Spione – wohin das Auge blickt

Westliche Dienste rüsten auf gegen Neugier, die aus dem Osten kommt

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.

Schaut man sich russische Medien an, so findet man täglich Meldungen darüber, dass Mitarbeiter des russischen Inlandsdienstes FSB einen Spion, eine Sabotagegruppe oder Terroristen, die gerade eine Bombe bauen, festgenommen haben. Diesem zumeist propagandistischen Fleiß steht die ukrainische Spionageabwehr in nichts nach. Überall wimmelt es von mutmaßlichen Verrätern. Die Länder befinden sich im Krieg, was will man da anderes erwarten?

Deutschland ist – wie die Nato insgesamt – nicht Kriegsteilnehmer. Dennoch, so verbreitete das ARD-Magazin »Kontraste« vor ein paar Tagen, seien hierzulande Hunderte russische Agenten aktiv. Der auch für Spionageabwehr zuständige Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Thomas Haldenwang, sagt: »Wir befinden uns auf einem Niveau wie zu Zeiten des Kalten Krieges.«

Das mag übertrieben sein. Tatsächlich ist Generalbundesanwalt Peter Frank jedoch gerade mit einem schwerwiegenden Fall von mutmaßlichem Landesverrat befasst. Der hat den Bundesnachrichtendienst (BND) im Innersten getroffen. Beschuldigt werden Carsten L., ein leitender Mitarbeiter des BND, und Arthur E. Beide sitzen in Untersuchungshaft. Gegen weitere Mitarbeiter des BND laufen interne Ermittlungen.

Der 52-jährige L. arbeitete seit 2007 – abgeordnet von der Bundeswehr im Rang eines Obersten – als Referatsleiter bei der Technischen Aufklärung. Ganz gleich, was der BND an Kommunikation aus dem Weltall, dem Internet oder sonstigen Verbindungen abschöpfte – alles ging über seinen Tisch. Unter anderem auch die Kommunikation russischer Militärs, die der BND unter Beobachtung hat. L. wurde zum Verhängnis, dass US-Dienste Dokumente des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB »einsehen« konnten, die aus dem BND stammten.

Arthur E. (31) ist ein sogenannter Russland-Deutscher. Er diente als Fernmelder bei der Bundeswehr, schied unehrenhaft aus, verlegte sich aufs globale Geschäftemachen. Er war der Kurier, übergab in Moskau, was L. kopierte, an den FSB. Gegen Bezahlung. Begegnet sind sich die beiden vermutlich bereits 2021 im Vereinsheim des TSV Weilheim.

Unlängst geisterte durch die Medien, dass L. Positionsdaten von Artillerie- und Flugabwehrstellungen der ukrainischen Armee beschafft haben könnte. Unsinn. L. war zu wichtig für Kleinkram, denn er wurde im September 2022 nach Berlin versetzt, um den BND-Bereich Personelle Sicherheit zu übernehmen. Damit war er zuständig für die Sicherheitsüberprüfungen aller 6500 BND-Mitarbeiter. Mehr Einblick in den BND konnte sich der FSB nicht erträumen.

In Deutschland wird der Verratsfall heruntergekühlt. Aus guten Gründen. Erstens ist ein Maulwurf nie gut fürs Prestige. Zudem ist die Enttarnung eines Verräters durch ausländische Dienste nie förderlich für die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit diesen Partnern. Drittens: Im Fall des enttarnten BND-FSB-Spions Carsten L. kam nicht nur dessen Nähe zur AfD ans Licht. Zeugen bestätigten Aussagen, die eindeutig auf eine gefestigte rechtsextremistische Geisteshaltung des BND-Oberst hindeuten.

Die Enttarnung der beiden Deutschen sei die »jüngste Salve in einem Schattenkrieg gegen die russischen Geheimdienste«, schrieb die »Washington Post«. Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine hätten die US-amerikanischen und europäischen Sicherheitsdienste parallel zur Sanktionspolitik eine Kampagne geführt, um russische Spionagenetzwerke zu lähmen. Verwiesen wird auf Fälle in den Niederlanden, Norwegen, Schweden, Österreich, Polen und Slowenien. Auch Großbritannien vermeldet Erfolge bei der Abwehr russischer Spione. Ein ehemaliger Wachmann der britischen Botschaft in Berlin wurde in London zu mehr als 13 Jahren Gefängnis verurteilt. Er hat angeblich zwischen 2018 und 2021 Informationen an Russland verkauft, von denen einige eindeutig als »geheim« gekennzeichnet waren. Die 2022 erfolgte Massenausweisung von mehr als 400 mutmaßlichen russischen Agenten, die pro forma an Moskaus Botschaften in EU-Ländern angestellt waren, habe Moskaus Dienste schwerer getroffen als die gesamte westliche Abwehrarbeit zu Zeiten des Kalten Krieges.

Russlands Möglichkeiten, Einfluss auf die Politik von EU-Staaten auszuüben, ist ebenso geschwunden wie die Chance, an Schlüsselinformationen zu gelangen. Moskau habe versucht, seine Verluste auszugleichen, indem es sich stärker auf Cyberspionage verlässt, sagt Antti Pelttari, Direktor des finnischen Auslandsgeheimdienstes. Auch wolle man Verluste ausgleichen, indem Spione, getarnt als Flüchtlinge, ausgeschickt wurden. Doch ohne Botschaftshinterland hätten die »Ersatzleute« wenig Chancen.

Ist Russland noch eine Topgefahr? BfV-Chef Haldenwang ist sich zwar sicher: »China verfolgt eine langfristig angelegte Strategie zur Umsetzung seiner Ziele.« Aktuelle Nachrichten darüber, dass China nun die Gefahr Nr. 1 ist, gibt es nicht. Die deutschen Abwehrdienste halten die Füße still, denn: Im Gegensatz zu Russland ist China ein unersetzbarer Partner westlicher Länder. Ungeachtet aller Warnungen vor dem chinesischen Tiktok-Netzwerk und Huawei-Technik – China war auch im vergangenen Jahr der wichtigste Handelspartner Deutschlands. Der Warenaustausch hat einen Wert von rund 298 Milliarden Euro. Das ist, so geht es aus Daten des statistischen Bundesamtes hervor, ein Wachstum von rund 21 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

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