Küstenwache aus Libyen: Wieder Schüsse statt Rettung

Küstenwache aus Libyen bedroht Seenotretter und Geflüchtete

Mit gefährlichen Manövern wird das überfüllte Schlauchboot abgefangen.
Mit gefährlichen Manövern wird das überfüllte Schlauchboot abgefangen.

Abermals hat die libysche Küstenwache Menschen in Seenot und die Besatzung eines Rettungsschiffs mit Schusswaffen bedroht. Der Vorfall habe sich am Samstagmorgen in internationalen Gewässern ereignet, berichtet SOS Méditerranée. Als europäisches Netzwerk zur zivilen Seenotrettung im Mittelmeer betreibt es die »Ocean Viking«.

Das Schiff wurde vom Notrufnetzwerk Alarm Phone über ein Schlauchboot mit etwa 80 Personen in Seenot benachrichtigt. Auf dem Weg dorthin sei das Patrouillenboot »Zawiyah« der libyschen Küstenwache erschienen und der »Ocean Viking« gefährlich nahegekommen, berichtet die Organisation. In arabischer Sprache sei den Seenotrettern befohlen worden, das Gebiet zu verlassen, da es sich um libysche Gewässer handele. Ausweislich verschiedener Meldungen befand sich die »Ocean Viking« jedoch rund 36 Seemeilen vor der libyschen Küste und damit weit entfernt von der hoheitlichen Zwölfmeilenzone.

Alle Versuche der Seenotretter, die »Zawiyah« per Funk zu kontaktieren, seien unbeantwortet geblieben. Die libysche Besatzung habe sich zunehmend aggressiv verhalten, mit Schusswaffen gedroht und schließlich Schüsse aus einer automatischen Waffe in die Luft abgefeuert. So ist es in einem Video dokumentiert, das SOS Méditerranée online veröffentlicht hat. Darauf ist auch zu hören, wie die Besatzung des Rettungsschiffs über Funk ankündigt, sich sofort zu entfernen. Dies sei »angesichts der Bedrohung« für die Sicherheit der Besatzung mit voller Geschwindigkeit erfolgt, schreibt SOS Méditerranée in einer Pressemitteilung.

Auch das zivile Überwachungsflugzeug »Seabird 2« hatte sich auf den Weg zu dem Seenotfall gemacht und konnte nach Angaben der Rettungsorganisation Sea-Watch beobachten, wie Menschen von dem überfüllten Schlauchboot über Bord fielen. Obwohl es bereits am Heck der »Zawiyah« festgemacht war, schoss dessen Besatzung nur wenige Meter entfernt ins Wasser. Alle Insassen seien schließlich von der libyschen Küstenwache an Bord geholt und nach Libyen gebracht worden, berichtet Sea-Watch. Von dort waren die Menschen jedoch vermutlich geflüchtet.

Nach der Bedrohung fertigte die Besatzung der »Ocean Viking« einen Bericht an und schickte ihn an die zuständigen maritimen Rettungszentren. Üblich ist, dass über entsprechende Vorfälle die Seenotleitstellen in Libyen, Malta und Italien informiert werden. Die Mitteilung ging außerdem in Kopie an die Seefahrtsbehörde und das Ministerium für Justiz und öffentliche Sicherheit in Norwegen, dem Flaggenstaat der »Ocean Viking«.

Es sei bereits das zweite Mal in diesem Jahr, dass die libysche Küstenwache die Sicherheit von Menschen in Seenot und der Besatzung der »Ocean Viking« in Gefahr bringe, schreibt SOS Méditerranée. Schon im Januar sei eine laufende Rettungsaktion behindert worden.

Der erste Schusswaffeneinsatz auf Seenotretter oder Geflüchtete außerhalb libyscher Hoheitsgewässer ist dies jedoch keinesfalls. Im April 2016 hatten Bewaffnete eines Schnellbootes mit libyschen Hoheitszeichen ein Schiff von Sea-Watch gestürmt und die Besatzung mit Schüssen eingeschüchtert. Vier Monate später schoss die libysche Küstenwache während eines Such- und Rettungseinsatzes auf ein Schiff von Ärzte ohne Grenzen, einige der mindestens 13 Geschosse beschädigten die Brücke des Rettungsschiffes, die Besatzung flüchtete in einen Sicherheitsraum. Im Oktober 2019 wurde das deutsche Rettungsschiff »Alan Kurdi« von zwei Schnellbooten mit libyschem Hoheitszeichen bedroht, auch dabei wurden Schüsse in die Luft und auf das Wasser abgegeben. 2021 konnte ein Flugzeug von Sea-Watch beobachten, wie die libysche Küstenwache in Richtung eines überfüllten Schlauchbootes schoss. Ein Jahr später drohte eine libysche Einheit, das Flugzeug mit einer Rakete abzuschießen. Im Januar dieses Jahres wurde schließlich einem Schiff von Ärzte ohne Grenzen der Schusswaffeneinsatz angedroht.

Die zum Militär gehörende libysche Küstenwache wird wie die Seepolizei des Innenministeriums aus EU-Mitteln unterstützt und ausgebildet. Zuständig für die Durchführung der verschiedenen Maßnahmen ist Italien. Auch das Patrouillenboot »Zawiyah« soll in diesem Zusammenhang an Libyen abgegeben worden sein. Am Montag hatten Journalisten deshalb die EU-Kommission auf ihrer täglichen Pressekonferenz um einen Kommentar zu den Schüssen gebeten. Man werde »sehen, was die libyschen Partner uns genau über diesen Vorfall berichten werden«, antwortete der Sprecher. Erst dann werde es »Zeit und Gelegenheit geben, über die notwendigen Folgemaßnahmen zu sprechen«.

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