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Klima-Volksentscheid: Flyern gegen die Hoffnungslosigkeit
Am Sonntag stimmt Berlin über den Klima-Volksentscheid ab – zwei Aktivistinnen über Sammelfieber, Vorurteile und Gemeinschaftsgefühl
Auf den Tischen stapeln sich Flyer und Poster. »Hier sind endlich die neuen Flyer, wo nicht mehr Briefwahl draufsteht«, sagt Aline und deutet auf die DIN-A6-Drucke in Rot und Grün. Auch dünne Zeitungen liegen herum. »Die müssen alle noch raus.« 20 Menschen sitzen am Mittwochabend im Hinterraum des Cafés Bilderbuch in Schöneberg. Es ist das letzte Kieztreffen vor dem Klimavolksentscheid. Geplant wird der Endspurt.
Sieben Kiezgruppen machen Wahlkampf für den Volksentscheid »Berlin 2030 klimaneutral«. Laut Sprecherin Jessamine Davis gibt es in der Hauptstadt über Tausend Ehrenamtliche, die mit Plakatierung, Infoständen und Gehsteiggesprächen die Kampagne unterstützen. Ihr Ziel: 25 Prozent der Wahlberechtigten sollen mit Ja stimmen und so eine Änderung des Berliner Klimaschutz- und Energiewendegesetzes beschließen. Statt 2045 wäre dann das vorgegebene Zieljahr 2030, um die Emissionen der Stadt um 95 Prozent gegenüber dem Level von 1990 zu senken.
In der Kiezgruppe von Tempelhof-Schöneberg und Steglitz-Zehlendorf kommunizieren über einen Telegram-Chat etwa 350 Mitglieder. Bei den wöchentlichen Kieztreffen fungieren die Anwesenden als Multiplikator*innen und animieren die stillen Mitleser*innen in der Chatgruppe, sich Aktionen anzuschließen. Welche Aktionen es wann und wo gibt, das koordinieren wiederum die beiden »Hut-Personen«: Alina Lebherz und Eli Andraetta.
»Nicht zu spät« statt Hoffnungslosigkeit
Wer sind die Menschen, die in ihrer Freizeit auf Stimmenfang gehen? Wie können sie so stark an einen Volksentscheid glauben, nachdem Berlin im Umgang mit dem Volksentscheid Deutsche Wohnen & Co enteignen, mit dem mangelnden Respekt gegenüber dem Volksentscheid zur Nicht-Bebauung des Tempelhofer Feldes und mit der mehr als schleppenden Umsetzung des Mobilitätsgesetzes den Willen der wählenden Bevölkerung mit Füßen tritt? Und wie funktionieren diese Rotwesten-Netzwerke?
»Wir haben schon viel Verantwortung«, sagt Eli über ihre Rolle. Die 19-Jährige ist seit November aktiv in der Kiezgruppe, seit Februar dreht sich ihr Leben als »Hut-Person« um den Volksentscheid. »Ich denke jeden Tag daran.« Sie hat vergangenen Sommer Abitur gemacht und sich für eine Art Auslandsjahr entschieden, bis sie sich mit ihren Zukunftsplänen sicher ist. Doch statt Work and Travel (Arbeiten und Reisen) in Australien oder Freiwilligenarbeit in Bolivien bleibt Eli in Berlin – und stößt auf die Initiative zum Volksentscheid. »Ich hab’ das Plakat gesehen, wo groß draufstand: ›Es ist nicht zu spät.‹ Das hat mich sofort gecatcht.« Eli erzählt von einem Gefühl der Hoffnungslosigkeit während der Schulzeit, von Weltschmerz und Klimaangst. »Und da sind Leute, die machen einfach etwas Sinnvolles.« Im Internet findet sie die Kiezgruppe und tritt dem Telegram-Chat bei.
Ein Wunsch nach Wandel von unten
Bis sie wirklich mitmacht, dauert es aber noch eine Weile. Der große Chat habe sie zuerst eingeschüchtert, erzählt Eli. »Ich dachte, die wissen ja alle alles.« Sie liest nur mit. Dann kommt am 14. November, dem letzten Tag der Sammelphase, die Nachricht: Es fehlen noch 8000 Unterschriften, um das Quorum von sieben Prozent der Wahlberechtigten zu erreichen und zum Volksentscheid zugelassen zu werden. »Ich bin dann sofort mit einer Freundin zur Gneisenaustraße zum Sammeln.« Ungefähr 20 Unterschriften reichen sie abends in der Auszählstelle ein. »Alle haben gejubelt, es war einfach so herzlich. Da habe ich mir gedacht, die liebe ich alle einfach.« Von da an kommt Eli zu den Kieztreffen.
