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»Meister Röckle«: Der Teufel, beim Namen genannt
Das Theater Magdeburg bringt mit »Meister Röckle« ein Märchen nach Karl Marx auf die Bühne
Geschichtenerzählen und -spielen stand in der Familie Marx hoch im Kurs. Die gesammelten Werke Shakespeares waren ihre Hausbibel, aus der sie lange Passagen rezitierten, und zwei Töchter träumten von einem Leben auf der Bühne. Inspiration bot auch ihr Vater, ein fantastischer Märchenerfinder. In den Stunden, die Karl nicht in der Bibliothek des britischen Museums verbrachte, erzählte er Jenny und Laura Marx von Hans Röckle. Der Spielzeugmacher paktierte mit dem Teufel, um die wunderbarsten Dinge zu schaffen. Erst zaubert er Hula-Hoop-Reifen, dann Maschinen zur Arbeitserleichterung. In der Neuerzählung verwandelt sich die Kindergeschichte »Meister Röckle« in ein Schauermärchen, das die Jahrhunderte von der industriellen Revolution zum Green New Deal durchschreitet. Von den Theatermacher*innen les dramaturx verfasst, wurde sie am vergangenen Samstag für ein Publikum ab 15 Jahren auf die Bühne des Theaters Magdeburg gebracht.
Mit sonorer Stimme und kleinen Zankereien führen die zwei Märchenonkel Marx und Engels, geführt von Michael Ruchter und Christian Tschirner, durch den Abend. Dem Berliner Denkmal nachempfunden, ruhen die überlebensgroßen Puppen am linken Bühnenrand und gestikulieren gemächlich mit den bronzenen Armen, während sich neben ihnen der Höllenschlund auftut. Herr Flammfuß, der über dieses Reich gebietet, sei keine Imperialisten-Karikatur, betont Lynn Takeo Musiol von les dramaturx. Der ähnele sie nur in der DDR-Interpretation, erklärt sie in einer informativen Intervention über die Rezeptionsgeschichte der Märchenfigur. Die Geschichte schrieb Marx nie auf, erst Ilse und Vilmos Korn sponnen 1968 daraus das Kinderbuch »Meister Hans Röckle und Mister Flammfuß«, dessen Titel sich leicht antiamerikanisch verstehen lässt. 1974 folgte die Defa-Verfilmung, in der Ralf Hoppe mit weit geöffnetem Hemd und bedeutungsschwangeren Blicken den Röckle als entwickelte sozialistische Persönlichkeit darbietet.
Kammerschauspielerin Iris Albrecht, die als Statistenkind bereits im DDR-Streifen zu sehen war, stößt den schrulligen Erfinder vom moralischen Podest, um seine Naivität und protestantische Strebsamkeit hervorzukehren. Wie Musiol unterbricht sie das Spiel, um ihre Rolleninterpretation zu erläutern. Erklärende, darstellende und erzählende Ebenen vermischen sich, stören die Handlung und kommentieren den Produktionsprozess der Aufführung. Auf- und Abbauten finden offen statt, jegliches Fiktions-Chichi ist gestrichen. Dilettantisch gemalte Flammen auf einem Holzaufsteller müssen reichen, um das Fegefeuer zu markieren. So lässt die von Annika Lu entworfene Bühne, die sich an barocker Zentralperspektive orientiert, Raum für die Schauspieler. Mit Zaubershows und Liedern erzählen sie nicht nur vom Teufelspakt, auch das Märchen »Vom Tellerwäscher zum Millionär« und der »Trickle-down-Ökonomie« bekommt einen Platz in der Fortschrittsgeschichte.
Mit den Erfindungen von Röckle scheint plötzlich alles möglich zu sein: Erst hilft die Dampfmaschine bei der Tuchproduktion, dann pflügt sich die Erde mit dem Motor schneller. »You’re the devil in disguise«, singen die Arbeiter*innen zum Banjo ahnungsvoll. Weil sie mehr Waren produzieren, sinkt deren Wert und sie müssen fürs Kapitalwachstum mehr arbeiten. Da hat doch der Teufel seine Finger im Spiel. Der wandelt sich im Laufe des Abends vom devoten Buckler vor seiner Großmutter zum Marktliberalen. Nachdem er die Phase der ursprünglichen Akkumulation hinter sich gebracht hat, steigt Schauspieler Anton Andreew aus seinem schwarzen Ganzkörperdress und tauscht seine Hörner gegen einen Anzug ein. Auch die Hölle erfasst der Fortschrittssturm: In einem modernen, schnelllebigen Arbeitsumfeld bleibt kein Platz für antiquierte Folterwerkzeuge. Zwölf-Stunden-Schichten für Kinder ab acht Jahren bietet die Textilfabrik. Das neue Fegefeuer heißt Lohnarbeitszwang.
Während der Teufel als »personifiziertes Kapital« dem Zwangsgesetz der fortwährenden Steigerung unterliegt, hadert seine Großmutter noch mit der schönen, neuen Welt. Mit Groll denkt die Erzhexe an die Hexenverfolgung zurück und beklagt den Untergang weiblichen Wissens, wie es auch Silvia Federici in »Caliban und die Hexe« beschreibt. Die Degradierung von Sorgetätigkeiten ging einher mit der Abwertung von Frauen, die von nun an in die Reproduktionssphäre verbannt waren. Dominant spielt Julia Buchmann die Feministin mit Hang zum Esoterischen, die den Bronze-Marx mit Bestimmtheit auf seine Lücken hinweist. Nebenwiderspruch bleibt das Problem mit dem Patriarchat trotzdem. Wer die ganze Hausarbeit von Röckle macht, während der erfindet, wissen wir nicht.
Dennoch zeigt sich an diesen Einwürfen, wie genau sich die Aufführung in marxistischen Debatten zu verorten weiß, ohne zum spröden Theoriereferat zu verkommen. Die diskursiven Teile bleiben spielerisch, die Spielszenen zeichnet große analytische Tiefe aus. Nur mit dem Happy End des Märchens zögern sie. Angekommen im 21. Jahrhundert schafft es Röckle zwar, den Teufel auf den Mars zu locken und so auszutricksen, aber der Wert prozessiert weiter. An rettenden Erfindungen Röckles mangelt es nicht, aber in der Anwendung im Kapitalismus setzen sich die gesellschaftlichen Antagonismen fort. Statt den Green New Deal braucht es kollektiven Erfindungsgeist, um den ökonomischen Horizont zu überschreiten.
Nächste Vorstellungen: 7., 22.4. und 21.5.
www.theater-magdeburg.de
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