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Weniger Wohnungsbau in Marzahn-Hellersdorf
Nur noch 70 neue Wohnungen im ersten Quartal in Marzahn-Hellersdorf genehmigt
Der Absturz ist beispiellos. Das Stadtentwicklungsamt Marzahn-Hellersdorf hat in den ersten drei Monaten des Jahres 2023 Baugenehmigungen für nur noch 70 neue Wohnungen erteilt. Das erklärt Baustadträtin Juliane Witt (Linke) bei einem Pressegespräch am Freitagnachmittag. Baurecht ist vor allem für Ein- oder Zweifamilienhäuser geschaffen worden, denn für die 70 Wohnungen wurden insgesamt 50 einzelne Genehmigungen erteilt.
»Letztlich sind nur noch Bauprojekte vorangetrieben worden, für die bereits die Finanzierung geklärt war und Verträge mit Baufirmen geschlossen worden sind«, sagt Hendrik Keßlau, der Leiter des Marzahn-Hellersdorfer Stadtentwicklungsamtes. Er geht davon aus, dass sich die Lage über das gesamte Jahr 2023 nicht bessern wird und der Bezirk daher 2025 oder 2026 ein Jahr fast ohne Wohnungsfertigstellungen erleben wird.
Berlinweit dürfte die Lage nicht viel anders sein. Das ist für die sich gerade formierende Senats-Koalition aus CDU und SPD eine schwere Hypothek, denn die Auswirkungen galoppierender Zinsen und Preise werden sich also just im Wahljahr 2026 massiv bemerkbar machen.
Selbst nicht renditeorientierte Wohnungsbauunternehmen kalkulieren, dass sie unter den aktuellen Baubedingungen neue Wohnungen kostendeckend nicht unter 16 Euro Nettokaltmiete pro Quadratmeter vermieten könnten. Solche Preise entsprechen nicht dem Bedarf der sozialen Wohnraumversorgung. Und renditeorientierte Wohnungskonzerne glauben nicht, dass sie zu solchen Preisen ausreichend Mieterinnen und Mieter finden würden.
Zum Vergleich: Im Gesamtjahr 2022 sind in Marzahn-Hellersdorf Baugenehmigungen für etwa 1200 neue Wohnungen erteilt worden, ein Jahr zuvor waren es rund 1400. 2020 war das bisherige Rekordjahr im Bezirk mit fast 4000 erteilten Genehmigungen. Sollte die Baurechtschaffung 2023 im Nordost-Bezirk ungefähr auf dem aktuellen Niveau verharren, läge die Bilanz bei nicht einmal 300 neuen Wohnungen. Allerdings sind solche Projektionen mit einer gewissen Vorsicht zu genießen. Einzelne Großprojekte können schnell die Zahlen deutlich verändern. Generell werden zum Jahresanfang eher weniger Baugenehmigungen erteilt als zum Jahresende. Gewiss ist jedoch, dass 2023 deutlich weniger Wohnungsbau angeleiert werden wird.
Ganz unglücklich ist Baustadträtin Juliane Witt jedoch nicht mit der Entwicklung. »Das gibt uns im Bezirk die Möglichkeit, bei der sozialen Infrastruktur etwas aufzuholen«, sagt sie. Schulen, Kitas, Jugendzentren. Der Wiederaufbau von Kapazitäten konnte in den letzten Jahren nicht wirklich Schritt halten mit der Bevölkerungszunahme. Ein berlinweites Phänomen.
Dazu kommt eine große Unzufriedenheit der Bevölkerung vor allem mit der Nachverdichtung. Besonders die CDU im Bezirk konnte politisch bereits bei den Wahlen zu Bundestag, Abgeordnetenhaus und Bezirksverordnetenversammlung im Herbst 2021 daraus Kapital schlagen – und noch einmal deutlicher bei der Wiederholungswahl auf Landes- und Bezirksebene im Februar 2022.
