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Krankenhausreform: Berliner Bündnis sieht Raum für Veränderungen
Das Berliner Bündnis »Gesundheit statt Profite« spricht über drohende Unterversorgung und Protestpotenzial in Berlin
»Es ist der dritte Schritt vor dem ersten«, kritisiert Anja Voigt vom Berliner Bündnis »Gesundheit statt Profite« die Krankenhausreformvorschläge des Bundes. Nach aktuellen Berechnungen würde die Umsetzung des aktuellen Entwurfs berlinweit zu Klinikschließungen führen. Prinzipiell hält Voigt eine Verschiebung zu ambulanter Behandlung nicht einmal für verkehrt, wenn dadurch Patient*innen, die nicht stationär versorgt werden müssten, nicht in den Krankenhäusern landeten. »Dafür müsste aber erst einmal die ambulante Versorgung ausgebaut werden, bevor Krankenhäuser zumachen. Irgendwo müssen die Patient*innen ja hin«, sagt die Pflegekraft, die auf einer Intensivstation arbeitet.
Ähnlich scheint das die neue CDU-SPD-Koalition zu sehen. In ihrem vor einer Woche vorgestellten Koalitionsvertrag heißt es: »Wir wollen eine wohnortnahe Gesundheits- und Notfallversorgung auch nach der Reform sicherstellen und setzen uns auf Bundesebene für entsprechende Rahmenbedingungen ein. Dazu gehört auch der Aufbau ergänzender bedarfsgerechter ambulanter Strukturen.«
Der Mangel an hausärztlicher Versorgung ist in Berlin schon lange ein Problem. Nach dem Versorgungsschlüssel der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin sind aktuell die Bezirke Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf und Treptow-Köpenick unterversorgt. »Die ambulanten Strukturen fehlen sowohl in der Behandlung als auch in der Nachsorge«, sagt Krankenpflegerin Voigt.
So würde die Umstrukturierung der Krankenhäuser letztlich zu einer Unterversorgung in der Hauptstadt führen: Einer Mitteilung der Berliner Krankenhausgesellschaft und der Senatsgesundheitsverwaltung zufolge würde sich durch die Umsetzung des Entwurfs die Anzahl der Kliniken von 60 auf sieben stationäre Standorte reduzieren. Grund dafür ist die Einteilung der Klinken nach bundesweit einheitlichen Kriterien in Level, die verschiedene Leistungsgruppen behandeln können.
Das geplante System stoße bereits auf so viel Kritik aus den Ländern, dass die Regierungskommission, die den Vorschlag ausgearbeitet habe, diesen noch anpassen müsse, vermuten Voigt und der Krankenhausarzt Michael Friedrichs, ihr Mitstreiter im Bündnis »Gesundheit statt Profite«.
»Klar sind Klinikschließungen in den ländlichen Regionen noch viel schlimmer als im Ballungsraum Berlin«, sagt Voigt. Was aber in Berlin dramatische Folgen hätte, das wäre die Schließung von Notaufnahmen, die in der Hauptstadt besonders überlastet seien. Letztendlich sei das Problem, dass keine Bedarfsanalyse durchgeführt werde, zum Beispiel nach regionalen Notwendigkeiten oder auch nach Altersstrukturen.
Die Umwandlung von kleinen Krankenhäusern, die es nicht in die höheren Level schafften und deshalb verstärkt für ambulante Versorgung zuständig wären, würde außerdem für deren Betreiber schwer umsetzbar sein. »Das wird dann interessant für größere private Investoren, die das Wissen und die Ressourcen für einen solchen Umbau haben«, sagt Friedrichs.
Was bleibt, sind die Fallpauschalen, sogenannte DRGs, Diagnosis Related Groups, also diagnosebezogene Gruppen. »Das DRG-System wird ein bisschen runtergefahren und durch Vorhaltekosten ergänzt. Das ist aber ein Pauschalbetrag, also auch keine Finanzierung nach Bedarf«, sagt Voigt. Die Fallpauschalen würden immer noch zu 70 bis 80 Prozent die Finanzierung der Krankenhäuser bestimmen. »Es ist keine Revolution, kein Umsturz. Es ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung, aber es hätte die Abschaffung der DRGs gebraucht«, so die Pflegekraft. Sie wünscht sich eine am Bedarf ausgerichtete Ausfinanzierung des Gesundheitssystems: schauen, was gebraucht wird, und das dann vollständig bezahlen.
Wenn schon die Revolution im Gesundheitssystem vorläufig ausbleibe, dann müssten wenigstens die Personalkosten vom DRG-System abgekoppelt werden, und zwar »verbunden mit Vorgaben und Kontrollen, sodass nur für Personal gezahlt wird, das auch da ist«, sagt Friedrichs.
Die beiden Krankenhausbeschäftigten sehen – solange die Reform noch in der Mache ist – nach wie vor Raum für tatsächlich sinnvolle Veränderungen. Friedrichs sagt: »Im Moment ist viel in Bewegung. Jetzt lohnt es sich, Druck zu machen in Richtung eines gemeinwohlorientierten Gesundheitssystems.«
Der Krankenhausarzt hält es für den richtigen Ansatz, sich auf Länderebene für entsprechende Forderungen an die Reform stark zu machen. »Das ist in Berlin schwierig«, sagt er. Noch-Gesundheitssenatorin Ulrike Gote (Grüne) habe sich eher zurückgehalten, auch wenn sie sich in der gemeinsamen Stellungnahme mit der Krankenhausbewegung kritisch zum Reformentwurf geäußert habe. Wer Gotes Posten im neuen Senat übernehmen wird, ist noch offen. Klar ist: Das Ressort wird an die SPD gehen.
Voigt sieht die Grundlage für Protest durch die Beschäftigten gegeben: »Es gibt ein sehr großes Mobilisierungspotenzial. Das sieht man ja jetzt auch bei den TVöD-Streiks, die sind in den Krankenhäusern am stärksten. Du kannst die Leute eben nur bis zu einem bestimmten Punkt ausbeuten«, sagt Voigt, die als Vivantes-Angestellte auch Teil der Berliner Krankenhausbewegung ist.
Letztendlich müssten aber die Patient*innen noch viel stärker in den Kampf für ein bedarfsgerechtes Gesundheitssystem eingebunden werden, betont die Pflegekraft. »Zunehmend wird auch diesen klar, dass nichts funktioniert, wie es jetzt ist. Da steckt noch viel mehr Potenzial, mehr Menschen zu erreichen, denn es betrifft ja alle«, sagt Voigt. Der nächste Anlass für Aktionen soll der Tag der Pflege am 12. Mai sein.
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