Flucht aus dem Lehrerberuf

Nordrhein-Westfalen: Immer mehr Pädagogen kündigen ihren Job

  • David Bieber
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Lehrermangel verschärft sich weiter im bevölkerungsreichsten Bundesland. Die Zahl der Kündigungen bei Lehrerinnen und Lehrern in Nordrhein-Westfalen hat sich in den vergangenen zehn Jahren fast verdreifacht. Im Jahr 2022 sind laut einer vergangene Woche veröffentlichten Recherche des WDR fast 800 Beschäftigte an NRW-Schulen aus ihrem Job ausgestiegen. Für die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und Verbände sowie die oppositionelle SPD ein »alarmierendes« Signal. Sie fordern, den Arbeitsplatz Schule »deutlich attraktiver zu gestalten«. Für das CDU-geführte Schulministerium hingegen sind diese Kündigungszahlen kein Grund zur Sorge.

Zu den Fakten: Unter denen, die den Dienst quittierten, waren neben Sozialpädagogen und Seiteneinsteigern auch 286 verbeamtete Lehrer. An den Schulen im bevölkerungsreichsten Bundesland sind ohnehin mittlerweile etwa 8000 Lehrerstellen vakant. Insgesamt sind in NRW etwa 181 000 Lehrkräfte beschäftigt.

Woran liegt es, dass so viele Pädagogen nicht mehr in ihrem Beruf bleiben wollen? Wibke Poth hat eine klare Meinung dazu. Die stellvertretende NRW-Landesvorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) sagte der Funke Mediengruppe, der Anstieg bei den Kündigungen sei auf die wachsende Belastung zurückzuführen. Die neuen Maßnahmen der Landesregierung zur Bekämpfung des Lehrermangels kritisiert die Pädagogenorganisation als »nicht zielführend«. So mache die Einschränkung der Teilzeit den Beruf nicht attraktiver, so Poth.

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Kontraproduktive Restriktionen

Um mehr Lehrerinnen und Lehrer in die Klassen zu bringen, will NRW-Schulministerin Dorothee Feller Anträge auf Teilzeit strenger prüfen als bisher. Lehrerverbände warnen, dass sich die Fluktuation dadurch noch beschleunigen könnte. Laut dem Statistischen Bundesamt ist der Anteil der Lehrkräfte, die in Teilzeit arbeiten, in NRW seit 2005 um gut drei Prozentpunkte auf 40,5 Prozent im Jahr 2021 gestiegen.

Seit Jahren kritisiert auch die GEW die in ihren Augen verfehlte Schulpolitik in NRW und warnt vor weiter zunehmendem Lehrermangel. Die Bildungsgewerkschaft bemängelt die »immer schlechter werdenden Arbeitsbedingungen«. Die aktuelle Entwicklung sei absehbar gewesen, sagte die GEW-Vorsitzende in NRW, Ayla Çelik, gegenüber »nd«. »Die Beschäftigten in der Schule sind dort, weil sie sinnstiftend arbeiten wollen – sie wollen bilden und erziehen. In diesem Mangelsystem gerät das leider oft zur Nebensache und viele reiben sich im System auf«, erklärt sie. Und fügt hinzu: »Dann gehen manche auch aus Selbstschutz.« Das sei nicht nur für das Land fatal, sondern auch für benachteiligte Kinder, deren einzige Chance gut ausgebildete Lehrkräfte seien.

Zur wachsenden Zahl von Kündigungen hat nach Einschätzung von Çelik auch das sich seit Jahren vergrößernde Aufgabenspektrum beigetragen. Einerseits gebe es viele Pflichten in Sachen Verwaltung und Dokumentation. Andererseits gebe es immer mehr »herausfordernde« Schüler und zu große Klassenverbände. »So ist weder gute Bildung noch gute Arbeit in Schule möglich.«

Landesregierung »auf dem Holzweg«

Die GEW-Landeschefin sieht bei der schwarz-grünen Regierung in Düsseldorf eine erhebliche Verantwortung für die Kündigungswelle. Die Einschränkung von Teilzeitarbeit und ein rigideres Vorgehen bei Abordnungen von Lehrkräften an andere Schulen werde sich als »Bumerang« erweisen, warnt sie. »Die Landesregierung ist da völlig auf dem Holzweg.«

Eine Trendwende könne nur durch mehr Bildungsinvestitionen erreicht werden, ist Çelik überzeugt. NRW stehe diesbezüglich im Vergleich der Bundesländer seit Jahren auf dem letzten Platz. Es brauche mehr »multiprofessionelle Teams, einen Attraktivitätsbooster für den Seiteneinstieg und eine Entlastung bei Gruppengrößen und Lehrplänen«.

Auch die schulpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, Dilek Engin, sieht dringenden Handlungsbedarf. Sie zeigt sich auch über den »signifikanten« Rückgang der Zahl an Lehramtsstudenten beunruhigt. Dies zeige, wie dringlich eine Verbesserung der Situation an den Schulen sei. Nur so könne der Beruf wieder attraktiver werden.

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Im Schulressort gibt man sich derweil entspannt. Auf nd-Anfrage verweist das Ministerium in Düsseldorf darauf, dass die Fluktuationsrate im öffentlichen Dienst unter der in anderen Bereichen liege. Zudem sei es ein bundesweiter Trend, »dass vor allem junge Arbeitnehmer*innen häufiger den Job wechseln«. Gemessen an der Anzahl der verbeamteten Lehrer liege die Zahl der Kündigungen bei nur 0,2 Prozent, bei den Tarifbeschäftigten bei zwei Prozent, teilt das Ministerium weiter mit. Bis 2027 sollen zusätzlich 10 000 neue Lehrkräfte an die Schulen Nordrhein-Westfalen kommen, verspricht Ministerin Feller. Zudem hat die seit Juni 2022 amtierende schwarz-grüne Regierung in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, die Gehälter für Pädagogen deutlich zu erhöhen.

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