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Thomas Tuchel beim FC Bayern: Der Druck bleibt groß
München siegt 4:2 gegen Dortmund und ist wieder Tabellenführer. Ruhe ist damit beim Rekordmeister allerdings noch nicht eingekehrt.
Als Thomas Tuchel hinterher seinen Gesprächsmarathon bewältigte, konnte man zusehen, wie seine Anspannung ganz langsam wich. Ein Lächeln huschte ab und zu über sein Gesicht, mit jedem weiteren Interview trat die Erleichterung über seinen gelungenen Einstand als Trainer des FC Bayern deutlicher zutage. Ganz ablegen konnte Tuchel den Druck aber nicht, der vor dem 4:2 (3:0) gegen seinen früheren Klub Borussia Dortmund auf ihm gelastet hatte und weiterhin auf ihm lastet.
»Ich war sehr nervös«, bekannte der 49-Jährige und lachte selbstironisch darüber, so aufgekratzt gewesen zu sein, als habe er erstmals im Profi-Fußball an der Linie gestanden. Dabei verfügt er ja längst über einen reichen Erfahrungsschatz, nicht zuletzt durch seine vorherigen internationalen Stationen Paris Saint-Germain und FC Chelsea. Mit den Londonern hatte er 2021 die Champions League gewonnen. Dennoch schien sich dieser Einstand beim FC Bayern für ihn nicht angefühlt zu haben wie ein weiteres Debüt bei einem weiteren Topverein, sondern wie ein allererstes Mal.
Tuchels Anspannung liegt auch daran, dass er nicht zum FC Bayern gekommen ist, um schlicht Spiele zu gewinnen. Er verfolgt vielmehr einen hohen inhaltlichen und stilistischen Anspruch. Diesem hatte die Mannschaft trotz des deutlichen Erfolgs längst noch nicht genügt. Äußerst kritisch bewertete Tuchel den Auftritt, obwohl dieser schon über weite Strecken als Machtdemonstration dahergekommen war. Doch von Zufriedenheit war der Fußballlehrer weit entfernt. »Schlampig« und »fahrig« sei man oft gewesen und habe sich »extrem viele Ballverluste« geleistet, monierte Tuchel, »uns hat die Klarheit gefehlt, die Sicherheit im Pass-Spiel«. Die Mannschaft müsse noch ihren Rhythmus finden »wie eine Band«, und ohnehin habe man ja noch gar nichts erreicht. »Wir müssen nachlegen, nachlegen, nachlegen«, erinnerte er. Bereits am Dienstag steht das erste K.o.-Spiel im Viertelfinale des DFB-Pokals gegen Freiburg an. Eine Woche später geht es im Viertelfinal-Hinspiel der Champions League zu Manchester City. Der Druck bleibt groß.
Ein paar Gewissheiten hat der wieder einmal ungleiche Vergleich mit dem BVB dennoch hervorgebracht. Tuchel ist nach wie vor ein detailversessener und ehrgeiziger Trainer. Die Borussia ist dem FC Bayern bei Besuchen in München einfach nicht gewachsen. Vor allem aber scheint der FC Bayern nach der Rückkehr zum traditionellen 4-2-3-1-System wieder auf dem Weg zurück zu sich selbst und zur alten Dominanz zu sein, nachdem er sich in den vergangenen Monaten oft seinen Launen hingegeben hatte. Auf starke Leistungen in großen Spielen folgten häufig schwache in den kleineren. Oft stellten sich diese Schwankungen sogar innerhalb einzelner Spiele ein. Zumindest ein Anflug dieser Inkonstanz war auch diesmal zu besichtigen.
Die Bayern hatten nervös begonnen, die Borussen dagegen selbstbewusst. Das änderte sich mit Gregor Kobels Patzer. Nach einem langen Pass von Dayot Upamecano war der Dortmunder Torwart herausgeeilt und hatte versucht, den Ball wegzuschlagen. Er traf diesen aber so gut wie gar nicht, weshalb der Ball ins Tor rollte (13.). Zum weiteren Entsetzen der Gäste ließ Thomas Müller schnell und instinktsicher das 2:0 (18.) und 3:0 (23.) folgen, Tuchel nannte ihn »das Trüffelschwein im Strafraum«. Profitiert hatte Müller bei seinem zweiten Tor von einem weiteren Fehler Kobels, der einen Schuss von Leroy Sané nach vorne abgeklatscht hatte.
Erst nachdem Kingsley Coman auf 4:0 erhöht hatte (50.), ließen die Bayern langsam nach. Dortmunds Tore durch Emre Can per Foulelfmeter (72.) und Donyell Malen (90.) änderten am zu niedrig ausgefallenen Sieg des FC Bayern zwar nichts mehr, wohl aber an Tuchels Zufriedenheit. Die eigenen Ballverluste hätten das Spiel »sehr intensiv gemacht. Wir haben uns auf jeden Fall verausgabt«, merkte er spitz an. Dabei will er den Stil ja ökonomisieren, um ohne unnötigen Kräfteverschleiß durch die englischen Wochen zu kommen. Auch seine Spieler erkannten viel Verbesserungsbedarf. »Wir haben schon einige Dinge gut umgesetzt«, sagte Leon Goretzka, dennoch gebe es noch »extrem viel Luft nach oben«. Gewesen sei es immerhin »ein Statement, dass man wieder gesehen hat: Wenn die Bayern müssen, dann können sie«, ergänzte Müller.
Überlagert wurde der Erfolg vom Zoff über die Umstände der Trennung von Tuchels Vorgänger Julian Nagelsmann, der durch die Medien von seinem Aus erfahren hatte und nicht von seinen Vorgesetzten. Der Sky-Experte Lothar Matthäus bezichtigte Oliver Kahn sogar der Lüge, nachdem der Vorstandschef davon gesprochen hatte, dass man sehr wohl schnellstmöglich Kontakt zu Nagelsmann aufgenommen habe. Auch Nagelsmanns Berater widersprachen. »Es gab keinen Kontakt und keinen Kontaktversuch der Bayern. Das Management von Julian Nagelsmann hat selbst nach den diversen Gerüchten in den Medien bei Hasan Salihamidžić angerufen«, teilte die Agentur mit. Kahn blieb am Sonntag bei seiner Darstellung. »Hasan und ich, wir haben zu jeder Zeit die Wahrheit gesagt«, äußerte er bei Bild TV und warf Matthäus »halt- und stillose Aussagen« vor. Und die Mitteilung von Nagelsmanns Agentur? »Ich werde jetzt nicht mehr auf Details eingehen«, antwortete Kahn, »wir möchten nach vorne schauen.«
Das versuchen sie auch beim BVB vor dem Pokalspiel in Leipzig am Mittwoch. Es sei ein »bitterer Tag« in München gewesen, bekannte Sebastian Kehl. In Bezug auf den Meistertitel gab er sich nach dem Verlust der Tabellenführung aber kämpferisch. »Das Ding ist noch nicht erledigt«, sagte der Sportdirektor. Der kritische Geist Tuchel würde nicht widersprechen.
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