• Sport
  • Fußball Bundesliga

Hertha BSC: Arm, aber wieder sexy

In existenzieller Not geht es auf einem guten Berliner Weg nach Gelsenkirchen

Kay aus der Kurve: Präsident Bernstein befriedet als ehemaliger Ultra den Verein.
Kay aus der Kurve: Präsident Bernstein befriedet als ehemaliger Ultra den Verein.

Alle Zahlen sprechen gegen Hertha BSC. Thomas E. Herrich ist für die Finanzen des Berliner Bundesligisten zuständig. Die Probleme beschrieb er in dieser Woche unumwunden als »existenziell« und nannte den Verein einen »Sanierungsfall«. Die Erteilung der Lizenz durch die Deutsche Fußball-Liga (DFL) für die kommende Saison ist keineswegs sicher. Selbst den überlebenswichtigen Einstieg des neuen Investors 777 Partners, dem Hertha noch mehr Untertan ist als dessen Vorgänger Lars Windhorst, prüft die DFL derzeit noch auf dessen Zulässigkeit.

Das ganze Dilemma wird bei einem flüchtigen Blick ins Olympiastadion deutlich. In ausgeblichenen Vereinsfarben steht dort wie eh und je: »Ostkurve Hertha BSC«. Direkt daneben ist in neu strahlendem Blau und Weiß zu lesen: »Gegen Investoren«. Während des Heimspiels am vergangenen Sonnabend gegen RasenBallsport Leipzig konkretisierten die Fans ihre Kritik: »Seit Jahrzehnten die gleichen Sorgen, Löcher stopfen mit dem Geld von morgen.«

Widersprechen kann Herrich da nicht. Die 100 Millionen Euro des neuen Investors würden gerade mal dafür reichen, Verluste auszugleichen sowie Verbindlichkeiten und Schulden abzutragen. Angesichts dessen wirkt es noch befremdlicher, dass 777 Partners mehr Macht durch größere Anteile und gewichtigere Stimmen im neu formierten Aufsichtsrat hat als Windhorst. Zudem wurden dem Investor 95 Prozent der künftigen Gewinne zugesichert.

»Wir machen Fußball. Und da müssen wir uns verbessern«, hatte Geschäftsführer Herrich in etwas sperrigen Worten seine Hoffnung im November beschrieben. Seitdem hat Hertha in 13 Spielen nur drei Siege und zwölf Punkte geholt – und ist auf einen Abstiegsplatz abgerutscht. Und so sprechen die sportlichen Zahlen selbst vor dem Abstiegsduell an diesem Freitag beim Tabellenletzten Schalke 04 gegen die Berliner: Mit nur fünf Zählern in 13 Auswärtsspielen sind sie das schlechteste Team der Bundesliga. Der letzte und einzige Sieg in der Fremde konnte vor mehr als sieben Monaten in Augsburg gefeiert werden.

Allerdings fahren Herthas Fußballer mit großer Unterstützung nach Gelsenkirchen. Minutenlang wurden sie nach dem Spiel gegen Leipzig von den Fans in der Ostkurve lautstark auf das Duell eingestimmt. Die positive Grundstimmung war auch eine Folge des zumindest kämpferisch überzeugenden Auftretens der Mannschaft – ein knappes 0:1 gegen einen Gegner, der ständiger Gast in der Champions League ist, kann Mut machen.

Der entscheidende Faktor für die atmosphärischen Veränderungen aber ist ein anderer: Kay Bernstein. Über dessen Aufstieg vom Fan zum neuen Präsidenten von Hertha BSC wurde schon viel geschrieben. Allein die Tatsache, dass ein ehemaliger Ultra den Verein anführt, kann nur kurzfristig wirken. Und Bernsteins Handlungsspielraum ist begrenzt. Auch er meint, dass der Einstieg des neuen Investors »alternativlos« war und dessen Geld nur dazu diene, »um Fehler der Vergangenheit beheben zu können«. Aber dort, wo er kann, packt der 42-Jährige an. Bernstein geht den neuen »Berliner Weg«, wie er ihn nennt, glaubwürdig und überzeugend. Das Wichtigste sei ihm dabei, »dass dieser Verein wieder ein Verein wird«, wie er jüngst in einer zweistündigen Radiosendung erklärte.

Wenn Kay Bernstein über »Macht oder Verantwortung« spricht, dann ist in der Formulierung seiner Ziele auch die Kritik an der Vereinsführung vergangener Jahre verpackt. Er kämpft für einen »Kulturwandel«. Um der Verantwortung gegenüber den Mitgliedern gerecht zu werden, will er den Verein basisdemokratischer organisieren. Versprochen werden solle nur das, was man auch leisten könne. Als eine der ersten Maßnahmen strich er das Label vom »Big City Club«. Und er zog mit dem Präsidenten-Büro auf das Olympiagelände, um zu zeigen: »Ich bin da und mittendrin.« Durch Nähe will er verloren gegangenes Vertrauen neu aufbauen und Hertha wieder zu einer Heimat machen.

Am vergangenen Sonnabend stand Frank Zander mal wieder vor der Ostkurve und stimmte die Hertha-Hymne live an. Es ist nicht allzu lange her, da versuchte die damalige Vereinsführung das traditionelle Liedgut klammheimlich zu ersetzen. Mit »Dickes B« von Seeed sollte die Alte Dame hipper wirken, verlor sich damit aber einmal mehr selbst. Und noch etwas fiel gegen Leipzig auf: Die Mannschaft von Hertha BSC wurde nicht mehr als »Berlins Fußballteam Nummer eins« angekündigt. Diese in den vergangenen Jahren zur Lächerlichkeit verkommene Selbstdarstellung hatte so manchem Herthaner die Schamesröte ins Gesicht getrieben.

Demut statt Größenwahn, Tradition statt Start-up – der deutliche Wille zur Veränderung kommt gut an. Da sprechen die Zahlen für Hertha BSC: Die Berliner verzeichnen mit etwas mehr als 50 000 Stadionbesuchern in dieser Saison ihren besten Zuschauerschnitt seit acht Jahren – und liegen damit in der Bundesliga auf Platz fünf. Die Alte Dame ist zwar arm, aber wieder sexy.

Auch die Spannung und das Leiden im Abstiegskampf treiben die Fans ins Olympiastadion, die fußballerischen Darbietungen eher weniger. Hertha kann wie gegen Leipzig gut verteidigen, bringt dann in der Offensive aber kaum Brauchbares auf den Platz. Als Trainer Sandro Schwarz nach einer Stunde Spielzeit den Angriff verstärkte, wurden die Löcher in der Defensive so groß, dass die RasenBallsportler noch zwei, drei Tore mehr hätten schießen können. Auch hier trägt Hertha mit einem unausgewogen zusammengestellten Kader die Last der Vergangenheit.

Im Mai ist der Abstieg ein realistisches Szenario. Der Verein versichert, auch die zweite Liga überleben zu können. Vielleicht ist ein Neuanfang ja auch gesünder als ein erneuter Versuch, unter den aktuellen Voraussetzungen einen Erstliga-reifen Kader zu bauen. Thomas E. Herrich bemüht ein positives Beispiel: »Der Hamburger SV hat es nach vielen Verlustjahren auch in der zweiten Liga geschafft, sich zu konsolidieren.« Herrich hofft, in der Saison 2025/2026 wieder ein »ausgeglichenes Betriebsergebnis« erreichen zu können. Immerhin, auch der Herr der Horrorzahlen bei Hertha BSC findet: »Der Spaß ist zurück an der Arbeit.«

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.