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Massenabschiebungen aus EU-Balkanstaaten
Betroffene und Organisationen beklagen Verletzungen der Menschenrechte
Die kroatische Polizei führt derzeit massenhafte Abschiebungen von Geflüchteten nach Bosnien und Herzegowina durch. Laut Medienberichten vom Montag werden Menschen aus der Republik Kroatien mit Bussen über die Grenze und von dort in das berüchtigte Männerlager Lipa oder in das Aufnahmezentrum Borići gebracht. Beide Einrichtungen befinden sich im Grenzgebiet in der Nähe der Stadt Bihać.
Auf die auffällig stark gestiegenen Abschiebungen nach Bosnien und Herzegowina hatte das in Balkanstaaten tätige Netzwerk Border Violence Monitoring (BVMN) bereits vergangene Woche hingewiesen. Demnach werden in ganz Kroatien Menschen von der Polizei abgefangen und teilweise in nicht gekennzeichneten Fahrzeugen weggebracht. Die Betroffenen seien stundenlang in gefängnisähnlichen Kellerräumen ohne Zugang zu Nahrung und Wasser festgehalten worden. Dort habe ihnen die Polizei einen Abschiebebescheid nach Bosnien und Herzegowina ausgestellt.
Die Geflüchteten hätten die Dokumente unterschreiben müssen, obwohl sie deren Inhalt nicht verstanden. Rechtsmittel gegen das Verfahren seien nicht möglich gewesen, heißt es in dem Bericht. Damit werde auch internationales Recht verletzt. Anschließend seien die Gruppen zunächst in andere Hafteinrichtungen verlegt worden. Für die Unterkunft, Verpflegung und den Transport zur Grenze hätten die Abzuschiebenden sogar noch bezahlen sollen.
Das BVMN vermutet hinter den beschriebenen Methoden die Umsetzung von Ausgleichsmaßnahmen, die der kroatische Innenminister Davor Božinović nach dem Schengen-Beitritt zu Beginn dieses Jahres angekündigt hatte. 742 Polizeibeamte sollten in diesem Zusammenhang von anderen Grenzübergängen zu Slowenien und Ungarn abgezogen und in mobilen Teams Geflüchtete im Grenzgebiet zu Bosnien und Herzegowina aufgreifen, so die Ankündigung.
Auch die Regierung in Bosnien und Herzegowina befolgt mit der Erlaubnis, die Geflüchteten zurückzubringen, Vorgaben der EU-Kommission. Das Land hat für Rückübernahmeabkommen mit 16 EU-Staaten Durchführungsprotokolle verabschiedet, was Brüssel zwar als »insgesamt zufriedenstellend« bewertet. Jedoch müssten beschleunigte Rückübernahmeverfahren mit den Nachbarländern »vollständig und wirksam umgesetzt werden«, heißt es in einem Bericht vom Oktober. Die Zahl der Drittstaatsangehörigen, die im Jahr 2021 im Rahmen verschiedener Rückübernahmeabkommen nach Bosnien und Herzegowina zurückgebracht wurden, belief sich demnach auf 570 und war damit deutlich niedriger als in den Vorjahren.
Für die Umsetzung der EU-Forderungen arbeitet Bosnien und Herzegowina in einem »Gemischten Rückübernahmeausschuss« mit der Kommission zusammen. Im Dezember hat das Land für den Zeitraum 2021 bis 2025 eine »Strategie für Migration und Asyl« verabschiedet und sich zur Befolgung von Hunderten neuer Maßnahmen verpflichtet. Im Gegenzug winkt der Status eines EU-Beitrittskandidaten.
Auch Ungarn schiebt Geflüchtete massenhaft ins Nachbarland Serbien ab. Nach Informationen des »nd« betrifft dies mittlerweile rund 130 000 Personen, denen die serbischen Behörden in sogenannten Schnellverfahren keine Möglichkeit für einen Asylantrag eingeräumt haben. Die Betroffenen sind deshalb auch nicht in Ungarn mit ihren Fingerabdrücken und Gesichtsbild in der Eurodac-Datei eingetragen worden. Mit einem solchen Eintrag erklärt sich ein Land für zuständig zur Bearbeitung des Asylantrages.
Die bilateralen Rückübernahmen ohne Prüfung eines Anspruchs auf internationalen Schutz stellen einen Verstoß gegen den internationalen Grundsatz der Nichtzurückweisung und EU-Recht dar, hatte der Europäische Gerichtshof festgestellt. Die EU-Grenzagentur Frontex hat deshalb ihre Tätigkeit auf der ungarischen Seite der Grenze zu Serbien vor zwei Jahren eingestellt. Anschließend hat die Agentur jedoch eine Mission auf serbischer Seite gestartet.
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