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Koalitionsausschuss: Drei Tage Verhandlungsmarathon
Die Ampel wollte alles besser machen und übertrifft nun sogar ihre Vorgänger im Aussitzen
Dass CSU-Landeschef Alexander Dobrindt so ganz nebenbei eine Anleihe bei Helmut Kohl genommen hat, erschließt sich nur noch dem älteren Publikum. Denn schließlich hat der Kanzler der Einheit, der noch heute vielen Konservativen als Vorbild gilt, vor 25 Jahren das Kanzleramt verlassen. Aber die Maxime des Oggersheimers, dass bei allem politischen Tun hinten etwas rauskommen müsse, hat Dobrindt am Dienstag mit seiner Kritik an der Ampel wieder aufleben lassen. Er nannte das 17 Beteiligte umfassende Gremium »XXL-Koalitionsausschuss – zu groß, zu langsam und zu müde«. Und fragte vernichtend: »Und was soll bei einem Bläh-Koalitionsausschuss schon hinten rauskommen.« Bis zum späten Nachmittag jedenfalls sollte der Mann mit seiner Skepsis Recht behalten: Nichts!
Derlei despektierliche Fragen haben die Politiker der Union freilich bei der von ihnen an die Regierungsspitze entsandten Angela Merkel nicht gestellt. Wiewohl auch bei der längst aus dem Amt geschiedenen Kanzlerin nächtelanges Ringen mit diversen Koalitionspartnern keine Seltenheit war, sondern geradezu zu einem Markenzeichen ihrer nicht enden wollenden Regierungszeit geworden ist. Und dass die Ampel seit Sonntagabend immer wieder mit Merkel-Vergleichen malträtiert wird, ist vor allem dem Umstand geschuldet, dass sie erklärtermaßen völlig anders, viel moderner und vor allem zukunftsorientierter als die Vorgängerregierung sein wollte – und dabei explizit eben jene berühmt-berüchtigten Nacht-Termine als völlig aus der Zeit gefallen geißelte.
Nun aber blieben auch SPD, Grünen und FDP derlei ewiggestrige Rituale nicht erspart. Sie toppten sie geradezu, denn tagelange Hängepartien hat die viel belächelte wie gescholtene Angela Merkel sich und dem Wahlvolk denn doch erspart. Jedenfalls dürfte sich wohl kaum ein politischer Beobachter in Berlin an einen dreitägigen Verhandlungsmarathon in einem Koalitionsausschuss erinnern können, bei dem alle Nase lang ein Regierungsvertreter und/oder Getreuer in die Menge ruft: Wir sind auf gutem Wege, aber längst noch nicht angekommen. Schon am Montagnachmittag hatte Kanzler Olaf Scholz (SPD) bei seinem kurzen Abstecher in Rotterdam nach einer durchdiskutierten Nacht von »sehr, sehr guten Fortschritten« und vertraulicher wie freundlicher Atmosphäre berichtet.
Der Dauerclinch mag den Protagonisten und insbesondere den Feingeistern der Ampel nicht nur ein bisschen peinlich sein. Selbst wenn sie sich in bisher zur Schau getragenem überbordenden Selbstbewusstsein über all die Verhandlungszeit immer wieder zugute hielten, wirklich dicke Bretter bohren zu müssen – Scholz: Es geht um die Modernisierung Deutschlands – und gleichzeitig Aufräumarbeiten mit Versäumnissen der vorangegangenen Großen Koalition zu erledigen.
Der Streit um mehr Klimaschutz im Verkehrsbereich, den schnelleren Bau von Autobahnen, den Austausch von Öl- und Gasheizungen oder die Finanzierung der geplanten Kindergrundsicherung sind in der Tat nicht ganz einfache Herausforderungen und stellen die völlig unterschiedlichen Politikansätze innerhalb der Ampel auf eine harte Bewährungsprobe. Ganz abgesehen von den weit auseinanderklaffenden Ansätzen zum Stil von Regierungsarbeit und der Profilierungssucht aller drei Parteien. Aber irgendwann ist alles einmal ausgereizt. Das wissen freilich auch Scholz, Christian Lindner (FDP) und Robert Habeck (Grüne).
Dem wahlweise Witzeln, Unmut und Unken während der letzten drei Tage ist inzwischen Ratlosigkeit in den eigenen Reihen und immer lauter werdende Angriffslust bei den politischen Kontrahenten gefolgt. Am späten Dienstagnachmittag jedenfalls hat Unionsfraktionschef Friedrich Merz von einer »Regierungskrise« gesprochen. Er könne sich kaum vorstellen, dass es noch eine ausreichend sichere Grundlage für den Fortbestand dieser Koalition gebe. Linksfraktionschefin Amira Mohamed Ali erklärte, die Bundesregierung gebe ein erbärmliches Bild ab.
Aber unabhängig davon, ob gestern Abend, heute, morgen oder wann auch immer die Ampel doch noch zu einer Einigung kommt – festzuhalten bleibt: Mit dem Anderssein der Ampel gegenüber ihren politischen Vorfahren hat es bislang nicht geklappt. Auch wenn die Koalitionäre sich heute nicht mehr wie dereinst 2010 die FDP und die CSU als »Wildsau« und »Gurkentruppe« beschimpfen, sondern nur noch zweifelhafte Putin-Analogien herzustellen wissen, bleiben die viel zitierten Teamlösungen bislang aus. So sehr man sich auch immer wieder mit gegenseitigen Nettigkeiten aufzurichten versucht. Und sonderlich ausgeschlafen wirken weder Kanzler Scholz, noch sein Wirtschafts- oder Finanzminister. Aber das liegt längst nicht nur an durchwachten Nächten.
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