Griechenland: »Vom Ausrauben sind alle betroffen«

Der griechische Journalist Stavros Malichudis über den repressiven Kurs der griechischen Regierung

  • Interview: Cyrus Salimi-Asl
  • Lesedauer: 4 Min.

Die griechische Regierung verfolgt eine dezidiert rechtsgerichtete Politik, zum Beispiel nach dem verheerenden Zugunglück Ende Februar. Wohin steuert das Land?

Die beunruhigendste Entwicklung ist, dass Griechenland eine Wendung zum Autoritarismus genommen hat. Wenn Menschen nach dem Tod von fast 60 Menschen gegen mangelnde Sicherheitsvorkehrungen protestieren und die Antwort darauf ist Polizeigewalt gegen die Demonstranten, dann ist das sehr alarmierend.

Interview

Stavros Malichudis beschäftigt sich als investigativer Journalist für AFP und andere Medien mit dem Thema Migration und der autoritären Politik in Griechenland unter Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis. Er ist deshalb vom nationalen Nachrichtendienst ausgespäht worden. Malichudis wird an diesem Freitag bei einer Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung über die »Orbanisierung Griechenlands« sprechen.

Sie wurden als Journalist durch eine Software auf Ihrem Smartphone ausspioniert und in dieser Sache auch von einem Untersuchungsausschuss des Europaparlaments angehört. An welchem Punkt ist die juristische Aufarbeitung?

Meine Überwachung ist im November 2021 durch eine linke Tageszeitung publik geworden. Sie haben geleakte Dokumente veröffentlicht, eins davon über mich. Die Behörden waren interessiert an den Personen, mit denen ich für den Artikel gesprochen hatte, darunter auch ein 12-jähriger geflüchteter syrischer Junge auf der Insel Kos.

Wer ist von solchen Observationen betroffen?

Es ist erschreckend, wie groß die Bandbreite der Personen ist, die unter Überwachung standen. Ich bin ein Journalist, der hauptsächlich zum Thema Migration arbeitet. Ein anderer Journalist, der vom Geheimdienst überwacht wurde, arbeitet zu Finanzen und Bankenskandalen. Dazu Politiker wie der Chef der Sozialisten oder Militärs. Vor ein paar Tagen wurde aufgedeckt, dass auch eine Facebook-Managerin unter Beobachtung stand. Die Betroffenen gehen juristisch dagegen vor, aber ich glaube nicht, dass das zu irgendeinem Ergebnis führen wird. Das dauert Jahre. Die Regierung versucht, den Skandal zu vertuschen und hat sogar das Gesetz geändert: Einst hatte man das Recht zu erfahren, dass man ausgespäht worden ist, sobald die Überwachung abgeschlossen war. Nun hat man erst drei Jahre danach das Recht zu erfahren, dass man observiert wurde. Es ist also sehr gut möglich, dass in dieser Zeit jedes Dokument über die Überwachung vernichtet wird.

Wer hat den Auftrag zur Überwachung gegeben?

In der Praxis läuft es so: Der nationale Nachrichtendienst setzt sich mit dem dafür zuständigen Staatsanwalt in Verbindung und der unterschreibt grundsätzlich alles. Wir haben mehr als 15 000 Entscheidungen zur Überwachung pro Jahr, und jede kann eine oder mehr Personen betreffen.

Und wie ist die Regierung in diese Überwachung involviert?

Der erste Schritt des Premierministers nach der Wahl 2019 war, den inländischen Nachrichtendienst unter seine Kontrolle zu nehmen. Der zweite Schritt war, einen Vertrauensmann an die Spitze zu stellen, der für diese Ausgabe nicht mal die erforderliche Qualifikation hat.

Haben Sie Informationen darüber, ob die Behörden auch Geflüchtetenhilfsorganisationen mit Überwachungssoftware wie »Predator« ausspähen?

Dazu habe ich keine Belege. Es gibt viele Gerüchte, aber keine Beweise wie Dokumente oder ähnliches. Was wir sehen, ist der große Druck, den die Regierung auf NGOs ausübt, die Geflüchteten helfen. Auf den Inseln wie Lesbos gab es große Solidarität mit den Geflüchteten, jetzt haben die meisten NGOs die Inseln verlassen wegen des Drucks der Behörden.

Sie haben in einem großen Rechercheprojekt Beweise darüber gesammelt, dass griechische Grenzpolizisten die Geflüchteten schikanieren, Gewalt anwenden, sie sogar ausrauben. Was haben Sie herausgefunden und wie haben Sie die Beweise zusammengetragen?

Dass Geflüchtete zurückgedrängt und ausgeraubt werden, ist über Jahre von vielen anderen Medien dokumentiert worden, wir sind nicht die ersten. Wir haben uns auf den finanziellen Aspekt konzentriert und haben 374 Zeugenaussagen analysiert, die vom Border Violence Monitoring Network zusammengetragen worden sind. Wir haben uns speziell mit dem geraubten Besitz und Geld befasst und dazu Interviews mit Geflüchteten, Regierungsvertretern, Grenzpolizisten und Frontex geführt. Unsere Schätzung liegt bei zwei Millionen Euro, aber das ist nur die Spitze des Eisbergs. Viele Fälle von Pushbacks werden ja nicht angezeigt.

Zwei Millionen Euro, in welchem Zeitraum? Und auf welcher Fluchtroute?

In den vergangenen sechs Jahren, ab 2017. Aber das ist nicht die definitive Zahl. Unsere Untersuchung betrifft nur die Landgrenze zwischen der Türkei und Griechenland.

Lassen sich dabei Migrantengruppen ausmachen, die mehr Schwierigkeiten haben als andere, die Grenze zu überqueren?

Für eine bestimmte Zeit war Griechenland toleranter gegenüber türkischen Dissidenten, aber da gibt es jetzt auch massive Pushbacks. Es ist nicht so sehr eine Frage der Nationalität. Familien gegenüber sind die Grenzpolizisten weniger feindselig eingestellt, gegenüber einzelnen Männern sind sie gewalttätiger. Bei der Nationalität zeigen die Grenzpolizisten mehr Empathie gegenüber Syrern, während sie sich gegenüber Menschen aus Bangladesch, Pakistan oder Afrika äußerst gewalttätig verhalten. Aber von Pushbacks und vom Ausrauben sind alle gleichermaßen betroffen.

Die Orbanisierung Griechenlands – Mitsotakis‘ Autoritarismus, Rosa-Luxemburg-Stiftung, Straße der Pariser Kommune 8A, 10243 Berlin, 24.03.2023, 18:30 – 21:30 Uhr

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