jahren klein. Spätestens mit dem Angriffskrieg auf die Ukraine ist in Russland jedoch jede Art von Kritik lebensgefährlich. So musste die Mehrheit der vertretenen Künstler*innen fliehen. In einem Buch, das auf der Ausstellung gezeigt wird, beschreiben sie das schmerzliche Vermissen ihrer Heimat. »Fast alle hier arbeiten mit einem Pseudonym. Auch die, die das Land verlassen haben, da sie um Menschen und Dinge in der Heimat fürchten müssen«, sagt eine Vertreterin. Genaue Ortsangaben und Namen werden grundsätzlich bei der Ausstellung vermieden, um keine Rückverfolgung zu ermöglichen. Es herrscht ein Klima der Angst. Eine Situation, die in Russland mittlerweile viele betrifft, die den kolonisierten Gebieten Russlands aber allzu bekannt ist.

Das Ziel der Ausstellung Өмә ist es, die Lücke im Diskurs über den russischen Kolonialismus zu füllen. Gezeigt wird das heutige Russland im Kontrast zum Mythos des Vielvölkerstaats als das, was es ist: ein zentralistisches Gebilde, das mit Gewalt die Kultur und Selbstständigkeit der Kolonien zerschlägt, den Rohstoffreichtum ausbeutet und sie ökonomisch ausbluten lässt.

Die Ausstellung Өмә wird noch bis zum 29.05. im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien gezeigt. Der Eintritt ist frei. Öffnungszeiten: Sonntags bis Mittwoch, jeweils 10 bis 20 Uhr, Donnerstag bis Samstag, jeweils 10 bis 22 Uhr.

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