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Proteste in Deutschland: Ins Büro statt auf die Barrikaden
Drohen uns französische Verhältnisse? Nicht mit dem hiesigen Arbeitsfetisch, ist Andreas Koristka überzeugt
Franzosen sind bekanntlich besonders heißblütige Wesen. Sie stehen schon auf den brennenden Barrikaden und trachten ihren Regierenden nach dem Leben, während Deutsche noch googeln, wie sie ihren Widerspruch zum Rentenbescheid einlegen können. Kein Wunder, dass in Frankreich die Lage zunehmend eskaliert, nachdem sich die Regierung anschickt, das Renteneintrittsalter von 62 auf 64 Jahre anzuheben. Aber ist es grundsätzlich nötig, wegen solch einer Petitesse ein ganzes Land in Schutt und Asche zu legen?
Ist es natürlich nicht. Das beweist der Blick nach Deutschland, wo Ausbeuter und Ausgebeutete seit Jahrzehnten friedlich koexistieren. Man muss sich nur vorstellen, was in unserem Nachbarland losgewesen wäre, wenn dort das Rentensystem wie in Deutschland komplett in die Hände von Carsten Maschmeyer gegeben worden wäre. Die Franzosen wären sicherlich immer noch im Generalstreik. So wird man aber natürlich nicht zur allseits beliebten und geachteten Exportnation. Wie kann Frankreich also zur viel effektiveren deutschen Gelassenheit finden?
Zunächst einmal wäre es wichtig, dass der soziale Frieden nach deutschem Vorbild wieder hergestellt wird. Dazu müssten zunächst die Gewerkschaften wieder mit ins Boot geholt werden. Auf unterhaltsamen Ausflügen könnten sich zum Beispiel Betriebsräte und Personalmanager gegenseitig kennenlernen und Gemeinsamkeiten finden. Oft ist die Überraschung groß, wenn festgestellt wird, dass man trotz aller Differenzen das gleiche Essen mag, gerne in ähnlichen Luxushotels nächtigt oder die gleichen Prostituierten attraktiv findet.
So entsteht durch persönliche Bekanntschaften eine viel bessere Arbeitsatmosphäre in den großen Betrieben, die so wichtig ist für Vertrauen und Verständnis. Man hat schlicht mehr Skrupel, wenn man den Leidtragenden eines Streiks persönlich kennt. Wenn man weiß, dass da hinter jedem Streik ein Opfer steht, ein Topmanager aus Fleisch und Blut, ein Mensch wie du und ich oder gar ein Aktionär.
Das ist auch der Grund, warum es in Deutschland bei Arbeits»kämpfen« recht human zugeht. Wir sind keine herzlose Gesellschaft, der das Schicksal von Topmanagern am Allerwertesten vorbeigeht. Selbst der GDL-Chef Claus Weselsky wird hier scharf kritisiert, obwohl so ein Streik bei der Bahn letztlich auch schon egal ist, weil er die normalen Probleme im Betriebsablauf kaum verschlimmert. Trotzdem möchten die Menschen nicht, dass sich Richard Lutz Sorgen macht.
Aber auch die Architektur spielt eine Rolle. Ein besonders großes Problem Frankreichs sind die französischen Innenstädte. In vielen deutschen Städten ist man froh, wenn man noch ein paar Tage länger die Fabrik oder das Büro von innen besuchen darf und möglichst wenig Kontakt mit der Außenwelt hat. So läuft man nicht in Gefahr, von der Tristesse der Fußgängerzonen in den Selbstmord getrieben zu werden. Wer möchte weniger als 40 Stunden arbeiten und mit 62 Jahren in Rente gehen, wenn er die gewonnene Zeit in einer Vapiano- oder Nordsee-Filiale verbringen muss?
In Frankreich sitzt man hingegen in den Außenbereichen der netten kleinen Cafés und Restaurants und schlürft schon zur Mittagszeit den Rotwein, während man sich die Sonne auf den mit Schnecken gefüllten Bauch scheinen lässt. Arbeit scheint im Gegensatz dazu unattraktiv. Deshalb sollte Frankreich umgebaut werden, bis wirklich alles so wenig einladend aussieht wie der Bahnhofsvorplatz von Hagen. Das ist ein kostspieliges Jahrtausendprojekt, das aber aus volkswirtschaftlicher Sicht sehr lohnend sein kann. Erst, wenn die letzte französische Straße mit Doppel-T-Verbundpflaster gepflastert ist, wird es abgeschlossen sein. Dann kann Frankreich wieder ohne Murren zur Arbeit gehen, so, wie wir Deutschen es schon immer tun und ewig tun werden.
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