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Hendrik Otremba: »Welten sollen aufeinanderprallen«
Hendrik Otremba von der Gruppe Messer hat sein erstes Soloalbum veröffentlicht. Ein Gespräch über das Schöne und das Hässliche, Utopie und Dystopie
Über Sie ist bekannt, dass Sie keine Musikinstrumente spielen. Wie kommt man dann auf die Idee, ein Soloalbum aufzunehmen?
Hendrik Otremba, Jahrgang 1984, ist Sänger der Gruppe Messer, Schriftsteller und Maler. Diese Woche erscheinen sein erstes Soloalbum »Riskantes Manöver« und sein erster Gedichtband »Wüstungen, Nebel«. 2022 veröffentlichte er seinen dritten Roman, »Benito«.
Dass ich kein Musikinstrument spiele, stimmt nicht ganz: Ich habe Bassspielen gelernt, bin da aber bis heute Dilettant geblieben. Trotzdem könnte ich mich wahrscheinlich mit jedem Instrument in einen Raum begeben und würde am Ende was zustande bringen. Ich habe eine dreijährige Tochter und immer, wenn ich mit ihr Musik mache, merke ich, dass ich da sehr ähnlich naiv herangehe wie sie. Ich komme generell eher vom Text, und von dort aus erfolgt mein Zugriff auf die Musik. Mir war klar: Wenn ich das Album allein angehe, bleibt es eine LoFi-Nummer. Deshalb war für mich die Zusammenarbeit mit den anderen am Album beteiligten Musikern – insbesondere Christoph Bartelt und Alan Kassab – essenziell.
Sind die Songs dann auch zusammen im Proberaum arrangiert worden, oder waren Sie darauf angewiesen, wie so oft heutzutage mit den anderen am Projekt beteiligten Leuten Files hin- und herzuschicken?
In diesem Falle hatten wir das Glück, die Songs gemeinsam im Proberaum auszuarbeiten. Meist lief es dann so ab, dass ich wie ein Regisseur auf der Couch saß und den anderen beiden versucht habe zu schildern, was für ein Bild, eine Kameraeinstellung mir in Bezug auf den jeweiligen Song vorschwebt. Das hatte dann oft einen fast schon filmischen Charakter.
Als Sänger haben Sie bereits vier Alben mit der Band Messer aufgenommen. Was hat für Sie dieses Mal den Ausschlag dafür gegeben, aus den musikalischen Ideen keine Messer-, sondern eine Otremba-Solo-Platte zu machen?
Ich habe in der Vergangenheit immer mal wieder probiert, die Ideen mit Messer umzusetzen. Allerdings hat es sich über die letzten Jahre so entwickelt, dass die musikalischen Ideen innerhalb der Band eher von den anderen kommen. Und da ich als Sänger und Texter eh schon recht viel Raum einnehme, brauchen die anderen drei Mitglieder auch noch ihre entsprechenden Entfaltungsmöglichkeiten. Und das finde ich auch gut so. Deshalb war dann letztlich klar, dass für die Ideen bei Messer kein wirklicher Platz sein würde und die Arbeit daran nur außerhalb stattfinden kann.
Welche Vorzüge sehen Sie generell darin, alleine zu arbeiten? Stella Sommer, mit der Sie auf dem neuen Album auch ein Duett singen, hat in einem Interview gesagt, dass sie die Arbeit als Solokünstlerin mittlerweile bevorzuge, weil sie ihre künstlerischen Ideen so besser und konsequenter umsetzen könne.
In Bezug auf Stella kann ich das sehr gut nachvollziehen. Sie ist im Gegensatz zu mir ja auch eine richtige Musikerin und hat da eine eigene Sprache für sich entdeckt. Ich habe zwar als Schriftsteller gelernt, unabhängig und autark zu arbeiten und meiner Vision zu folgen. Musikmachen funktioniert für mich hingegen besser als kollektiver Prozess, zumal ich allein auch niemals so ein Album hätte produzieren können wie das, was nun erscheinen wird. Wobei es mich gleichzeitig schon auch reizen würde, eines Tages mal ein Album aufzunehmen mit den beschränkten Mitteln, die mir zur Verfügung stehen – ohne Hilfe von außen.
Sie haben in den sozialen Medien angekündigt, dass das Album die härtesten wie zugleich die zerbrechlichsten musikalischen Momente enthalte, die Sie je veröffentlicht haben. Dem kann ich nur zustimmen. Hatten Sie keine Sorge, dass das Album am Ende musikalisch zu fragmentiert wirkt? Man hätte ja auch zwei Alben daraus machen können.
Nein, die Sorge hatte ich nicht, weil die auf dem Album vertretenen Songs für mich zusammengehören. Es gibt zwar im engeren Sinne keine übergeordnete Geschichte, die die Songs miteinander verbinden würde, aber ich denke, wenn man das Album hört, hat man schon das Gefühl, durch etwas durchzugehen, neue Bilder, Stimmungen oder Perspektiven wahrzunehmen. Ich fände es für mich auch uninteressant, eine Platte zu machen, die in jedem Song demselben Schema folgt. Mir ging es darum, Welten aufeinanderprallen zu lassen. Denn so ist letztlich das Leben: manchmal leise und manchmal laut.
