- Kultur
- Robert Gallinowski
Robert Gallinowski: Er war das Krokodil
Zum Tod des Schauspielers Robert Gallinowski
Er war ein erdiger, rau-herziger, ein spannend schillernder Schauspieler. Er verfügte auf der Bühne über listig tänzelnde Kraft und eine faszinierend unmittelbare Wucht. In den Schmutz der Welt konnte er tauchen – aber diesen Schmutz mit dem edel mattierten Glanz eines liebenswürdigen Stromers präsentieren. Robert Gallinowski war ein Künstler, dessen Ort eher auf der dunklen Seite der Dinge lag, dort, wo Lenz übers Gebirg geht oder Woyzeck über den Erbsen schwitzt. Schweiß blieb ihm lieber als Schminke. In ihm arbeitete die Kreatur und jenes Unflätige, das sich am liebsten dem Schmerz überlässt. Der dann entsteht und Lust wird, wenn man Texte zerbeißt, als wären sie Eisen.
Miller und O’Neill spielte er, Pinter und Lorca, Müller und Shakespeare, Koltès und Tschechow. Bei Michael Thalheimer und Dimiter Gotscheff, bei Thomas Langhoff und Konstanze Lauterbach. In Hamburg und München, am Deutschen Theater Berlin und am Berliner Ensemble. Er liebte das Zwielicht. Noch jeden Helden spielte er in die Zerrissenheit hinein. Noch jede sportive Lockerheit hatte im Blut das Bleigift einer bösen Lähmung; noch jede Manneskraft war gezeichnet von gehetzter Untauglichkeit. Da lauerte eine Jägerseele in der Brust der gequälten Beute, aber unterm Kostüm des Jägers schlug auch das Herz eines Gejagten.
Denke ich an Gallinowski, denke ich an Dagmar Manzel, an Neil LaButes »Tag der Gnade« (Deutsches Theater), eine Paar-Tragikomödie inmitten des Explosionsstaubs von Nine-Eleven, oder an »Endstation Sehnsucht« von Tennessee Williams (Berliner Ensemble). Beide boten grandiose Duelle, mobilisierten alle Masseteilchen an Zartheit, Argwohn, schleichender Aggressivität. Nestkampf. Statt vögeln raubvögeln: Hackordnung. Provozieren und streicheln. Liebende im Schwerefeld einer geballten Befangenheit gegenüber jedem echten Gefühl. Baggerseele gegen Schwirrvogelgemüt. So spielten beide Weisheit: Wo sich Körper finden – wer unterscheidet da Umarmung und Schlag; beidem zugrunde liegt Begierde.
Der 1969 in Aachen Geborene war auch Maler, Grafiker – und Lyriker. Das bleibt für mich. »Korrektur-Passagen« heißt ein Band mit Bildern und Gedichten. Das Geheimnis war ihm mehr als dessen Enthüllung. »Ohne Ziel / auskommen: // Expedition«. Gallinowskis Malerei war purer Sinn fürs Abstrakte. »Wer genau hinschaut«, so die Schriftstellerin Kerstin Hensel, »sieht die durchlässigen Bereiche, Abgrenzungen, Überfließendes, die plötzlich gerissene Linie, den heiteren Durchbruch.«
Mit Schlagzeuger Klaus Mages präsentierte er vor Jahren am DT ein Hölderlin-Programm, expressiv, in hämmerndem Rhythmus. Schrei und Seufzer. Große Gebärde, stilles Weh. »Schmerzen der Sterblichkeit«, wie Hölderlin das nannte. So, als sei alle Kraft nur Verzweiflung. So muss es auch außerhalb der Bühne gewesen sein, irgendwann. Er wischte sich weg, ins Grobgelände der TV-Krimiserien, wo er meist nur der wulstige Gewaltkerl war. Wenn ich ihn sah, sah ich durchs Äußere, durchs Magere der Spielanlässe hindurch, ahnend: Wo Handwerk war, wäre Kunst möglich gewesen – Erzählungen darüber, dass nichts so verletzlich ist wie Hornhaut. Ihm konnte die Brutalität ins Kinngebiet rutschen, dass einem dieses Stiere und Stumpfe Angst machte. Er war das Krokodil, das hundert Jahre wartet, um dann für eine einzige Zuschnappsekunde auch noch zum krallenden Löwen zu werden.
Ein Arbeiter des Extremen – irgendwann nicht mehr gefordert und gehalten von seinem Gratwanderungstalent: zwischen steinernem Ernst und romantischer Schwüle, zwischen strotzender Geschmeidigkeit und neurotischer Schräglage. »Der Kreis sucht/ seinen Anfang«, so heißt es in einer der lyrischen Notizen. Die schöne Illusion, es gebe diesen Anfang. Aber: im Lebenskreis zu gehen, es ist nicht die Suche nach einem Weg, es ist bereits der Weg. »Flügelgruß, / dann weg und weiter wieder / Makel im Gemüt – / Was bleibt: / Ein Brennen, / Hier.« Hier. Keine Welt woanders. Das ist sie, die große Freiheit. Hat er sie je gefunden? Verloren auf jeden Fall. Nun ist Robert Gallinowski im Alter von nur 53 Jahren gestorben.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.