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Dzsenifer Marozsán: DFB-Abschied der Ästhetin gegen Brasilien
Die 30-Jährige bestreitet ihr letztes Spiel im Nationaltrikot
Über die Ostertage hat sich Dzsenifer Marozsán selbst gewundert, wie entspannt sie noch war. Eine der besten deutschen Fußballerinnen der Geschichte lehnte lässig in einem Stuhl, trug ein schwarzes T-Shirt und fortwährend ein Lächeln im Gesicht, als sie über ihren bevorstehenden Abschied aus dem deutschen Nationalteam sprach. Wenn an diesem Dienstag beim Länderspiel gegen Brasilien in Nürnberg mit ihrem 112. Einsatz im DFB-Trikot der Vorhang fällt, dann könnte es deutlich gefühlsduseliger zugehen. »Ich bin ein sehr emotionaler Mensch und sehr nah am Wasser gebaut«, gab die in Budapest geborene, in Saarbrücken aufgewachsene und lange in Frankfurt am Main lebende Mittelfeldspielerin von Olympique Lyon zu.
Der Rahmen könnte würdiger kaum sein: Mehr als 30 000 Tickets sind für die Partie im Max-Morlock-Stadion schon verkauft. Marozsán soll wohl nach rund einer Stunde eingewechselt werden und sich nach Schlusspfiff auf die Ehrenrunde mit ihrem Neffen machen, mit dem sie nach ihrem vor einem Jahr im WM-Qualifikationsspiel in Serbien erlittenen Kreuzbandriss viel Zeit verbracht hat. Bruder David gilt schließlich als wichtiger Bezugspunkt – und Ausgangspunkt der Karriere.
Eigentlich hatte der 1996 zum 1. FC Saarbrücken gewechselte Vater János als ungarischer Nationalspieler ja gehofft, dass der Sohn in seine Fußstapfen treten würde. Doch dann durchkreuzte eine schwere Knieverletzung noch vor dessen Volljährigkeit alle Hoffnungen. Seine fünf Jahre jüngere Schwester hatte er stets mit auf den Bolzplatz in Saarbrücken-Burlach genommen. Mutter Elisabeth war anfangs nicht begeistert, spürte aber bald, welche Liebe ihre Tochter für den Fußball aufbrachte.
Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg erinnert sich aus ihrer Zeit als Verbandssportlehrerin noch gut, »wie eine 15-Jährige aus dem Saarland« mit ihrer Veranlagung herausstach. Bis heute ist Maroszán die jüngste Bundesligaspielerin der Geschichte. Sie ging mit 17 vom 1. FC Saarbrücken zum damals dominierenden 1. FFC Frankfurt, wo sie im Schatten vieler Stars reifte. Svenja Huth, heute stellvertretende Kapitänin des DFB-Teams, wurde zu einer ihrer besten Freundinnen. Man werde »ihre Qualität, ihre Zuckerpässe« vermissen, aber eben auch »einen tollen Menschen mit goldenem Herzen«, betonte die 32-Jährige kürzlich.
Dankbarkeit und Demut sind für Maroszán eben keine Floskeln: »Es hat sich deutlich mehr erfüllt, als ich erwartet habe. Als ich jung war, wollte ich einfach nur Fußball spielen und das ist nach wie vor so.« Grundsätzlich stehe sie »nicht gerne im Mittelpunkt«. Gleichwohl war das mitunter unvermeidlich. Von ihren 33 Länderspieltoren schoss sie wegweisende Treffer zum EM-Gewinn 2013 und Olympiasieg 2016 – bis heute die letzten Titel der deutschen Fußballerinnen. Als hernach die Kurzzeit-Bundestrainerin Steffi Jones ihre Spielmacherin auch zur Spielführerin machte, war damit niemandem geholfen. Eine klassische Führungsspielerin ist und war die immer auf Harmonie achtende »Maro« nie. Dafür hat eine der »weltbesten Technikerinnen« (Voss-Tecklenburg) einen ästhetischen Genuss vermittelt, der für die Entwicklung des Fußballs der Frauen nicht hoch genug zu bewerten ist.
Die Bundestrainerin richtete ihr Team für die WM 2019 noch einmal ganz auf die sensible Strategin aus. Doch dann brach Maroszán sich gleich im ersten Gruppenspiel gegen China den großen Zeh. Als sie im Viertelfinale gegen Schweden mit einem Spezialschuh zurückkam, konnte sie das Ausscheiden nicht mehr abwenden. Nach dem Innenbandriss vor der WM 2011 und der Bänderverletzung bei der WM 2015 stand auch dieses Turnier unter einem schlechten Stern.
Trotzdem war die Bundestrainerin ziemlich überrascht, als sie vor einigen Wochen vom Rücktritt der 30-Jährigen am Telefon erfuhr – noch vor der WM in diesem Sommer in Australien und Neuseeland. Im Vordergrund stand die Sorge um die Gesundheit. Aber ging es im Hintergrund vielleicht doch um Maroszáns Rolle? Einen Stammplatz hatte die Spielerin nicht mehr. »Aber wenn ein Gegner tief steht, wenn es Lösungen braucht«, dann hätte die Bundestrainerin gerne auf sie zurückgegriffen.
Bei der EM in England hatten Sara Däbritz, Lina Magull und Lena Oberdorf ein schwer ausrechenbares Mittelfeldtrio gebildet: Nicht mehr alle Bälle zur Nummer Zehn zu tragen, hatte für jede etwas Befreiendes. »Auch das gehört zur Wahrheit: Wir haben jetzt viel Variabilität im Zentrum«, findet Voss-Tecklenburg. Die 55-Jährige redete zuletzt nicht mehr über sportliche Faktoren, sondern lieber über den »fantastischen Charakter«.
Marozsán sieht vieles entspannter, nachdem sie nach einer Lungenembolie im Sommer 2018 mit dem Tode gerungen hat. Und so bereitet ihr auch die offene Zukunft keine schlaflosen Nächte, selbst wenn sie nach sieben Jahren nicht mehr beim französischen Topteam Lyon bleiben sollte. Olympique-Präsident Jean-Michel Aulas sagte einmal halb im Spaß, niemand verdiene in seinem Klub mehr als seine mit persönlichen Auszeichnungen überhäufte Lieblingsspielerin, deren Vertrag jetzt ausläuft. »Es gibt Gespräche mit Lyon, es gibt Gespräche mit anderen Vereinen«, verriet Deutschlands dreimalige Fußballerin des Jahres am Ostersonntag. »Ich möchte so lange, wie es geht, Fußball spielen.« Der Vorhang fällt vorerst nur im Nationalteam.
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