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Tarifverhandlungen und Streik: Nicht ohne soziale Komponente
Die Vorbereitungen auf einen Streik im öffentlichen Dienst laufen trotz Schlichtung weiter
Drei Tage intensiver Gespräche haben keine Einigung gebracht: In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag erklärten die Gewerkschaften die dritte Verhandlungsrunde im öffentlichen Dienst für gescheitert. Dieselbe Metapher bemühend klang das dann so: »Wir haben bis kurz vor Mitternacht den Glauben nicht verloren, dass wir die Brücke schlagen können«, sagte Karin Welge, sozialdemokratische Oberbürgermeisterin von Gelsenkirchen und Verhandlungsführerin für die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA). Die Differenzen seien »unüberbrückbar«, kommentierte dagegen Frank Werneke, Vorsitzender der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und Verhandlungsführer für den gewerkschaftlichen Tarifverbund aus Verdi, der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), der IG BAU, der Gewerkschaft der Polizei (GdP) und dem Beamtenbund (dbb).
Wenn Tarifverhandlungen zu keinem Ergebnis kommen, gibt es verschiedene Möglichkeiten: Urabstimmung über einen Streik, eine weitere Verhandlungsrunde oder Schlichtung. Die Arbeitgeber haben nun, nach Scheitern der Gespräche, die Schlichtung angerufen, die Gewerkschaften müssen dem folgen, so sieht es eine 2011 geschlossene Schlichtungsvereinbarung vor. Die Vorsitzenden der Schlichtungskommission sind der ehemalige sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt und der ehemalige Bremer Staatsrat Hans-Henning Lühr, insgesamt ist die Kommission mit 24 Mitgliedern und paritätisch durch beide Seiten gesetzt.
Neu verhandelt wird für den öffentlichen Dienst einer der beiden großen Flächentarifverträge, der TVöD, der für die Angestellten von Bund und Kommunen gilt und 2,5 Millionen Beschäftigte betrifft. Die Forderungen der Gewerkschaften sind der Inflation entsprechend hoch: 10,5 Prozent, mindestens aber 500 Euro mehr im Monat und 200 Euro für Auszubildende bei einer Laufzeit von zwölf Monaten. Dass vor allem die Festgeldforderung, die in den unteren und mittleren Lohngruppen weit mehr als 10,5 Prozent mehr bedeuten würde, mobilisierend ist, zeigten die ungewöhnlich starken Warnstreiks der vergangenen Wochen. Nicht nur am Montag beim gemeinsamen »Megastreik« von Verdi und der – ebenfalls in Tarifverhandlungen bei der Bahn steckenden – Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG. Schon den ganzen März hindurch riefen die Gewerkschaften im öffentlichen Dienst die Beschäftigten etwa bei der Müllabfuhr, in kommunalen Krankenhäusern, bei Kitas, Wasserwerken, im öffentlichen Personen- und Nahverkehr oder bei der Verwaltung zu diversen Warnstreiks auf. Honoriert wurden die Lohnforderungen mit außergewöhnlich guter Streikbeteiligung – mehr als eine halbe Million Menschen beteiligten sich an den Warnstreiks – und dem stärksten Mitgliederzuwachs, den Verdi seit Gründung je erlebt hat: Inzwischen sind es 70 000 Neueintritte seit Jahresbeginn.
Trotz der durch die Warnstreiks aufgebauten Drohkulisse waren die Arbeitgeber indes nicht bereit, ein für die Gewerkschaften annehmbares Angebot vorzulegen. Laut Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hätten sie in der dritten Verhandlungsrunde acht Prozent sowie einen Mindestbetrag von 300 Euro mehr im Monat angeboten. Aus Verdi-Kreisen hieß es allerdings am Donnerstag, während der Verhandlungen habe es überhaupt kein neues Angebot gegeben, es seien nur Gedankenspiele beschrieben worden. Was Faeser ebenfalls unter den Tisch fallen ließ: Das »Angebot« bezog sich auf zwei Jahre. Das bedeutet: 150 Euro beziehungsweise vier Prozent mehr im ersten und dann noch mal im zweiten Jahr. Zudem eine nicht tabellenwirksame Einmalzahlung von 3000 Euro. Damit hätte man direkt jetzt im Mai den Menschen »schnell helfen können«, befand Faeser. »Und ich glaube, das wäre im Sinne der Beschäftigten gewesen, jetzt eine schnelle Lösung zu haben.«
Hier dürfte sie sich gründlich verschätzen. Unter den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes scheint nach mehreren Jahren Reallohnverlust, Pandemie und angesichts der Inflation die Bereitschaft weiterhin hoch, für einen echten, also auch nachhaltigen Inflationsausgleich zu kämpfen, statt einen schnellen Abschluss einzutüten, der weiteren Reallohnverlust bedeutet. Entscheidend dafür ist der Mindestbetrag, die »soziale Komponente«, weniger die Prozentforderung. Nach allem, was man aus Verhandlungskreisen hört, war dies auch der entscheidende Punkt, wegen dem die Gespräche schließlich platzten. »Ohne einen ausreichenden Mindestbetrag war keine Tarifeinigung für uns machbar«, erklärte Heike Dittmann, Altenpflegerin und Mitglied der gewerkschaftlichen Bundestarifkommission. Auch die Laufzeit spielt eine wesentliche Rolle: In ihrem ersten Angebot hatten die Arbeitgeber 27 Monate vorgesehen, in der dritten Verhandlungsrunde waren dann wohl 24 Monate im Gespräch, immer noch doppelt so lang wie die Forderung der Gewerkschaften. Eine lange Laufzeit ist gerade in Zeiten starker Preissteigerungen für die Beschäftigten fatal, denn solange ein Tarifvertrag gilt, sind erneute Lohnrunden und Arbeitskämpfe durch die Friedenspflicht ausgeschlossen.
Friedenspflicht gilt auch während der nun anlaufenden Schlichtung. Sie soll spätestens am 6. April beginnen und bis zu zwei Wochen andauern. Das Arbeitskampfverbot tritt aber erst drei Tage nach Einberufen der Schlichtung in Kraft, also am Montag. Für den Freitag hat Verdi daher noch einmal bundesweit zu Arbeitsstreiks aufgerufen – ein bemerkenswerter Vorgang. Arbeitsstreiks sind ein Werkzeug aus dem Arbeitskampfrepertoire, das in dieser Tarifrunde erstmalig breit zum Einsatz kommt. Beim Arbeitsstreik legen aktive Beschäftigte im Betrieb die Arbeit nieder und nutzen die so gewonnene Zeit dafür, Streik-Pläne zu schmieden und Strategien zu entwickeln, zum Beispiel für die Organisierung weiterer Kolleg*innen. Dass Verdi als Antwort auf die Schlichtung bundesweit in den Arbeitsstreik geht, kann als deutliches Signal an die Arbeitgeber verstanden werden: Die Vorbereitungen für den möglichen Erzwingungsstreik laufen weiter. Sollte die Schlichtung scheitern, könnte die Urabstimmung über einen solchen ab Ende April eingeleitet werden. Es wäre das erste Mal seit Existenz des TVöD, dass es in den Vollstreik geht – den letzten derartigen Ausstand im öffentlichen Dienst gab es 1992, damals galt aber noch der Bundes-Angestelltentarifvertrag BAT.
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