Als Aline von dem Klimavolksentscheid erfährt, sucht sie gerade nach etwas Konkretem. Sie arbeitet als studentische Hilfskraft beim Institut für Nachhaltigkeitsforschung, studiert im Master Kulturwissenschaft an der Humboldt-Universität und ist desillusioniert: »Ich weiß so viele Sachen, aber was mache ich jetzt damit?« Das habe sie sich gefragt. Im September fallen ihr die Plakate auf. Im Oktober liest sie, dass es knapp werden könnte. »Fast alle Medien haben geschrieben, dass wir das eh nicht mehr schaffen.« Für Alina heißt das: Vollgas geben. Sie möchte in den nächsten Monaten an einem ökologischen Wandel von unten mitwirken, anstatt an Policies und wissenschaftlichen Papes zum Thema Nachhaltigkeit zu arbeiten. Sie kündigt beim Institut und geht Unterschriften sammeln.
Von den unzähligen Stunden in Parks, vor S-Bahnhöfen, auf Supermarkt-Parkplätzen oder am Straßenrand nehmen Alina und Eli vor allem eine Erkenntnis mit: Du siehst es den Menschen nicht an. »Ich habe beim Sammeln echt gemerkt, dass meine Vorurteile nicht stimmen«, sagt Alina. Und Eli erzählt: »Ich hatte schon Situationen, da kamen Menschen gerade aus dem Bioladen und waren trotzdem dagegen.« Auch einen Generationenkonflikt können die beiden nicht erkennen. »Es betrifft ja rein objektiv betrachtet alle Generationen«, so Eli. »Alte weiße Männer sind nicht immer alte weiße Männer. Es gibt auch die, die uns freundlich auf der Straße grüßen.«
In einer Umfrage der Meinungsforschungsfirma Civey vom 20. Januar bis zum 17. Februar zeigt sich nur eine leichte Altersverschiebung: Während von den 18- bis 29-Jährigen 56,7 Prozent dem Ziel Klimaneutralität bis 2030 zustimmen, sind es bei den 40- bis 49-Jährigen 51,5 Prozent.
Niedrigschwelliger, achtsamer Aktivismus
Kurz vor der Wahl spürt die Initiative vor allem, wer die Gegner sind. »Auf Facebook wird von AfD und Basis stark mobilisiert«, sagt Alina. Sie berichtet von einem Vorfall vor dem Rathaus Schöneberg. Ein einzelner Mann setzte sich demonstrativ in Sichtweite der Aktivist*innen und präsentierte ein Plakat mit der Aufschrift »Klimavolksentscheid Nein«. Die Flyer-Aktion war zu dem Zeitpunkt ohnehin fast zu Ende. »Aber ich lasse dort niemanden mehr alleine hin.«
Gegenseitige Fürsorge, das Aufeinander-aufpassen spielen in der Kiezgruppe eine große Rolle. Als die 20 Leute am Mittwochabend eingetrudelt sind, beginnt das Treffen mit einer Vorstellungsrunde. Alle sind eingeladen, von guten wie schlechten Erlebnissen zu erzählen. Ein Aktivist erzählt von einem Gespräch mit einer Frau, die das Wort »Energie« auf dem Flyer las und sich verzweifelt über zu hohe Stromkosten beklagte. »Das ist mir total im Kopf geblieben«, sagt er.
Alina hält diesen Raum für Austausch und menschliche Nähe für elementar. »Wir dürfen die Leute nicht verpulvern.« Für Eli ermöglicht eine achtsame Atmosphäre, dass sich Menschen überhaupt in den Aktivismus trauen. »Nur so können wir auf unterschiedliche Menschentypen eingehen. Du kannst auch mitmachen, wenn du ›social anxiety‹ hast«, bezieht sie sich auf Personen, die etwa Angst vor großen Gruppen oder neuen sozialen Kontexten haben. Sie selbst kennt diese Ängste. »Aber ich habe hier so viel gelernt und bin so über mich hinausgewachsen.« Das Netzwerk, das besonders während der intensiven vergangenen Wochen zusammengewachsen ist, möchte sie auch nach dem Volksentscheid nicht missen.