In einem Interview mit dem Radiosender byte.fm haben Sie kürzlich gesagt, dass Sie die Frage danach, ob Kunst politisch sei, heute nicht mehr so klar beantworten könnten wie früher. Wie verhält es sich mit dem neuen Album: Verstehen Sie es als politisch?
Ich finde, das ist eine sehr schwierige und komplexe Frage. Ich habe in der Musik früher viel mehr als heute noch einen Ort gesehen, der aufgeladen gehört – auch politisch. Das führt aber dann oftmals dazu, dass die Ergebnisse auch plakativer werden und die Musik nur als Werkzeug begriffen wird. Heutzutage finde ich es spannender – und so sehe ich auch das neue Album –, wenn man um die erzeugten Spannungspotenziale noch gar nicht richtig wissen kann, und auch gar nicht wissen sollte. Das kann aber natürlich auch politisch sein, und ich denke, dass in der Wut oder der Sorge um herrschende Zustände automatisch auch immer etwas Politisches enthalten ist: zum Beispiel ein Aufbegehren oder eine Unangepasstheit. Wenn ich mir heutige Pop-Produktionen anhöre, habe ich dagegen oft das Gefühl, dass sie den Zustand der Welt gar nicht verändern wollen, sondern es möglichst gut darin haben und partizipieren wollen. Mein Album ist vielleicht insofern politisch, wie Punk politisch war: nämlich in der Haltung des Unverstanden- beziehungsweise Nicht-Einverstandenseins.
In dem Pressetext zur neuen Platte wird auf die Figur »’66« rekurriert, die Sie für die Platte erschaffen haben. Sie sei ein »Zeuge des zivilisatorischen Niedergangs«, was einen kulturpessimistischen und fatalistischen Anklang hat. Lässt sich Hoffnungslosigkeit als Gefühl für Sie allgemein besser in Kunst transformieren als Hoffnung? Oder Dystopie besser als Utopie?
Für mich sind Utopie und Hoffnung schwieriger umzusetzen, weshalb ich mich zumeist der anderen, dunkleren Seite hingebe. Vielleicht ist das auch meiner Faulheit als Künstler geschuldet (lacht). Ich glaube aber, dass auch das eine Frage ist, die sich nicht so einfach beantworten lässt. Denn auch in dem Dämonischen, Abgründigen und Kaputten steckt für mich etwas total Positives, indem ich dorthin gehe und die Auseinandersetzung damit suche und nicht versuche, zu verdrängen oder zu leugnen, was ja ganz offensichtlich da und auch in uns drin ist. Deshalb würde ich auch nicht sagen, dass das kulturpessimistisch ist. Und ich denke, wenn man beides darstellt – das Schöne und das Hässliche –, wirken beide Pole durch die Kontrastierung umso klarer und deutlicher.
Sie sind als Musiker, Schriftsteller, bildender Künstler, Dozent und Journalist tätig. Wie durchdringen sich diese verschiedenen Ausdrucksformen innerhalb Ihres kreativen Schaffens?
Das unterwandert, durchkreuzt, überstülpt, begegnet und reibt sich permanent. Ich habe da mittlerweile auch keinen Masterplan mehr, auf dem ich nachzeichne, mit welchem Projekt ich gerade wo bin. Ich habe einfach ein tiefes Vertrauen in die Lebendigkeit eines Werkes, das noch im Entstehungsprozess ist. Ich habe künstlerisch zwar schon sehr viel gemacht, aber habe immer noch das Gefühl, dass ich noch ganz am Anfang stehe, und da noch sehr viel kommt. Es fühlt sich stellenweise so an, als sei ich von einem Universum umgeben, so als hätte mein Werk ein eigenes Bewusstsein. Deshalb gibt es auch immer wieder Berührungen oder Parallelen zwischen den verschiedenen Ausdrucksformen oder zwischen verschiedenen Figuren, wie etwa der Figur »’66« auf meinem neuen Album und dem Protagonisten meines letzten Romans, »Benito«.
Neben den gerade schon aufgezählten Feldern: Welches künstlerische Gebiet würde Sie zukünftig noch reizen? Den Bereich Film – dem Sie ja auch sehr nahestehen – haben Sie bisher ausgespart, oder?
Ich habe hier und da schon mal an Kurzfilmen mitgewirkt und habe auch Leute in meinem Umfeld, die Schauspieler sind oder Regie machen und ich muss wirklich sagen: Ich habe höchsten Respekt vor Leuten, die in diesem Bereich arbeiten. Denn das sind so gigantische, krasse Kraftanstrengungen, die die Produktion eines Films erfordert. Und es sind Prozesse, die von so vielen Unwägbarkeiten abhängen. Der Filmbereich ist so verheißungsvoll, denn man kann so viel machen mit dem Medium, aber gleichzeitig ist es auch so monströs, dass ich eher Angst hätte, ich könnte da untergehen. Gleichzeitig weiß man natürlich auch nie, was kommt.
Hendrik Otremba: »Riskantes Manöver« (Trocadero/Indigo)
Hendrik Otremba: Wüstungen, Nebel. Gedichte. März-Verlag, 98 S., br., 20 €
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