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Atomausstieg: Strahlendes Erbe
Der Ausstieg ist mit der Abschaltung der letzten Atomkraftwerke noch lange nicht vollendet
Sie freuen sich über die Abschaltung der drei letzten noch betriebenen Atomkraftwerke an diesem Wochenende, ihren Kampf wollen sie gleichwohl fortsetzen. Eine starke Anti-AKW-Bewegung werde weiter gebraucht, sagen viele Aktivisti*innen. Denn der Atomausstieg in Deutschland sei noch lange nicht vollendet.
»Wir haben Geschichte gemacht, als wir der Atommafia und ihren bewaffneten Dienern zeigten: So geht es nicht!« Wolfgang Ehmke, Anti-Atom-Veteran der ersten Stunde und langjähriger Sprecher der Bürgerinitiative (BI) Umweltschutz Lüchow-Dannenberg, zählt dem »nd« wichtige Stationen des Widerstands auf: Wyhl, Brokdorf, Kalkar, Grohnde, Wackersdorf – Erfolge und Niederlagen der Anti-Atom-Bewegung hätten einander abgewechselt. Gorleben nehme in dieser Kette eine besondere Rolle ein. »Die Zivilgesellschaft erwies sich als Korrektiv für eine verfehlte Energiepolitik.«
Auf die Frage, welche Aufgaben für die Bewegung nach der Abschaltung der AKW anstehen, verweist Ehmke auf die Urananreicherungsanlage in Gronau und die Brennelementefabrik in Lingen. Die seien vom Atomausstieg ausgenommen. »Es ist absurd, dass das ›Ausstiegsland Deutschland‹ dazu beiträgt, dass anderswo Atomkraftwerke betrieben werden können.« Vor kurzem war bekannt geworden, dass der Betreiber der Lingener Fabrik, Advanced Nuclear Fuels, eine Tochter des französischen Konzerns Framatome, ein Joint Venture mit dem russischen Staatsunternehmen Rosatom eingegangen ist. Aus der niedersächsischen Stadt sollen künftig auch Reaktoren russischer Bauart mit frischen Brennstäben gefüttert werden.
»Was auch bleibt, ist der Müll«, ergänzt Ehmke. Die Endlagersuche zieht sich hin. Die Bundesgesellschaft für Endlagerung sorgte kürzlich mit dem Eingeständnis für Schlagzeilen, dass ein Standort für die Deponie für hoch radioaktiven Atommüll nicht wie angestrebt im Jahr 2031 feststeht, sondern erst Jahrzehnte später. Bis dahin müssen die rund 1700 Castoren mit heißem und extrem stark strahlendem Atomschrott dicht bleiben.
Dazu kommt: Die zentralen Zwischenlager in Gorleben und Ahaus sowie an den AKW-Standorten haben auf 40 Jahre befristete Betriebsgenehmigungen, die ersten laufen demnächst aus. Ehmke und seine Mitstreiter*innen aus der BI fordern seit langem, dass die Lager zumindest so nachgerüstet werden, dass sie gegen Flugzeugabstürze gesichert sind.
Wie aufwendig der Rückbau ist, kann man in Würgassen am einzigen kommerziellen AKW im Bundesland Nordrhein-Westfalen bestaunen. Dieses wurde bereits 1997 stillgelegt, seit mehr als 20 Jahren läuft der Abriss. Der Reaktor ist längst entkernt, nur die wuchtige Hülle ragt noch über die Baumwipfel. Der Parkplatz vor der Zufahrt, einst Schauplatz von zahllosen Demos, ist verwaist. Ein Sicherheitsmann tritt aus dem Wachhäuschen und fotografiert die Besucher. »Von der versprochenen grünen Wiese ist nichts zu sehen«, sagt der Anti-Atomkraft-Aktivist Arno Schelle. »Stattdessen soll hier ein gigantisches Atommülllager entstehen.« Die bundeseigene Gesellschaft für Zwischenlagerung plant auf dem Gelände den Bau einer 325 Meter langen, 125 Meter breiten und 16 Meter hohen Halle. Ab 2027 soll sie allen in Deutschland angefallenen schwach und mittel radioaktiven Müll aufnehmen, der später für eine Endlagerung im Schacht Konrad in Salzgitter vorgesehen ist – insgesamt etwa 300 000 Kubikmeter.
Dabei steht in den Sternen, ob das Endlager in Schacht Konrad jemals in Betrieb geht. Niedersachsens Umweltminister Christian Meyer (Grüne) bekräftigte dieser Tage bei einem Besuch in Salzgitter die kritische Haltung der Landesregierung zu dem Vorhaben. Die vor knapp zwei Jahren von den Umweltverbänden BUND und Nabu eingereichten Anträge auf Widerruf der Baugenehmigung würden vom Land »streng nach Recht und Gesetz sorgfältig« geprüft, betont Meyer. Die Sicherheit habe oberste Priorität bei der Entscheidung, ob das Endlager in Betrieb gehe. »Das haben wir auch im Koalitionsvertrag so festgelegt.«
Auch der wie in Würgassen teils schon angelaufene und sich über Jahrzehnte hinziehende Abriss der Atomkraftwerke birgt Gefahren. Zehntausende Tonnen teils stark verstrahlten Schrotts müssen abgetragen und abtransportiert werden. Die Strahlenschutzverordnung erlaubt es, radioaktiv belastetes Material, wie etwa kontaminierten Bauschutt, als »normalen« Müll zu entsorgen – sofern die zusätzliche Belastung für eine Person zehn Mikrosievert nicht überschreitet. Beim sogenannten Freimessen werden radioaktive Komponenten so lange dekontaminiert, bis die – nach Ansicht von Kritikern viel zu hohen – Grenzwerte unterschritten sind. Dann landen die Abfälle auf normalen Deponien oder können im Straßenbau dem Asphalt beigemischt werden.
Unter dem Strich, sagt Arno Schelle mit Blick auf den Ausstieg, überwiege bei ihm kein Triumphgefühl, sondern Nachdenklichkeit: »Wir müssen wachsam bleiben.« Aber erstmal wird gefeiert: Für Samstag haben Anti-Atom-Initiativen zu »Abschaltfesten« in Lingen, München und Neckarwestheim eingeladen.
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