Grüner Kapitalismus?
Doch was genau nach Sonntag passiert, darüber haben Alina und Eli noch nicht nachgedacht. Sie konzentrieren sich auf die Wahl. Vier Tage bleiben noch, um bis Sonntag möglichst viele Menschen zu einer Ja-Stimme zu bewegen. Alina fasst beim Kieztreffen die Termine zusammen: Am Samstag findet eine Kundgebung vor dem Brandenburger Tor statt. »Danach könnten wir alle noch mal eine Kneipentour machen.« Und für Sonntag sind zwei Fahrrad-Demonstrationen geplant. »Da brauchen wir euch alle.« Alina empfiehlt, von dort direkt zur Wahlparty zu kommen, »wo wir entweder zittern oder uns freuen«.
Zweifel am Sinn des Volksentscheides? Hatte Alina nie. »Wir müssen zeigen, dass wir selbstbewusst sind, gerade wenn rechtsnationale Bewegungen in ganz Europa stärker werden.« Eli hingegen kann Bedenken, die sie in Straßengesprächen hört, durchaus nachvollziehen. »Viele Leute sagen, das bringt eh nichts, die Politik macht, was sie will. Und ich sehe auch, dass bisher niemand den Arsch hochkriegt. Das Ergebnis des Volksentscheids ist aber rechtlich bindend, anders als bei DW enteignen, die neue Regierung muss sich also dran halten. Und es ist einfach ein historischer Moment, dass wir überhaupt diese Hebel haben, um Druck auf die Regierung auszuüben.«
Dass es dringend einen Richtungswechsel braucht, um der Klimakatastrophe entgegenzuwirken, ist klar. Der aktuelle Bericht des Weltklimarates sagt eine Erderwärmung von 1,5 Grad zwischen 2030 und 2035 voraus. Der Klimawandel würde schneller und heftiger als erwartet voranschreiten, heißt es.
Über die sinnvollsten Methoden des Klima-Aktivismus lässt sich streiten. Auch von linker Seite kommt Kritik an dem Volksentscheid. Zu reformistisch, meinen manche, oder erkennen in der Kampagne eine Ideologie des grünen Kapitalismus. Tatsächlich betont die Initiative, dass eine frühere Klimaneutralität Berlin zu einem attraktiveren Wirtschaftsstandort macht. In einer Pressekonferenz am Donnerstag stellt ein Mitstreiter sogar die rhetorische Frage: »Will Berlin das Apple der Hauptstädte sein oder das Nokia?«
In der Basis herrscht eine kritischere Haltung vor. »Ich mache schon gerne den Kapitalismus für alles verantwortlich«, sagt Eli und lacht. »Man hört ja oft, das ist das beste System, das wir haben, aber da sollte es schon ein besseres geben.« Für Alina ist vor allem der rassismuskritische Blick auf globale Ausbeutungsstrukturen relevant, sie tauscht sich etwa mit Klima-Aktivist*innen in Uganda und der Demokratischen Republik Kongo aus.
Radikalere Methoden können sich die beiden zurzeit aber nicht vorstellen. Für die Letzte Generation hat Eli zwar Verständnis, sie kann den Frust und die Hoffnungslosigkeit nachfühlen. »Aber meiner persönlichen Meinung nach sollte dein Aktivismus anderen nicht schaden.« Alina ist der Demokratie-Aspekt wichtig. Sie möchte keine Maßnahmen gegen den Willen der Mehrheit durchdrücken, sondern die Mehrheiten gewinnen oder auch neu sortieren. Die Letzte Generation hat dem Volksentscheid aber in ihren Augen nicht geschadet, im Gegenteil. Beim Unterschriftensammeln sei immer wieder die Frage gekommen, ob sie zu den Klima-Klebern gehörten. »Wenn wir dann Nein sagen, stellt uns das gleich als moderater dar. Das hat uns argumentativ Rückenwind gegeben.«
Am Sonntag dürfte es trotzdem knapp werden. Eli blickt mit gemischten Gefühlen auf den Wahltag. »Ich denke mir, oh Gott, nur noch vier Tage. Aber ich freue mich auch, wenn es dann geschafft ist.«
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