»Der Eindruck in Teilen der Bevölkerung, dass in Marzahn-Hellersdorf im berlinweiten Vergleich überproportional viel gebaut wird, stimmt allerdings nicht«, betont Stadträtin Witt. Knapp 21 000 neue Wohnungen sind im Bezirk von 2011 bis November 2022 genehmigt worden – Platz fünf im Bezirksvergleich. An der Spitze liegt Treptow-Köpenick mit fast 35 000 Einheiten, Schlusslichter sind Neukölln und Reinickendorf mit rund 8200 und 8000. Fertiggestellt wurden im Nordost-Bezirk von 2011 bis 2021 etwas über 11 800 Neubauwohnungen.
Im Bezirk wurden mehrere Bebauungsplanverfahren angestoßen, um eine aus Sicht der Lokalpolitik übermäßige Bebauungsdichte zu verhindern. Gerade in Marzahn mit seinen vielen Hochhäusern könnten Investoren ansonsten mithilfe des Paragrafen 34 des Baugesetzbuches Baurecht für weitere Wolkenkratzer verlangen. Er besagt, dass sich neue Bauten »in die Eigenart der näheren Umgebung« einfügen müssen. Beispielsweise gilt das für den Helene-Weigel-Platz am S-Bahnhof Springpfuhl, wo ein Investor bereits entsprechende Begehrlichkeiten geäußert hat.
Mit diesem Montag beginnt eine Schicksalswoche für grüne Innenhöfe und Grünflächen, um deren Erhalt der Bezirk seit geraumer Zeit kämpft. Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) hat diesen Montag das Stadtentwicklungsamt in die Senatskommission Wohnungsbau vorgeladen. Gleich drei dieser Flächen will die Senatsverwaltung mit neuen Wohnhäusern bebauen lassen.
An der Hoyerswerdaer Straße in Hellersdorf geht es um eine Fläche, bei der sich Wohnungsbaupläne der Wohnungsbaugenossenschaft Wuhletal eG im Sommer 2022 wegen Kostensteigerungen zerschlagen hatten. Der Bezirk will nun dort eine Jugendfreizeitfläche haben und die Freifläche erhalten. Bausenator Geisel will, dass die landeseigene Gesobau dort Neubauten errichtet. An einem Hofbereich der Marzahner Langhoffstraße hat die Gesobau ebenfalls Interesse angemeldet, der Bezirk will das Grundstück für den Kitabau vorhalten.
Besonders interessant ist die Lage am Buckower Ring in Biesdorf. Der Bezirk möchte die ehemalige Kitafläche am Rand des Wuhletals in das sogenannte Ökokonto des Landes Berlin einbringen. Die Senatsumweltverwaltung unterstützt das, doch auch hier beharrt die Senatsbauverwaltung auf Wohnungsbau. Im Ökokonto werden die für Eingriffe in die Natur durch Baumaßnahmen vorgeschriebenen Ausgleichsflächen quasi bevorratet. Diese sind ein rares Gut in Berlin, Bausenator Geisel hatte mehrfach berichtet, dass über 50 Bebauungsplanverfahren wegen fehlender Ausgleichsflächen nicht vorankommen.
Am Donnerstag schließlich will das Landes-Wohnungsunternehmen Stadt und Land definitiv entscheiden, ob es Abstand von der Bebauung des Hofs an der Hellersdorfer Lily-Braun-Straße mit 150 Wohnungen nimmt. Der Bezirk möchte die Freifläche sichern. Gegen den Willen des Bezirks baut die Stadt und Land bereits Wohnungen im Hof der nahe gelegenen Bodo-Uhse-Straße. »Unsere Leitlinie als Bezirk ist es, Wohnungsbaupotenziale durch Aufstockung und auf bereits versiegelten Flächen zu erschließen. Wir wollen keine weitere Versiegelung«, sagt Juliane Witt.
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